Kapitel 1

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Übermütig sprang eine kleine, flinke Wüstenelfe auf die Schulter der tasmanischen Königin und brachte diese ins Straucheln

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Übermütig sprang eine kleine, flinke Wüstenelfe auf die Schulter der tasmanischen Königin und brachte diese ins Straucheln. Die aus dem Norden stammenden Gäste konnten mit den Gepflogenheiten des südländischen Volkes nichts anfangen und man sah der Königin an, dass sie ihren Ärger über das rüde Verhalten der kleinen Elfe nur schwer verbergen konnte. Das zarte Flügelwesen war zwar nicht viel größer als eine Fliege, verhielt sich jedoch genauso nervig und sonnte sich in der allgemein gespannten Atmosphäre. Fest entschlossen, den Frieden wenigstens augenscheinlich zu bewahren, lächelte König Scⱥr (etwas, das der diktatorische, dehnarische König unter normalen Umständen niemals tun würde) und reichte der tasmanischen Königin freundschaftlich die Hand.

„Es ist mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen", begrüßte er die aus Tasmanien gereisten Gäste mit ungewöhnlich heiterer Stimme und überbrückte die Sprachbarrieren mit weitläufigen Gesten und einem für seine Verhältnisse abnormal breiten Lächeln.

Tristan sah dem König an, dass er geradezu verzweifelt versuchte, den Besuch glatt über die Bühne zu bringen. Das Land brauchte Frieden und Stabilität. Bewerkstelligt durch eine Allianz, besiegelt mit der Hochzeit seines ältesten Sohnes Joschua und der tasmanischen Prinzessin Izabel. Souverän meisterten sie die Willkommenszeremonie, die Tristan fasziniert verfolgte. Das Leben am Hof hatte ihn schon immer beeindruckt. Bedauerlicherweise befand er sich nun in seinem Abschlussjahr für die Ausbildung als Pfleger für magische Geschöpfe und er wusste nicht, wo es ihn danach hin verschlagen würde. Keinesfalls wollte er den dehnarischen Hof verlassen, jedoch hatte er in dieser Hinsicht wenig Mitspracherecht und musste annehmen, wohin ihn die Obigen schicken würden.

„Als Zeichen meines Segens dieser Verbindung gegenüber, habe ich ein Verlobungsgeschenk an die Braut vorbereitet", erläuterte der König ausführlich, während Übersetzer den tasmanischen Gästen leise seine Worte weitervermittelten. Einstweilen richtete sich der König ein Stückchen gerader auf und reckte selbstbewusst seine Brust. Der purpurne Mantel schillerte im Licht der glühenden Sonne.

Tristan lehnte sich gespannt nach vorne. Nun würde der König der Prinzessin das Geschenk präsentieren. Gleichermaßen nervös, wie freudig erregt folgten Tristans Augen der Schatulle, in welcher das Geschenk aufbewahrt wurde. Es hatte einen so hohen Wert, keine Kette, kein Juwel könnte daran je heranreichen, denn bei dem gut aufbewahrten und bewachten Gegenstand handelte es sich um nichts anderes als ein Drachenei. Genau genommen das Ei eines Wasserdrachens. Dass jene Art zu den seltensten und kostbarsten Tierarten im gesamten Norden gehörte, machte es schier unglaublich wertvoll. Doch auf Godsquana galten Wasserdrachen vor allem als Friedenssymbol – was sie in der momentanen Konfliktsituation zwischen den Ländern als wahrlich besonders auszeichneten. Und kein anderer, als Tristan hatte die letzten Monate für seine Pflege gesorgt. Er war so unglaublich stolz darauf, dass gerade ihm diese unglaublich wichtige Aufgabe anvertraut wurde, nun könnte er geradezu Platzen vor unterschwelligem Stolz.

Festlich überreichte ein Page dem Prinzen die Schatulle. Der junge Prinz wirkte nervös und unbeholfen. Als er auf die wunderschöne Prinzessin Izabel zuging, stolperte er beinahe über den roten Teppich. Ganz offenkundig konnte der König seinen Ärger nur schwer in Zaum halten. Sein zuvor aufgesetztes Lächeln, schwankte immer mehr in eine Grimasse. Doch Tristan konnte die unverhohlene Bewunderung der Prinzessin verstehen. Mit ihren langen, blonden Haaren, die sich wie Gold über ihren Rücken ergossen, war sie wirklich bezaubernd. Im Süden hatte der Großteil der Bevölkerung dunkles, beinahe schwarzes Haar und gebräunte Haut – nun so einen blassen Engel vor sich stehen zu haben, kam den meisten Umstehenden unwirklich vor.

Mit leicht geröteten Wangen trat Prinz Joschua vor und öffnete die Schatulle. Freudig erregt, beobachtete Tristan das Gesicht der Prinzessin. Er war auf ihre Überraschung und Freude ganz gespannt. Ohne Zweifel erwartete er ein strahlendes Lächeln und ein begeistertes Glitzern in den strahlend blauen Augen der Prinzessin. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen sah die Prinzessin eher betreten von einem zum anderen. Irgendwas stimmte hier nicht. Tristan trat unruhig von einem Bein auf das andere. Am liebsten wäre er sofort nach vorne gestürmt.

„Aber da drinnen ist nichts", sagte die Prinzessin in unbeholfenem Dehnarisch und sah vom Prinzen zum König, als wartete sie darauf, sie würden es als einfachen Scherz enttarnen.

In holder Panik stürzte der König nach vorne und riss zu grob an der Schatulle, sodass die verängstigte Prinzessin wenige Schritte zurücktaumelte. Sie war die raue Art des Königs nicht gewohnt. Es war klar, dass in ihrem Land andere Sitten vorherrschten.

„Nein, Nein", rief der König auf rustikalem Dehnarisch, sein südlicher Akzent ließ seine Worte wie ein Knurren klingen. Kein Wunder, dass die tasmanische Königin erschrocken zusammenzuckte. „Nein! Das Drachenei, es ist weg!"

Ungezähmte Wut brodelte in König Scⱥr und er konnte sie nicht mehr länger hinter der Fassade verborgen halten. Obwohl ihm bewusst sein musste, dass er auf die tasmanische Königsfamilie keinen guten Eindruck machte. Mit ziemlicher Sicherheit beherrschten sie die Landessprache nicht gut genug, um zu verstehen, worüber der König wütete und das machte sein Auftreten nur noch furchteinflößender. Doch auch Tristan bekam es mit der Angst zu tun. Das Drachenei konnte doch nicht verschwunden sein. Das war ein schrecklicher Skandal. Ihm ging es jedoch einzig und allein um das Wohlbefinden des verschwundenen Dracheneis. Es war eines der schönsten und rarsten Arten und von unvorstellbar hohem Wert. Für Tristan stand klar, es konnte nur gestohlen worden sein – doch von wem?

INDIGO  - Beim Leben des Drachen [Leseprobe]Where stories live. Discover now