"Die Welt machte mich mausgrau und er malte mich bunt."

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Ein Blick auf meine Armbanduhr - sie gehörte einst meinem Opa, einem liebenswerten Kauz, der mit mir Fangen spielte, bis seine Hüfte es nicht mehr mitmachte - verriet mir, dass es erst halb vier war. Ich hatte also noch eine halbe Stunde totzuschlagen bis Nathanael mich holen kam. An Hausaufgaben war jetzt nicht zu denken, auch wenn ich eigentlich meinen in der Schule begonnen Aufsatz beenden müsste und ein Vokabeltest kommenden Montag noch einiges an Vorbereitung bedürfen würde.

Stattdessen saß ich da und zeichnete. Oder zumindest versuchte ich es. Mein Motiv war eine Feder - Mainstream zum Üben, den ich auf Instagram entdeckt hatte. Allerdings wirkten die Linien auf dem Papier wie ein Ast. Ein sehr hässlicher Ast wohlbemerkt und auch wenn mir klar war, dass ich wohl kaum mehr als ein Strichmännchen hinbekäme, war ich enttäuscht.

Ein kleiner Teil von mir hatte wohl gehofft etwas zu Stande zu bringen. Dieser kleine Teil, der eigentlich gar nicht so klein war, und der nach Gesprächsthemen suchte. Ich konnte ihn wohl schlecht stundenlang mit Büchern und den Problemen in der Schule vollquatschen. Vielmehr wollte ich, dass er in mir mehr sah als nur ein Modell für ein Bild. Nathanael hatte etwas an sich, das mich faszinierte. Ich wollte ihn bei mir haben, denn an diesem einen Nachmittag hatte ich mich so sichtbar gefühlt, wie lange nicht mehr. Die Welt machte mich mausgrau und er malte mich bunt.

Während ich in Gedanken versank, wie ich es oft, gerne und überall tat, lehnte ich mich zurück, was meinen alten Schreibtischstuhl quietschen ließ. Wie schon des Öfteren stellte ich mir die Frage warum er mich so...faszinierte. Ich versuchte zu ergründen, warum ich mich bei ihm wohlgefühlt hatte, fand allerdings nichts außer die Vorfreude darauf ihn wiederzusehen.

Ein schrilles Klingeln unterbrach mich und vor Schreck zuckte ich zusammen. Mit schnellem Herzschlag sprang ich von meinem Stuhl, schaffte es mir dabei den Beckenknochen an der Tischkante anzuschlagen, und eilte so schnell ich konnte die Treppe hinab, durch den Flur auf die Haustür zu. Ich brauchte keine Uhr um zu wissen wer vor der Tür stand, die das letzte Hindernis war, das mich noch von ihm trennte.

Energisch drückte ich also - noch mit Schwung von meinem Sprint - die Klinke und purzelte beinahe über die Schwelle direkt vor seine Füße. Zu seinem Glück stand Nathanael nicht im Radius der Tür, sonst hätte er mit Sicherheit ein paar Wochen aus der Schnabeltasse trinken können.

"Nathanael!", begrüßte ich ihn aufgeregt und von meiner sportlichen Einlage etwas atemlos. Dabei verzog sich mein Gesicht zu einem breiten Grinsen.

"Hi Timothy", erwiderte er etwas überrumpelt, blinzelte kurz und musste dann ebenfalls lächeln wobei er sich in Bewegung setzte.

Unsicher trat er einen Schritt näher, so als wolle er mich umarmen, wusste aber nicht ob er es tatsächlich tun sollte. Doch ich nahm ihm die Entscheidung ab, indem ich den Abstand zu ihm überbrückte und mit einem verlegenen Lächeln die Arme um ihn schloss.

Mein Gesicht drückte ich kurz in seine nach Weichspüler riechende Strickjacke während seine Hände zaghaft meine Schulterblätter berührten, dann gab ich ihn wieder frei.

Ich machte einen Schritt zurück, spürte das Blut in meinen Wangen pulsieren, als diese sich röteten, musste jedoch bei Nathanaels Gesichtsausdruck ein Lachen unterdrücken. Er sah mich etwas perplex und ebenfalls mit roten Wangen unter seinem zerzausten Haarnest aus Locken an.

"Du wirkst wie ein überzuckerter Flummi in einer Kiste die man schüttelt", meinte er und versuchte seine Verlegenheit dadurch zu überspielen, dass er sich durch die Haare fuhr.

Ich hingegen freute mich zu sehr darüber ihm gegenüber zu stehen um groß darüber nachzudenken wie ich ihn gerade eben überfallen hatte. Stattdessen stand ich im Hausflur der Mietswohnung und ließ mich lächelnd auf den Po sinken um mir meine Wanderstiefel anzuziehen. Der Boden war vom vielen Regen weich und da ich nicht wusste, was sich heute noch ergeben würde, wollte ich auf Nummer Sicher gehen.

"Danke", meinte ich leicht ironisch auf der Fußmatte sitzend, wurde dann aber ernster. "Ich freue mich einfach dich zu sehen."

Noch bevor ich zu Ende gesprochen hatte, blickte ich auf meine Schuhe die es zu binden galt, auch um seiner Reaktion auszuweichen. Ich kannte ihn kaum, reagierte aber wie ein Welpe dessen Herrchen nach langer Abwesenheit wiederkam.

Ein leises Lachen ließ mich den Kopf wieder heben. Nathanael hatte die Hände in den Taschen seiner schwarzen Hose vergraben und sah mich kopfschüttelnd von oben an.

"Du bist wirklich süß", sagte er und ging neben mir in die Hocke um wenigstens ansatzweise auf einer Ebene mit mir zu sein.

Nun war es an mir knallrot anzulaufen und mich hastig mit den Schnürrsenkeln zu beschäftigen. Daran, dass er das ernst meinen könnte, verschwendete ich keinen Gedanken, genauso wie ich mir verbot die Überlegung zuzulassen dass er mich faszinierte, weil ich ihn auf körperlicher Ebene anziehend fand. Ich hatte wirklich schon genug Probleme um jetzt auch noch in eine Krise zu geraten, in der ich meine Sexualität hinterfragen würden müsste.

"Bist du fertig?"

Nathanael saß noch immer auf den Ballen, den Hintern auf die Fersen gestützt, neben mir und beobachtete mich, wie ich die zweite Schleife mit einem Knoten versah.

"Ja", antwortete ich, "wir können."

Bei diesen Worten erhob er sich und streckte mir seine mit Tintenflecken gemusterte Hand entgegen um mich auf die Beine zu ziehen. Dabei fiel mir auf wie elegant seine Haltung im Augenblick aussah und wieder wurde ich rot während ich meine Hand in seine legte um so zurück in den Stand zu kommen.

"Dann los."

FarbklecksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt