Kapitel 55.2 - Lucius

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„Sei froh. Zu Brenda ist sie nicht so nett.", riss mich James' Stimme aus meinen Gedanken. Ein Schlag ertönte. Das war wohl Jo gewesen. Mittlerweile war es für mich normal, die Reyes um mich zu haben. Mikéle, der damals als Freya verschwand, in ihrer Nähe gewesen war, hatte seither Schuldgefühle. Er meinte, dass er es hätte verhindern können, wäre er nur schneller gewesen. Er war es auch gewesen, der daraufhin zu uns gerannt war, um uns zu erzählen, dass sie fort war. Ihre Krücken hatte er als Beweis mitgenommen. Anfangs war ich natürlich misstrauisch gewesen, doch Mikéle wich nicht mehr von meiner Seite. Als würde er befürchten, dass mir das selbe wie meiner Schwester zustoßen würde. Lächerlich. Weshalb sollte man mich auch noch entführen wollen? Aber Mikéle blieb. Vielleicht lag es auch einfach an seinen Schuldgefühlen. Doch da Mikéle bei mir war, kamen auch Jo und Levi irgendwann dazu.

„Hey!", beschwerte sich James.

„So schlimm bin ich nun auch nicht!", zischte Jo ihm zu und James lachte.

„Ja, ja.", sagte er grinsend. „Komm schon, jeder weiß, dass Mikéle und du Brenda nicht leiden könnt." Es interessierte die beiden anscheinend überhaupt nicht, dass Brenda sie hören konnte. Aber mich interessierte das auch nicht. Im Moment war ich nicht sonderlich gut auf Brenda zu sprechen. Brenda blieb still, starrte bloß aus dem Fenster. Meine Güte, die sollte sich mal zusammen reißen. Wo war denn die hitzköpfige, vorlaute Brenda von vor ein paar Tagen geblieben? Normalerweise ließ sie sich so etwas nicht gefallen. Sie wirkte nicht mehr wie eine Jägerin. Und ich wusste nicht, ob sie jemals wieder zu gebrauchen sein würde. Sie wirkte jetzt so zahm. Lag das alleine an diesem Mutanten namens Liam? Merkwürdig.

Mikéle lachte im Hintergrund und von Jo ertönte ein genervtes „Lass das!" Mikéle jedoch lachte nur.

Levi lenkte den Wagen um eine Kurve. Wir fuhren durch London. Ich achtete nicht groß darauf. In London war ich schon oft gewesen und hatte alles gesehen. In London ließen sich die Menschen von den Mutanten nicht ihr Leben bestimmen. Sie lebten normal weiter und ignorierten die Plage, die sich teilweise in ihren eigenen Häusern befand. Eine Ampel schaltete auf grün und Levi trat wieder auf das Gas. Die lange Autokette setzte sich in Bewegung. Hier und da ertönte ein lautes Hupen. Mich nervte der viele Stau hier. Er verzögerte unsere Ankunft und ich wollte so schnell wie möglich ankommen, nur, um aus diesem Wagen zu entfliehen. Vielleicht auch, um endlich wieder Abstand zu dem bleichen Mutantenmädchen zu bekommen.

„Sieh sie dir an.", ertönte auf einmal Kieran verächtliche Stimme. „Sie tun so, als wäre nie etwas passiert. Als gäbe es uns überhaupt nicht." Was hatte er denn erwartet? Dass alle ihr Leben umkrempelten, nur weil es sie gab? Garantiert nicht! „Es sind Menschen.", murmelte Liam. „Was erwartest du?" Nach Liams Worten legte sich eine drückende Stille über alle Insassen des kleinen Busses. Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Wie abfällig er von uns sprach. Dachte er wirklich so? Ich hatte immer die Mutanten als das Problem angesehen. Bei den Mutanten war es anscheinend genau anders herum. Für sie waren die Menschen das Problem. Ich schluckte. Wer von unseren beiden Seiten hatte denn nun recht? Außerdem, hatte Liam vergessen, dass auch Menschen anwesend waren, die zuhörten? Nein. Bestimmt nicht. Es war ihm bloß egal. „Schau nicht dahin, Frey.", murmelte Liam. „Das ist nicht gut für uns." Das ist nicht gut für sie? Was meinte er denn damit? Ich blickte suchend aus dem Fenster. Was war denn bitte so schlecht da draußen? Es war doch alles wie immer.

„Wir sind gleich aus London raus.", informierte uns Levi irgendwann und fuhr wieder in eine Kurve. Häuser zogen an uns vorbei und wir ließen London hinter uns. Nun gab es nur noch eine Straße und keine Häuser. Andere Autos schossen an uns vorbei und Levi drückte auf das Gaspedal. Er beschleunigte. Ich war erleichtert, als Kieran nicht wieder zu jammern begann.

Gegen Mittag hielt Levis bei einem McDonalds und Verzweiflung trat in mir auf, als 93 den selben Burger und den selben Milchshake haben wollte, den damals Freya immer bestellt hatte. Was, wenn ich einen Fehler gemacht hatte? Was, wenn sie wirklich Freya war? Und ich sie dann so grausam behandelte, wie ich es nun einmal tat. Schnell schlug ich diesen Gedanken beiseite. 93 war nicht Freya. Nein, auf gar keinen Fall. Vielleicht hatte sie zusammen mit Freys Körper auch ihre Vorlieben für so manches Essen übernommen. Die restliche Fahrt über verschwendete ich keinen Gedanken mehr daran.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now