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4. Kapitel

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Der Pfarrer brummte etwas von „Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau", bevor er auffordernd mit der Hand wedelte. Das Zeichen, dass wir Platz für die nächsten machen sollten. Ich war froh, dass William darauf verzichtete, mich zu küssen, wie es üblich gewesen wäre. Es hätte dem Ganzen einen Hauch von Normalität verliehen. Normalität, die mir beim besten Willen gestohlen bleiben konnte. Nichts an dieser absonderlichen Massenhochzeit war normal und noch klammerte ich mich an die Illusion, alles würde sich als ein schlechter Scherz herausstellen. An das, was ich tun würde, wenn es das nicht tat, wollte ich noch nicht denken.

„Kommt", sagte William leise. Als ich mich nicht rührte, legte er eine Hand auf meinen Rücken und schob mich sanft aber bestimmt weg von dem Altar. Zwei Stufen hinab, mitten in die gesichtslose Menge hinein. Irgendjemand war so vorausschauend gewesen, zwei Bänke auf der linken Seite für die frisch Vermählten freizuhalten, doch es wäre mir lieber gewesen, diesen Ort auf der Stelle zu verlassen. Wenn schon nicht Roxburgh Castle, dann wenigstens die Kapelle – weg von einer Erinnerung, die ich schon jetzt als verdrängenswert einstufte. Zuzusehen, wie nach und nach die andere Paare den Altar als Ehegatten verließen, machte es nur schlimmer. Man sagt, geteiltes Leid ist halbes Leid, aber falls es so war, spürte ich nichts davon. Oder das gesamte Leid war schmerzhafter als ich es mir vorstellen konnte.

William wählte einen freien Platz am äußersten Ende der zweiten Bank, halb verdeckt durch eine Säule davor und so weit wie möglich vom Mittelgang entfernt. Ob aus Rücksicht auf mich oder weil er selbst wenig Lust verspürte, tiefer in das gesichtslose Monster einzutauchen als unbedingt nötig, war mir einerlei. Ich hätte mir keinen besseren Platz wünschen können. Der Weihrauchgeruch war ebenso wie das Licht der Fackeln hier hinten deutlich schwächer und das Atmen fiel mir ein wenig leichter.

Ich hatte mich dazu entschieden, mich an den Rand zu setzen, obwohl ich mir damit die Möglichkeit nahm, bei Bedarf von William wegzurücken. Lieber so, als mich später zwischen ihm und jemand anderem eingekeilt zu sehen. Als hätte er diesen Gedanken erraten, ließ er mehrere handbreit Platz zwischen uns, und machte keinerlei Anstalten, mich in irgendeiner Weise zu bedrängen. Nah genug, um seine Anwesenheit zu spüren, und weit genug entfernt, um mir Raum für meine Gedanken und Gefühle zu geben.

Das war also mein ... Ehemann. Ich musste mich zwingen, das Wort zu denken. Nicht weniger Überwindung kostete es, meinen neuen Namen vollständig durch meinen Kopf wandern zu lassen. Julie Adelé ... Kincaid. Tochter von Charles und Eleanor Conteville, Earl und Countess of Conteville, Gemahlin von William Francis Kincaid – welchen Titel auch immer er innehatte. Richards spöttische Bemerkung, ich würde einmal einen Nicht-Adligen heiraten, drängte sich unerwünscht in meine Überlegungen. Dass er in jedem Fall Schotte war – adlig oder nicht – würde meinen Schwager um Einiges mehr schockieren. Ich konnte mir seine entsetzte Miene beinahe so gut vorstellen wie jene von Cecilia, Letizia und Ivette, die einen einheitlich ungläubigen Ausdruck tragen würden, sobald ich ihnen davon erzählte.

Wenn ich ihnen jemals von Angesicht zu Angesicht davon erzählen würde, dachte ich mit einem Stich des Bedauerns. Selbst wenn wir Frieden mit Schottland schließen würden, standen die Chancen, meine Familie wiederzusehen, denkbar schlecht. Ich wusste nicht, wo William lebte, doch irgendetwas ließ mich daran zweifeln, dass es weniger als zwei oder drei Meilen von Roxburgh Castle entfernt war – in nördlicher Richtung wohlgemerkt. Einmal dort angekommen, würden mich mehrere Tagesreisen von meinem Zuhause trennen. Bei dieser Erkenntnis stiegen erneut Tränen in mir auf. Ich würde meine Nichten und Neffen nicht aufwachsen sehen, sie womöglich nie kennenlernen. Nie wieder würde ich über die kaputten Stufen des alten Turms springen, den dunkelgrünen Wandteppich mit dem gestickten Kaninchen über meinem Bett anstarren und mich fragen, ob ich nicht allmählich zu alt für das kindliche Motiv war. Nicht mehr jeden Morgen von dem unbeschwerten Gesang meiner Mutter geweckt werden, und nie mehr an kalten Wintertagen neben Vater vor dem Kamin sitzen und ein Buch lesen. Nicht einmal mehr bei den Familientreffen Cecilias Beschwerden anhören, Letizia dazu überreden, mir ihr Stück Kuchen zu überlassen und verschwörerische Blicke mit Ivette austauschen. Nichts von alldem würde ich erneut erleben.

Das Schloss im NebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt