»Sie hat noch schwachen Puls«, hörte Miley die Worte, die langsam in ihr Unterbewusstsein drangen und schöpfte wieder etwas Hoffnung. Vielleicht war sie ja doch noch rechtzeitig Zuhause gewesen. Erst dann bemerkte sie auch wieder den Brief, den ihre Mutter in der Hand hielt. Sie ließ ihn fallen, nachdem die Rettungskräfte sie auf die Trage legten. Mit zitternden Händen griff Miley nach ihm, der neben dem blutverschmierten Messer unter dem Bett lag. Durch die Tränenvorhänge ihrer Augen blickte Miley auf den Absender. Das Erste, was sie erkannte, war:

»Anwaltsbüro«

Blass und schnell atmend saß Miley im Wartebereich des Krankenhauses und starrte auf die Zeilen des Briefes. Geschockt las sie immer und immer wieder die gleiche Stelle.

»Ihnen mitteilen zu müssen, dass ihr Ehegatte verstorben ist!« Sie las zwar die Worte, konnte sie aber nicht wirklich verstehen. Das konnte doch nicht sein, oder? Hatte ihre Mutter sie wirklich die ganzen Jahre angelogen und sie wusste doch, wo ihr Vater war? Sie waren geschieden, so hatte sie es Miley jedenfalls immer erzählt, wenn sie nach ihrem Vater gefragt hatte. So wie es jetzt aussah, war das wohl auch gelogen. Sie musste ihn all die Jahre geliebt und nie vergessen haben. Sie hatte ihn sogar geschützt und vielleicht hatte sie, hinter ihrem Rücken auch Kontakt mit ihm gehalten. Und jetzt lag sie wegen ihm auf der Intensivstation und kämpfte um ihr Leben. Das war total verrückt und momentan viel zu viel für Mileys Verstand. Sie konnte und wollte nicht mehr. All die ganzen Jahre hatte sie die Verantwortung für ihre Mutter übernommen, auf alles verzichtet. Und ihre Mutter? Sie hatte ihre Tochter die ganze Zeit nur belogen, und dann will sie sich einfach ohne eine Erklärung so aus dem Leben stehlen? Ohne eine Erklärung oder Entschuldigung.

Wütend zerriss Miley den Brief, der schuld an dieser Misere war, stand auf und schmiss die Schnipsel sauer und enttäuscht in die Luft. Tränenüberflutet und schluchzend sah sie den Arzt mit ernster Miene aus den Intensivbereich auf sich zukommen. Am ganzen Körper zitternd, gaben ihre Beine nach und sie sackte zu Boden.

»Es tut mir leid, aber wir konnten ihr nicht mehr helfen. Sie hatte schon zu viel Blut verloren, bis sie hier war«, sprach er mitfühlend die Worte, die Miley nicht hören wollte. Er hockte sich vor sie und versuchte, sie wenigstens ein wenig zu trösten und zu beruhigen, auch wenn er wusste, dass es unmöglich war. Sie hatte gerade ihre Mutter verloren. Wie sollte man in dieser Situation auch jemanden beruhigen können?

Miley war total überfordert mit der ganzen Situation. So viele Gefühle mischten sich in ihrem Inneren, die sie nicht sortieren konnte. Trauer, Wut, Liebe und Hass, waren nur einige davon. So überfordert und alleinegelassen hatte sie sich noch nie in ihrem ganzen Leben gefühlt. In ihrem Kopf herrschte das reinste Chaos.

Wie in Trance stand sie heulend auf und rannte einfach drauf los. Der Arzt versuchte sie noch zurückzuhalten, doch sie schüttelte seine Hand einfach ab. Unbeirrt setzte sie einen Fuß vor den anderen, über den Flur, raus aus dem Krankenhaus. Über die stark befahrene Straße, die durcheinanderhupenden Autofahrer ignorierend, weiter und weiter. Sie war so sehr weggetreten, dass sie nicht einmal mehr sah, wo sie hinlief. Weinend und schluchzend rannte sie ihre Gefühle aus dem Leib.

