Auf einmal hörte ich ein kurzes, dumpfes Geräusch in meiner Nähe, und fuhr auf. Was war das? Ich drehte meinen Kopf in alle Richtungen. Meine Augen hatten sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt, trotzdem konnte ich außer den leuchtenden Fenstern der Blockhäuser nur Schemen erkennen. Ich erstarrte, noch immer mit dem Palisadenzaun im Rücken, und lauschte angestrengt, versuchte sogar, mein Atmen einzustellen. Es kam lange kein weiteres Geräusch und ich wollte es schon abtun. Entweder hatte ich es mir eingebildet oder es gab irgendeine andere natürliche Erklärung dafür. Ich blickte zum Tor. Es schien fest verschlossen und der Schatten des Wachmanns stand oben auf dem Gerüst, das sich innen um den ganzen Zaun zog, scheinbar reglos und unbesorgt. Also entspannte auch ich mich wieder.

Ich fröstelte und überlegte, ob ich wieder zurück zu den Feiernden gehen sollte oder lieber direkt in die Hütte des Majors. Sicher würde auch Mrs. Lewis bald nachkommen. Während ich in die Richtung der Häuser schaute, huschte etwas Dunkles vor den beleuchteten Fenstern vorbei — so rasch, dass ich nicht sicher war, ob ich es wirklich gesehen hatte. Ich blinzelte Schneeflocken von meinen Wimpern. Langsam bekam ich doch etwas Angst. Mein Herz klopfte heftiger und eine plötzliche innere Hitzewelle vertrieb das Kältegefühl aus meinen Gliedern.

Sollte ich den Wachmann alarmieren? Doch bevor ich einen Ton von mir geben konnte, legte sich eine warme Hand auf meinen Mund und stoppte mich mitten im Atemholen. Ich riss die Augen auf und glaubte, vor Angst sterben zu müssen.

Der Unbekannte stand hinter mir, er war mir ganz nahe, und irgendetwas an ihm ließ mein Herz verrückt spielen und meinen ganzen Körper kribbeln. War es der Geruch? Woher kannte ich den? Dann flüsterte er nah an meine Ohr. „Schhh. Ite-ska-win ist nicht in Gefahr", sagte er auf Lakota.

Die vertraute Sprache wieder zu hören, ließ meine Angst verebben, doch mein Puls beschleunigte seinen Rhythmus. Die Art, wie er sprach, hatte so einen vertrauten Klang gehabt, selbst wenn es nur ein Flüstern war.

Endlich ließ er meinen Mund los und ich schnappte nach Luft. Im gleichen Moment wirbelte ich herum und traute meinen Augen kaum. Träumte ich? Sah ich schon Gespenster? Es konnte doch nicht sein.

Aber da stand er direkt vor mir, in Fleisch und Blut. Nur diesmal ohne Blut, sondern ganz lebendig und trotz der Kälte nur mit dem Lendenschurz begleidet. Meine Hände tasteten nach seinem Gesicht, als müsste ich mich vergewissern, dass er es wirklich war. Ich fühlte eine Unebenheit an seiner Schläfe, dort wo die Schusswunde gewesen war. Mein Hals war zugeschnürt und ich bekam keinen Ton heraus. Tränen stiegen mir in die Augen und liefen über meine Wangen. Ich schüttelte wieder und wieder den Kopf. „Bist du es wirklich?", hauchte ich.

Er zog meine Hände von seinem Gesicht und drückte sie in seinen. „Hau. Ich bin es."

„Wie ... woher ... ich dachte ..."

„Dafür ist später noch Zeit. Wir müssen weg, bevor die Blauröcke etwas bemerken."

Ich nickte und schluckte die Tränen herunter. „Wie bist du hier reingekommen?"

„Mit einem Lasso", sagte er und deutete auf den Palisadenzaun weit entfernt vom Bereich, wo der Wachposten stand. „Komm ... Sihahanska und Hehaka warten draußen. Oder möchtest du nicht weg?", fragte er, als mein Blick zurück zu dem Blockhaus schweifte, in dem die Soldaten feierten. In seiner Stimme schwang so etwas wie Besorgnis mit.

„Doch, natürlich."

In dem Moment ging die Tür des Hauses auf und laute Stimmen und Gelächter drangen hinaus in die Nacht. In dem gelblichen Licht, das die offene Tür nach draußen warf, stand eine Gestalt im Kleid — das konnte nur Mrs. Lewis sein. „Mary?", rief sie in die Dunkelheit. Sicher konnte sie mich nicht sehen, ihre Augen waren noch zu sehr an die Helligkeit gewöhnt. Trotzdem erstarrte ich auf dem Fleck wie ein Kaninchen, das von der Schlange hypnotisiert wurde.

Ohitika verhielt sich ebenfalls vollkommen ruhig. Ich hoffte, dass sie wider reingehen würde. Doch Mrs. Lewis rief meinen Namen noch einmal. Es tat mir leid, dass ich nicht antworten konnte. Sie war immer freundlich zu mir gewesen. Aber bleiben ... nein, das wollte ich nicht. Sie drehte sich um und schaute in den Raum hinein. „Edward? Kommst du bitte mal?"

Jetzt wurde auch der Wachmann auf dem Zaun darauf aufmerksam und kam langsam in unsere Richtung.

Oh Gott. Sie durften Ohitika hier nicht finden ... sie würden ihn gefangen nehmen, vielleicht töten. Ich musste mich melden, um Mrs. Lewis zu beruhigen. Ich blickte zu Ohitika, der mir knapp zunickte. „Ich komme wieder", flüsterte er kaum hörbar und war im nächsten Moment in den Schatten des Hofs verschwunden.

„Was ist denn, Mrs. Lewis", rief ich mit zittriger Stimme, nachdem ich einige Sekunden gewartet hatte.

„Ach, Mary, da sind Sie!", sagte Mrs. Lewis, als ich in ihrem Sichtkreis auftauchte.

Der Major, der neben sie getreten war, fragte: „Was gibt es denn, Cecilia?"

„Nichts, Edward. Mary ist wieder da."

„Ja", sagte ich und ließ es zu, dass sie mich zurück in den lichtdurchfluteten Raum zog. Die Soldaten feierten und tranken und achteten kaum auf uns, als wir wieder Platz nahmen. Ich antwortete nur knapp auf Mrs. Lewis' Fragen, aber innerlich hüpfte mein Herz. Ohitika war am Leben! Und er würde mich rausholen, da war ich sicher. Es war nur noch eine Frage der Zeit.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now