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„Soll ich dich mitnehmen?", fragte ich sie und Mary drehte sich erschrocken um. Sie stand unter dem Abdach der Schule, ihr Handy in der Hand und Himmel wollte nicht mehr aufhören zu regnen. „Danke, aber mein Bruder müsste gleich kommen." Sie tippe wieder auf ihrem Handy rum und rief ihn anscheinend an. „Na gut, bis morgen dann." Ich verabschiedete mich und zog meine Jacke über meinen Kopf um nicht vollständig nass zu werden. Als ich am Auto ankam, hielt sie sich das Handy immer noch an dem Ohr und wirkte verzweifelt. Ich stieg ein, startete den Wagen und hupte, ehe ich vor ihr zum stehen kam. „Steig ein." Und diesmal tat sie es. „Drake ist manchmal so ein Idiot. Er hat gesagt er würde kommen!", beschwerte sie sich und ich hörte zum ersten Mal, dass sie sich über etwas aufregte. Ich hielt es besser nichts zu sagen, sondern drehte lieber die Heizung höher, denn sie schien zu frieren. „Hinten liegt noch ein Pullover von mir, du kannst ihn gerne anziehen." Sie lehnte zunächst ab, zog ihn schlussendlich aber doch an und lächelte mir dankbar zu. Ich sah sie kurz an und grinste. „Du solltest öfter meine Kleidung tragen, steht dir ganz gut." Mary's Wangen färbten sich rot und es sah hinreißend aus. „Mein Bruder hasst dich, weißt du das?" Ich lachte. „Wenn sein bester Freund mir die Nase gebrochen hätte und er meine Schwester mögen würde, würde ich das auch." Mary stockte und sah mich entgeistert an. „Du magst mich? Wirklich?" Mehr als das. Ich liebte wie sie lachte und dann keine Luft bekam, ich liebte wie sie mit ihrem Haar spielte wenn sie nervös war, ich liebte wie sie rot wurde, wenn sie sich aufregte, ich liebte es sie singen zu hören. Ich liebte sie seit dem Konzert wo sie mich nach der Aufführung umarmte und ansah, als wäre ich der wichtigste Mensch auf dieser Welt. Und ich danke dem Schicksal, dass ich in dem Moment den Mut fand, ihr genau das zu sagen. Und noch dankbarer bin ich dafür, dass sie mich einfach nur küsste. Wir standen in ihrer Auffahrt und küssten uns, bis die Scheiben beschlagen waren.„Ich denke ich sollte rein gehen.", flüsterte sie gegen meine Lippen. „Das solltest du.", antwortete ich und küsste sie. Ich wartete genau zwei Minuten, dann lief ich durch den Regen zu ihrem Haus und schellte. Man hörte gepolter und Mary's Stimme schrie, dass Drake verschwinden soll und schlussendlich öffnete mir ihre Mutter die Tür, auf ihrem Gesicht ein strahlen. „Guten Tag Mrs. McGallen, könnte ich mit Ihrer Tochter sprechen?", fragte ich atemlos und Regenperlen fielen von meinen Haaren Aber natürlich, versicherte sie mir warmherzig und trat zur Seite. Mary stand in meinem Pullover oben auf der Treppe und sah mich entgeistert an. „Was machst du hier?", fragte sie unsicher und ich lächelte sie an, denn es gab nur wenige Momente in meinem Leben, in denen ich mir so sicher war wie in diesem Moment. „Ich wollte dich fragen, ob du mit mir ausgehen würdest." Und sie sagte ja.

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Vor dem Haus komme ich zum stehen und schnappte wie ein Fisch nach Luft. Die Tür öffnet sich und Drake rennt zu mir. Dann nimmt er mich in die Arme und hält mich so fest, dass die Wunde schmerzt. Doch das ist mir egal und ehe ich mich versehe, halte ich ihn genauso. Und dann kann ich meine Tränen und den Schmerz in mir nicht mehr zurück halten. 

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"Ich werde nicht Barbie mit dir schauen. Wirklich Mary, es gibt Grenzen in jeder Beziehung und hier muss ich ganz klar eine setzen." Ich verschränkte die Arme und sah sie böse an. Sie lächelte aber nur und bediente die Fernbedienung. "Ich meinte das Ernst. Ich werde nicht mit dir Barbie ansehen." Sie drehte ihren Kopf zu mir und lächelte mich weiter an. Und ich sah mir Barbie als Odette im Schwanensee von Anfang bis Ende an, einfach weil sie gelächelt hatte und ich nicht wollte, dass sie damit aufhörte.

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Weinend liegen wir uns in den Armen, betrauern den Tod von dem besten Menschen den ich kannte und es ist egal, dass die Nachbarn uns sehen können. Es ist egal dass sie uns hören müssen, denn das Grauen ist da und der sadistische Teil in mir will, dass sie sollen spüren was ich spüre. Ich will das sie genauso leiden, ich will dass sie diese Leere in mir empfinden, ich will das sie wütend sind und ich weiß, dass es nicht genug wäre. Drake schluchzt hemmungslos und ich stehe ihm in nichts nach.