Erst im entfernten Van Nest Park, in der Nähe ihrer Wohnung, ließ sie sich in das kühle, nasse Gras fallen und weinte sich die Seele aus dem Leib. Sie verstand nichts mehr. Sie war total durcheinander und grub wütend ihre Finger in den nassen Untergrund.

Wie lange sie dort so gelegen hatte, wusste sie nicht, aber langsam kam sie wieder zu sich. Ihr war kalt und die durchnässte Kleidung war nicht wirklich mehr in der Lage, sie zu wärmen. Sie zitterte und hatte keinen blassen Schimmer, wo sie sich gerade befand oder wie sie überhaupt da hingekommen war. Sie versuchte, sich in der noch immerwährenden Dunkelheit zurechtzufinden. Nur ganz langsam gewöhnten sich ihre Augen an die schwarze Umgebung und sie erahnte, dass sie sich in einem Park befand.

Miley setzte sich auf und atmete die kühle Luft ein, die ihre Lungen dankbar aufnahmen und sie langsam in die Wirklichkeit zurückholte. Nach und nach realisierte sie, was geschehen war. Sie war jetzt alleine auf der Welt. Ihre Mutter hatte sich bis zu ihrem Tod für ihren Vater entschieden und alles andere außer Acht gelassen. Besonders Miley. Doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sich ihre Mutter jetzt besser fühlen würde und wahrscheinlich dort, wo sie jetzt war, besser aufgehoben wäre, als bei ihr. Jetzt war sie wieder mit dem Menschen vereint, den sie am meisten geliebt hatte.

Aber andererseits kam Miley sich verraten und zurückgelassen vor. Sie befand sich zwischen Freude für ihre Mutter und der Wut darüber, im Stich gelassen worden zu sein. So war es ihr ganzes Leben schon.

Sie hatte sich aufgeopfert. Nicht dass sie irgendeinen Dank dafür erwartet hätte, aber zumindest hätte sie sich gewünscht, dass auch einmal ihre Mutter für sie da gewesen wäre, und nicht immer umgekehrt. Jetzt würde sich dieser Wunsch wohl nie erfüllen. Miley wollte doch nichts anderes, als andere Menschen. Eine glückliche Familie, in der man sich wohlfühlte, zusammenhielt und glücklich sein konnte. Sie liebte ihre Mutter trotz aller Rückschläge wirklich sehr.

Mit hängendem Kopf und trüben Gedanken raffte sie sich auf und klopfte ihre Kleidung ab, die von dem feuchten Untergrund mit Schmutz übersät war.

Zitternd suchte sie die Gegend nach irgendetwas Bekannten ab, damit sie zumindest wusste, wo sie sich gerade befand. Doch die Dunkelheit der anhaltenden Nacht, machte es ihr nicht gerade leicht. Es war, als würde die Nacht, jedes noch so kleine Detail verschlucken. Schon irgendwie unheimlich. Sie traute sich nicht einmal mehr, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Plötzlich wurde es hell hinter ihr. Erschrocken drehte Miley sich um, hielt Ausschau nach der Lichtquelle, die mittlerweile so grell aufleuchtete, dass sie schützend ihre Hände vor die Augen legen musste.

Vorsichtig, um ihre Augen nicht zu überanstrengen, blickte sie durch die schmal geöffneten Finger, um sie dann erstaunt wegzunehmen und inshtintiv einen Schritt nach hinten zu machen.

Wie aus dem Nichts wurden aus dem grellen Licht fünf Gestalten geboren. Was genau sie waren, konnte sie nicht erkennen. Erst, als es sich langsam wieder abdunkelte, zeigten sich fünf junge Männer. Allesamt schwarz gekleidet, ihre Kapuzen tief in die Gesichter gezogen. Bedrohlich standen sie vor ihr.

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⏰ Last updated: Oct 07, 2017 ⏰

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Angel Knights- Light behind DarknessWhere stories live. Discover now