„Ich weiß, dass du recht hast, Liam.", sagte ich matt. „Ich werde mir ewig diese 'Was-wäre-wenn-Frage' stellen und mich fragen, was passiert wäre, wenn ich mit ihm gesprochen hätte." Ich machte eine kurze Pause. „Aber weißt du, was mich noch mehr schmerzen würde? Wenn ich mit Lucius reden würde und er mich nicht sehen will. Wenn er all diese schlimmen Dinge sagt. Das würde mich mehr schmerzen, als diese Unwissenheit." Liam schwieg, blickte auf den Boden. Schließlich erhob er sich und sah mir in die Augen. „Er ist dein Bruder, Frey. Irgendwann wird auch er das kapieren." Mit diesen Worten verschwand Liam aus meinem Zimmer und ließ mich allein.

An diesem Tag verließ ich mein Zimmer bloß zum Mittag- und Abendessen. Ich zerbrach mir meinen Kopf über das was Liam gesagt hatte. Dass Lucius es irgendwann kapieren würde. Hieß das, auch wenn das Gespräch mit ihm vollkommen daneben gehen würde, er irgendwann zu mir stehen würde? Irgendwann? Ich lag in meinem Bett und starrte an die Decke. Fragte mich, wie es weitergehen sollte. Mit Lucius und mir. Wir konnten uns nicht ewig ignorieren und so tun, als hätten wir uns nie wieder gesehen. Wir konnten uns nicht ewig etwas vormachen. Es würde uns nach und nach zerreißen. Irgendwann. Eines Tages. Vielleicht würde eines Tages alles gut sein. Doch dies war nur das naive, kleine Fünkchen Hoffnung in mir, das so dachte. Ich sollte nichts erwarten. Ich sollte nicht enttäuscht sein, wenn es am Ende doch nicht so sein würde. Mit all diesen Gedanken im Kopf schlief ich schließlich ein.

Hitze. Selbst in meinem Traum ließ mich die Hitze nicht los. Ätzend. Murrend wälzte ich mich in meinem Bett umher. Schreie. Ich hörte Schreie. Pistolenschüsse. Irgendwie wurde es immer heißer. Ich stöhnte gequält und rollte mich zusammen. Es wurde immer unerträglicher. „Freya!", vernahm ich es auf einmal panisch. „Freya, wach auf! Schnell!" Ich wurde durchgeschüttelt. Langsam öffnete ich meine Augen und gähnte. Doch sofort fing ich an zu husten. „Jetzt komm!", rief Liam und riss mich aus meinem Bett. Ich war noch immer mit Husten beschäftigt. Um mich herum wurde nun alles schärfer. Ich runzelte meine Stirn. Rauch? Wieso war hier Rauch? Nun weiteten sich meine Augen, als meine Tür Feuer fing. „Das Haus brennt!", informierte Liam mich schnell. „Sie sind hier!" Wer? Wer war hier, verdammt? Doch das konnte ich noch nachher fragen. Erst einmal mussten wir Audra und Aldric hier heraus schaffen! Ich erstarrte. Audra und Aldric! Wo waren sie? Ein Blick nach draußen zeigte mir, dass es mitten in der Nacht war. Sie mussten in ihrem Schlafzimmer sein. Liam zog mich sofort mit sich. Da ihm das Feuer nichts ausmachte, stieß er ohne auch nur mit der Wimper zu zucken die in Flammen stehende Tür auf. Mich zog er mit sich, während ich meinen freien Arm vor mein Gesicht hielt. Der Rauch brannte in meinen Augen und die Hitze schwächte mich mehr als ich zugeben wollte. Liam stürmte hinunter, während er mich hinter sich her zog. Mit Entsetzen stellte ich fest, dass das gesamte Gebäude brannte. Und die Schreie, die ich gehört hatte, stammten von Audra und Aldric. Es war so heiß. So verdammt heiß. Vor meinen Augen verschwamm alles. Alles drehte sich. Die Hitze brachte mich um. „Jetzt komm schon, Freya. Lass mich nicht hängen.", vernahm ich Liam leise murmeln, währen er mich mit sich zog. Wir waren vor dem Schlafzimmer angekommen, doch die Tür war bereits auf. Sie waren nicht hier. Liam fluchte. Doch dann zog er mich wieder weiter. Vor meinen Augen flimmerte es. Ich spürte, wie die Hitze mir meine Kräfte entzog. Ich war am Ende. Ich wollte mich hinlegen. Wollte schlafen. „Halte durch, verdammt!", schrie Liam mich an und schüttelte ich. Doch ich war kaum mehr als eine Puppe in seinen Armen. Liam stieß einen weiteren Fluch aus und stützte mich nun, während wir gingen. Doch meine Beine waren mittlerweile weich wie Pudding. Sie knickten unter mir weg und Liam warf mich über seine Schulter wie einen nassen Sack. Er lief die Treppe hinunter. