Prolog: Universum N1517

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Prolog - Vielleicht würde es dem Universum ohne mich besser ergehen.

Ich sah die Leitpfähle an den Straßenseiten, die uns entgegen leuchteten wie tapfere kleine Soldaten; die uns standhaft den richtigen Weg weisten. Neben mir saß mein alter Herr, beide Hände fest ums Lenkrad geschlungen und den Blick eisern in die dunkle Nacht vor uns versunken. Aus den Lautsprechern dröhnte eines seiner alten, geliebten Lieder und aus dem Augenwinkel erkannte ich, wie er seine Finger aus dem festen Griff löste und mit ihnen im Takt gegen das Lenkrad klopfte. Als eine sanfte Frauenstimme durch die Melodie drang und passend dazu etwas trällerte, fing auch mein Vater an mit zu summen.

Ein rotes Auto bratterte an uns vorbei und Papa verfolgte ihn mit einem kurzen Blick, einem schüttelnden Kopf und einer kurzen Unterbrechung seiner Musikbegeisterung, ehe er es stumm abtat und wieder auf die Fahrbahn vor sich sah.

Wir fuhren in eine Kurve. "War eine schöne Feier. Viele... menschliche Wesen. Und... Musik. Man kann nicht sagen, dass sie keine Musik gespielt haben. Vielleicht etwas laut und die falsche, aber Musik war schon mal da. Und Essen. War deins auch kalt? Ach, vergiss was ich gesagt habe. Das kann jedem mal passieren."

Ich nickte. "Paps..."

"Ja, stimmt. Du bist ja nicht deine Mutter, dir muss ich nichts vor machen", ein Räuspern ging durch ihn hindurch, "Sie meint nur immer, ich solle dich nicht mit meinem Pessimismus anstecken."

"Ich glaube das kommt etwas spät. Hättest du dir vor meiner Zeugung überlegen sollen, ehe deine Gene meinen Körper befallen haben."

Ein leichtes Grummeln entfloh seiner Kehle. Mein Vater war in bestimmten Dingen ein wirklich sehr pessimistischer Mensch, besonders wenn es darum geht sich unter Leute zu mischen und einen schönen Abend zu haben. Soziale Kontakte und lange Nächte verabscheute er und kein gutes Wort verließ je seinen Mund darüber. Und ich denke, genau diese Eigenschaft ist es, die ich von ihm geeerbt habe. Nicht seine Freundlichkeit oder seinen Perfektionismus - seinen Pessimismus. Wahrscheinlich auch noch reichlich andere Sachen die bestimmt irgendwie da waren, von denen ich aber nicht alt zu viel mitbekam und über die ich mir auch keine großen Gedanken machte.

"Meine Gene haben deinen Körper nicht befallen. Das klingt wie eine Krankheit."

"Vielleicht bin ich das ja."

Er setzte den Blinker. "Hör auf so zu reden."

"Ich rede nicht anders als du, Paps."

"Sei froh, dass Mama dich nicht hören kann", aus dem Augenwinkel sah ich, wie er leicht schmunzeln musste, "Oder eher gesagt uns beide. Du hast schon recht. Ich bin um keinen Deut besser."

Mutter hätte uns wahrscheinlich strafend angesehen, gesagt wie unsinnig wir doch sind und was das Leben doch für schöne Dinge für uns bereit halten würde. Dabei würde sie mir sanft über den Kopf streicheln und Papa einen Kuss auf die Wange drücken.

Aber der einzige Grund, warum Mama uns nicht hören konnte war der, dass sie tot ist.

Seit 2 Jahren war die linke Seite im Ehebett leer, das Grab mit vielen Blumen geschmückt und keine helle Stimme erklang mehr durch das Haus. Das worüber Vater und ich uns immer so philosophisch unterhalten, war für sie wahr geworden. Und das viel zu schnell und viel zu überraschend.

Das war wahrscheinlich der Grund dafür, dass immer noch für 3 Leute gedeckt wurde, ihr Kleiderschrank immer noch mit ihren Kleidern gefüllt war und das Badezimme immer noch nach ihrem Parfüm roch. Und Papa immer noch im Präsens über sie sprach.

Papa hatte ihren Tod bis heute nicht wirklich verarbeitet, hatte auch gar nicht die Möglichkeit dazu, und so endete das ganze in dieser etwas gruseligen Klammerhaltung, die ich schon lange aufgegeben hatte. Für mich verrottete ihr Körper und wurde von Würmern durchfressen, für ihn lag er immer noch neben ihm im Ehebett.

Ihr Geist aber natürlich würde nie verschwinden.