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„Leute, das ist Mary- Mary, dass sind Taylor, Susan, Leann, James, Josh und Lion." Stolz stellte ich sie meinen wichtigsten Menschen vor. Es wurden Begrüßungen ausgetauscht und Taylor machte uns Platz. Als Mary nicht hin sah, zeigte er mir einen Daumen hoch und ich grinste stolz. „Du musst verdammt mutig sein, wenn du es mit dem da aushalten willst.", kommentierte Lion und ich würde ihm am liebsten eine reinhauen, doch er ahnte meine Absicht und wich bereits ein ganzes stück nach hinten. „Nicht so mutig wie er, wenn er meinem Bruder erzählen wird, dass wir zusammen sind.", antwortete sie in der Zeit und die anderen lachten, während ich mein Grinsen verlor und sie fassungslos ansah. Davon war nicht die Rede und ich war ehrlich gesagt froh, dass ich bisher nicht mit ihm sprechen musste. Wir ignorierten uns einfach. „Was meinst du damit, dass ich es ihm sagen werde?", vergewisserte ich mich. „Das heißt, dass wenn du ihn überlebst, du alles überleben wirst." Dann küsste sie mich, während ich in Gedanken ihr zustimmen musste.

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Komme etwas später, ich suche euch draußen. Weißt du dass ich dich liebe? <3 Ich las die Nachricht und sendete ihr ein Weißt du dass ich dich mehr liebe? Zurück. Taylor sah meinen Gesichtsausdruck, den er den ‚Mary-Ausdruck' nannte und lachte. Susan wies ihn zurecht und um sie abzulenken fragte ich nach dem Projekt, was sie ins Leben rufen wollte. Kurz darauf fielen die Schüsse und Mary muss in Nähe der Türe gestanden haben, ich sah nur wie sie später ins Krankenhaus gebracht wurde und als ich zu ihr wollte, hielten mich Sanitäter zurück und ein Arzt sedierte mich. Als sie aus dem OP war, lag sie auf der Intensivstation und obwohl ihre Eltern alles versucht hatten, durfte ich nicht zu ihr.

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„Ich...es..", stammele ich, weil ich keine Worte finde die ausdrücken können was in mir vorgeht. Aber Drake versteht dennoch und zieht mich nur noch fester an sich. Und so bleiben wir stehen, mitten auf dem gepflegten Vorgarten, verzweifelt über den Verlust des uns wichtigsten Menschen.

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Ich drehte mich auf die Seite und stützte mich auf den linken Unterarm ab. Mary lag neben mir auf dem Bett und las ein Buch, ganz vertieft in die Seiten. Sie trug den Pullover den sie damals aus meinem Auto genommen hatte und seit dem nicht mehr zurück geben wollte. Ich tat, als würde mich das stören, aber der Gegenteil war der Fall. Denn diesen Anblick liebte ich besonders, vor allem wenn sie dabei noch so konzentriert war und in ihrer eigenen Welt zu sein schien. Eine Welt in der alles Möglich war und ich war froh, dass ich auch darin einen Platz gefunden hatte. Denn für mich war sie längst meine Welt geworden. „Ich zeige dir ein Zaubertrick und wenn du darauf reinfällst, dann muss ich nicht mit zum Tanzkurs.", schlug ich vor. Sie sah mich skeptisch an, legte aber das Buch weg. „Dann zeig was du kannst." Ich grinste, hob meinen rechten Arm und bewegte meine Finger. „Schau auf meine Finger und nirgend sonst hin. Siehst du wie sie sich bewegen im Strom der Luft?" Mary sah mich an und hob ihre Augenbraue. „Du musst auf die Hand schauen!", entrüstete ich mich und sie folgte meiner Anweisung skeptisch. Ich zog Kreise und machte irgendwelche Merkwürdigen Formen, hauptsächlich darauf bedacht, dass sie sich darauf Konzentrierte und nicht mitbekam, wie ich meinen linken Arm unter ihren Hals schob. „Und nun: Seh her!", sagte ich und zog sie mit den Arm an mich, sodass sie fest an mich gedrückt war. Ich grinste, zufrieden über meinen genialen Trick und Mary lachte. Gott ich liebte ihr Lachen. „Du bist so ein Spinner.", sprach sie, lachte aber weiter. "Na gut, wenn du meinen Meister Zaubertrick errätst, werden wir nicht zum Tanzkurs gehen. Also, kennst du ihn?" „Das dein Bruder mich hat Leben lassen obwohl er mich hasst?", mutmaßte ich, meiner Sache eigentlich ziemlich Sicher, beugte mich zu ihr runter und küsste sie. Mary lachte wieder, schüttelte aber den Kopf. „Nein, dass du mich liebst."

Und das tat ich, 

mehr als mein Leben.

The AnarchistsWhere stories live. Discover now