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Die Flammen schienen nach mir zu greifen. Die Hitze hatte mich vollkommen eingenommen. Jeden Zentimeter meines Körpers. „Bleib wach, Frey. Bleib bloß wach!", murmelte Liam vor sich hin und wir kamen unten im Flur an. Aus dem Wohnzimmer hörte ich Audra schreien und Liam wollte sofort dorthin gehen, doch auf einmal tauchte ein Mann mit einer schwarzen Uniform vor uns auf und richtete seine Waffe auf uns. Liam war sofort wie erstarrt. „Scheiße.", hörte ich ihn flüstern. Seine Stimme schien von immer weiter weg zu kommen. „Lassen Sie mich los!", schrie Audra. „Was wollen Sie von mir?!" Ich hörte einen dumpfen Schlag. Audra sagte keinen Ton mehr. In mir schrie alles. Wollte ihr helfen, doch die Hitze hatte mich zu sehr geschwächt. Ich war nutzlos. Mit meiner letzten verbliebenen Kraft versuchte ich aufzusehen und konnte durch die Tür sehen, dass Audra bewusstlos am Boden lag, während ein weiterer Mann mit Uniform ihr Handschellen anlegte. Beinahe gleichzeitig bemerkte uns Aldric und stürmte zwischen den Uniformierten und uns. Er breitete seine Arme aus. „Sie werden sie nicht bekommen! Das lasse ich nicht zu!", sagte Aldric mit einer unglaublich ruhigen Stimme. Nein! Das durfte Aldric nicht tun! Er würde sterben! Der Mann richtete seine Waffe auf Aldric. Doch bevor dieser schießen konnte, leckten auch schon ein paar Flammen nach Aldric und fraßen sich durch seine Hose. Ich konnte nichts tun. Aldric riss seinen Mund vor Entsetzten auf. Schrie. Doch er bewegte sich keinen Zentimeter. Es dauerte nicht lange und schon stand er als menschliche Fackel zwischen dem Uniformierten und Liam und mir. „Lauft!", schrie Aldric. „Lauft!" Sein Gesicht war vor Schmerz verzogen, als die Flammen ihm in die Wangen bissen und er vor meinen Augen lebendig verbrannte. Liam, der entsetzt gestarrt hatte, riss sich nun von Aldrics Anblick los und rannte an Aldric vorbei. Wir konnten doch jetzt nicht gehen! Wir durften ihn und Audra nicht im Stich lassen! Ich spürte die Flammen, die nach mir greifen wollten, doch Liam war schneller. Er stieß den Uniformierten beiseite, der seine Waffe wieder auf uns gerichtet hatte und schrie: „Stehen bleiben! Ich werde schießen!" Liam blieb nicht stehen. Er stürmte aus dem brennenden Haus. Die nächtliche Straße wurde von der Helligkeit des Feuers in schattenhaftes Licht getränkt. Mehrere Uniformierte rannten uns hinterher. Einer setzte an zu schießen, doch plötzlich tauchte aus dem Nichts Kieran auf und hielt ihn davon ab. Er riss die Uniformierten zu Boden und riss einem nach dem anderen die Kehle auf. Ich hatte nicht einmal Zeit über das, was ich gesehen hatte nachzudenken, denn schon schrie Kieran, dass wir laufen sollten. Liam nickte bloß und rannte weiter. Genau auf den Wald zu. Kieran folgte uns und eliminierte währenddessen noch jeden Gegner, den er erblicken konnte. Wir wurden von der Dunkelheit des Waldes verschluckt. Aus der Ferne war das Geheul von Sirenen zu hören. Liam rannte weiter und auch Kieran gesellte sich wieder zu uns. „Tiefer in den Wald!", schrie Kieran. „Tiefer in den Wald!" Er warf einen gehetzten Blick nach hinten. Vor meinem Sichtfeld tanzten immer mehr schwarze Punkte. Ich vernahm noch ein: „Bleib wach, Freya!", ehe ich meine Augen schloss und in die Dunkelheit glitt.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now