Ich spüre wieder die undefinierbare Wut in mir aufschäumen, die mich eben dazu gebracht hat, Scarlett zu schlagen. Mit voller Wucht knalle ich meine Faust gegen den Baum, neben dem ich liege. Und noch einmal. Immer wieder. Die Wut nimmt ab. Es hilft. Wie ein Ventil.

Mum? Verdammt! Warum hast du mich verlassen?

Scarletts Pov

„Scarlett? Zum Glück!“, höre ich hinter mir Coles Stimme. Erleichterung macht sich in mir breit. Ich habe wirklich keine Ahnung, wo in diesem Wald ich mich gerade befinde. Sofort höre ich auf, mich weiter in Richtung Nirgendwo zu bewegen und setze mich auf den kalten Waldboden.

„Geht es dir einigermaßen ok?“, fragt er und setzt sich neben mich. Klar. Bin ja nur eben geschlagen worden.

„Geht schon.“, murmele ich und er nimmt mein Kinn in die Hand um sich mein Gesicht besser ansehen zu können.

„Sieht schon ziemlich übel aus.“ Er verzieht das Gesicht. Klar sieht es übel aus. Jason ist stark.

„Wo hast du ihn gelassen?“, frage ich nervös, als mir auffällt, dass Jason sich ja noch irgendwo im Wald befinden muss. Ich will einfach nur so schnell wie möglich weg von ihm.

„Keine Panik. Der liegt immer noch genau an derselben Stelle wie vorhin. Wenn ich dich versorgt habe, bringe ich ihn nach Hause.“ Sofort schüttele ich den Kopf.

„Das ist glaube ich keine so gute Idee.“ Cole blickt mir verwirrt entgegen.

„Sein Vater.“, sage ich nur und sofort versteht er, was ich meine.

„Klar. Dann nehme ich ihn erstmal mit zu mir. Obwohl er mich anwidert. Ich habe ehrlich keine Ahnung, was da in ihn gefahren ist. Er schlägt keine Mädchen. Nie.“

Irgendwann ist immer das erste Mal, denke ich. Das sage ich aber nicht. Cole gegenüber nicke ich nur.

„Können wir vielleicht deine Mum oder so anrufen, damit sie dich hier abholt?“, fragt er. Auf der Stelle kehrt die Panik zurück in meinen Körper. Nein. Auf keinen Fall Mum.

„Bitte nicht. Sie wird Fragen stellen und ich will da jetzt echt nicht mit ihr drüber reden.“ Cole nickt.

„Jason hätte es aber verdient, angezeigt zu werden.“ Ich schüttele nur den Kopf.

„Lass gut sein. Er ist ja sonst nicht so.“ Ich kann selber nicht glauben, dass ich so locker mit der Situation umgehen kann. Vielleicht habe ich einfach die drohenden Schatten, die sich in meinem Kopf auszubreiten versuchen und mich vor Jason warnen, verdrängt. Vielleicht erinnert mich das Ganze auch zu sehr an eine andere Situation.

Damals. Nein. Klarer Kopf, Scarlett.

„Was ist mit Lissy?“, holt Cole mich zurück in die Gegenwart. Aber ich schüttele wieder nur mit dem Kopf.

„Sie wird auch Fragen stellen. Kannst du nicht einfach Jason holen und mich dann nach Hause fahren?“ Zwar sträubt sich in mir alles dagegen, heute noch einmal mit Jason zusammenzutreffen, aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Ich möchte auf jeden Fall verhindern, dass irgendjemand außer Cole von dem Zwischenfall erfährt. Zwischenfall. Wie nüchtern sich das anhört.

„Sicher, dass du mit Jason im gleichen Auto sitzen möchtest?“, fragt Cole nach und trifft damit natürlich voll ins Schwarze. Nein. Ich möchte noch nicht einmal mit ihm im selben Wald sein.

„Ist für mich die einzige Möglichkeit.“, presse ich hervor und zaubere ein Lächeln auf mein Gesicht. Das scheint ihn zu beruhigen. Er richtet sich auf und platziert mich so, dass ich im sitzen an einen Baum gelehnt bin.

„Dann bleib hier. Ich hole Jason so schnell es geht. Ruf mich an, falls irgendwas ist.“ Ich nicke ihm dankbar zu und blicke ihm hinterher, als er schnellen Schrittes zurück zu Jason durch den Wald läuft. Erst jetzt merke ich, wie erschöpft ich eigentlich bin. Wahrscheinlich bin ich doch länger durch den Wald gekrochen, als ich gedacht habe. Und das mit verrenkter Schulter und brennendem Gesicht. Vollkommen erschöpft schließe ich die Augen und habe das Gefühl, in ein tiefes schwarzes Loch zu fallen.

Als ich aufwache, ist mir sofort klar, dass ich mich nicht mehr im Wald befinden kann. Alles ruckelt komisch hin und her. Vorsichtig öffne ich die Augen um mich zu orientieren. Ich sitze auf dem Rücksitz eines Autos und wir fahren. Coles Auto. Er muss mich hierher getragen haben. Erleichtert lehne ich mich zurück. Ich bin also auf dem Weg nach Hause. Endlich.

Doch plötzlich spannen sich meine sämtlichen Muskeln an. Jason. Auch er muss sich im Auto befinden. Natürlich. Er sitzt auf dem Beifahrersitz. Es ist vollkommen still. Das einzige, was ich höre, ist der Motor des Autos, der beruhigend vor sich hin brummt. Ich beschließe, so zu tun, als wäre ich nicht aufgewacht und drücke meine Augen wieder zu. Dann lehne ich mich gegen die Fensterscheibe links neben mir und warte darauf, dass wir anhalten und ich endlich zu Hause bin. Nur der Gedanke daran, dass dort Mum auf mich wartet und wahrscheinlich stocksauer ist, weil ich nicht sofort nach der Schule nach Hause gekommen bin, beunruhigt mich. Die Kühle der Fensterscheibe tut gut auf meiner brennenden Wange. Ich kann nur hoffen, dass man den Abdruck von Jasons Hand darauf nicht mehr erkennen kann, wenn ich zu Hause bin.

He Ain't All BadWhere stories live. Discover now