Natürlich sorgte diese Geschichte für großes Aufsehen und Interesse, insbesondere bei den staatlichen Einrichtungen, die mit Normverstößen der Bürger zu tun hatten, also Polizei, Staatsanwaltschaften, Justiz und Strafvollzugsbehörden, aber auch Ordnungsämter und die Steuerbehörden. Es gab erste Stimmen, die eine neue, rosige Zeit einläuteten und meinten, dass ein flächendeckender Einsatz fast den gesamten Polizei- und Justizapparat obsolet machte, was wiederum enorme Einsparungen mit sich brächte. Auf der anderen Seite kämen durch die korrekten Steuerzahlungen wesentlich höhere Einnahmen in den Staatssäckel als bisher, so dass die galoppierende Verschuldung endlich ein Ende hätte. Widerstand gab es von der Polizeigewerkschaft und dem Beamtenbund, da man zu Recht befürchtete, dass sehr viele Stellen gestrichen werden könnten. Natürlich gab es auch politische Gruppierungen und Gelehrte, die davor warnten. Letztlich begäbe man sich ja in die Richtung eines „Ameisenstaates", in dem der Einzelne roboterhaft und weitgehend fremdgesteuert nur noch „funktioniere". Selbst wenn die Willensfreiheit lediglich eine Illusion darstelle, bleibe ja doch das subjektive Gefühl von Entscheidungsfreiheit für die Menschen wichtig, auch wenn es die Möglichkeit der Normverletzung beinhalte. Zudem bestehe die Gefahr, dass eine große Langeweile in das Leben der Menschen einkehren könnte. Juristen waren besorgt, dass ihnen eine deutlich höhere Verantwortung und Mehrarbeit drohte, und die Regierenden machten sich Gedanken, welche Gesetze und Regeln man im Chip verankern sollte und wie man sich darüber einigen könnte. Regelmäßige Updates wären ja möglich und somit auch Anpassungen an die Weiterentwicklung von Normen und Gesetzen. Es sollte ja zunächst nur darum gehen, wirklich gefährliche, schädliche und störende Handlungen zu unterbinden. Aber da fingen die Diskussionen schon an: Wäre es nicht sinnvoll, außer den Straftaten auch die geringfügige Missachtung von Verkehrsregeln (gröbere Verstöße waren ohnehin schon erfasst) oder gesundheitsschädliches Verhalten sowie zivilrechtliche „Vergehen" wie Mietprellerei oder das Nichtbezahlen von Rechnungen zu unterbinden? Auch den Klima- und Umweltschutz könnte man zusätzlich verbessern, indem schädliche Verhaltensweisen wie überflüssiger Energieverbrauch oder Rind- und Schweinefleischverzehr ausgemerzt werden. Nach dem altbewährten Motto „der Zweck heiligt die Mittel" könnte man auf diese Weise den Verkehr deutlich sicherer machen, die Umwelt und das Klima schonen, die Volksgesundheit verbessern, was wiederum die diesbezüglichen Ausgaben verringerte, und man könnte zivilrechtlich für die Einhaltung von Regeln der Fairness sorgen. Es ging ja letztlich um nichts anderes als die Beseitigung des „Bösen" und die Sicherstellung des „Guten". Damit wären zwar Leid, Schmerz, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch nicht völlig aus der Welt, aber doch ein beträchtlicher Teil davon, zumindest wäre zu erwarten, dass es deutlich mehr Sicherheit und weniger Angst gäbe. Also endlich Friede, Freude, Eierkuchen? Wie bei vielen neuen Technologien, denken wir an die Kernkraft, muss man selbstverständlich auch hier die Gefahr des Missbrauchs im Auge behalten. Was wäre, wenn der Chip von einem diktatorischen Machthaber benutzt wird, um sich die Menschen gefügig zu machen? Oder von irgendwelchen Firmen, die so ihre Produkte an die Frau oder den Mann brächten? Diejenigen, die den Chip kontrollieren, haben die Macht, den Menschen zumindest teilweise zu manipulieren und alle möglichen unerwünschten Verhaltensweisen zu unterbinden. Man könnte sie etwa daran hindern, zu demonstrieren oder kritische, der herrschenden Meinung zuwiderlaufende Ideen zu verbreiten. Kaum auszudenken, was noch alles möglich wäre! In einem gewissen Sinn handelt es sich ja um eine „Gehirn-Zensur". Man könnte versucht sein, alles „Negative" auszuschalten und nur noch das „Positive" zu gestatten, um ein für alle Mal das „positive Denken" durchzusetzen, ein Endsieg und eine Diktatur des Guten sozusagen. Und auch ein später Sieg des christlichen Bestrebens, das Böse aus der Welt zu eliminieren, was bisher ja nicht gelungen ist. Der Wunsch, das Negative zu beseitigen, hat auch mit dem Streben nach Glück zu tun, aber das ungetrübte Glück erlangen zu wollen, wäre eine gefährliche Illusion! Ein erfülltes Leben umfasst ja gerade immer das Positive und Negative gleichermaßen, und es kommt darauf an, das Negative und Destruktive zu bewältigen, nicht es auszumerzen. Verbrechen und Normverletzungen sind zwar nur ein Teilbereich des „Negativen", aber ob man sie wirklich ganz wird unterbinden können, ist die Frage. Der Philosoph Schelling meinte: „Ein Gutes, wenn es nicht ein überwundenes Böses in sich hat, ist kein reelles, lebendiges Gutes." Es geht bei ihm dann auch um die Freiheit und dass diese immer die Option des Bösen mit einschließt. Im Menschen sieht er gleichzeitig den finstersten Abgrund und das hellste Licht und somit eine wesenhafte Gegensätzlichkeit zwischen Gutem und Bösem.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 30, 2019 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Der ChipWo Geschichten leben. Entdecke jetzt