Ich vermisste meine Mutter an jedem einzelnen vergangenen Tag dieser 2 Jahre. Es würde niemals einen Tag geben, an dem ich nicht daran dachte, wie ihr wunderschönes Gesicht morgens durch den Türspalt in mein Zimmer ragte und mich mit einer medolischen Stimme sanft dazu brachte aufzustehen. Keinen Tag, an dem beim Frühstück nicht der Geschmack ihrer so herzhaften Pfannkuchen auf meiner Zunge lag und meine Arme immer noch wussten wie es war, sich liebevoll um ihre Statur zu schlingen um sie zu drücken und ihr einen schönen Tag zu wünschen.

Doch all das waren nur Erinnerungen, phantomhafte Bruchstücke einer Zeit die perfekt war - doch nun war all dies Vergangenheit, die zusammen mit ihr vergraben wurde.

Mit ihr, hat auch mein Lebenswille ein Ende gefunden.

Ich hasste es in diesem Haus zu wohnen, das ohne sie viel zu groß und still wirkte, und ich hasste meinen Vater dafür, das er mir nicht erlaubte es zu verlassen.

Mein Vater würde daran zerbrechen, in noch mehr Scherben als ohnehin schon, wenn ich ihm sagen würde, wie sehr mich dieser von Erinnerungen gefüllter Ort erdrückt, und ich am liebsten weit fort fliehen möchte. Für ihn war unser Haus der Zufluchtsort den er brauchte, Tag und Nacht, und er liebte die Erinnerungen an sie die noch immer dort waren - und genauso sehr liebte er es sie immer und immer wieder auferleben zu lassen. Für mich, war dies lediglich Folter.

Aber ich blieb dort. Meine Träume und Wünsche mit ins Grab meiner Mutter werfend, und ohne mich noch einmal nach ihnen umzudrehen, übergab ich mein Leben in die Hände meines Vaters. Ich war für ihn da, versuchte so gut es nur ging ihm zu helfen zu verarbeiten was eigentlich nicht zu verarbeiten ist. Vor allem dann nicht, wenn er der Meinung ist, Mutter sei nicht tot.

Ihm all diese Wahrheiten zu sagen würde ihn in den Selbstmord treiben. Liebe stehe ich dort an der Klippe und ersehne mir den Fall herbei.

"Erin-Schatz? Alles in Ordnung? Du siehst müde aus." Ermüdet vom Leben.

Ich ließ mich tief in den Sitz sinken und legte meinen Kopf in den Nacken. "Alles gut."

Mein alter Herr nahm eine Hand vom Lenkrad um mir fürsorglich auf mein Knie zu tätscheln. "Wir sind bald Zuhause, dann kannst du in Ruhe schlafen."

"Mhh", murmelte ich zustimmend und schloß meine Augen. Um ehrlich zu sein, war ich tatsächlich müde.

"Hey", hörte ich meinen Vater leicht lachen, "Lass mich hier nicht allein."

Schläfrig legte ich meine Hand auf die seine, sah in seine Richtung und verkniff mir ein Kommentar der unbedacht gewesen wäre. "Niemals, Paps", verließ es stattdessen meine Lippen und ich drückte leicht seine Hand.

Allerdings war die Verlockung einfach die Augen zu schließen und in einen erholsamen Schlaf zu fallen in diesem Moment zu groß und so schloß ich meine Augen erneut. In der Dunkelheit in welcher ich nun eingehüllt war, konnte ich spüren wie meine Atmung sich beruhigte und sanfter wurde. Es würde nur wenige Minuten brauchen und der Schlaf würde mich übermannen. Die Feier war nicht anstregend für meinen Körper, so war es nicht, allerdings auf eine komische Art und Weise für meinen Geist. Und diesem würde ich in diesem Moment gerne eine Auszeit schenken.

"Erin, wach auf."

"Paps...?"

"ERIN!"

Mit einem Mal wurde ich hart zur Seite geschleudert. Ich spürte wie mein Gesicht gegen die Fensterscheibe schlug und der Gurt sich gewaltsam in meine Brust schnitt. Der Aufprall verursachte ein schrilles Piepen in meinen Ohren und mit einem verschwommenem Blick sah ich hinüber zu meinem Vater, welcher energisch versuchte das Lenkrad umzuschlagen. Seine Beine waren durchgedrückt, hektisch versucht die Bremse komplett durchzudrücken, so dass die Reifen ohrenbetäubend aufjaulten. Nur das Geräusch von aufeinander prallenden Metall und zersplitterndem Glas übertönte sie und ich spürte, wie der Fußraum immer kleiner wurde und das Amaturenbrett bedrohlich näher kam.

Die Luft roch unangenehm nach verbranntem Gummi und eisenhaltigem Blut und von einem Moment auf den anderen konnte ich meine Beine nicht mehr spüren.

Vor mir wurde alles schwarz, keine Regung durchfuhr meinen Körper und ich konnte meine Augen nicht mehr öffnen. Alles was ich spürte war der Schmerz der langsam meinen Nacken empor kroch und sich in meinem Gehirn festkrallte. Ich wollte schreien, wollte mir meine Lugen wund kreischen vor Schmerz, aber weder konnte ich meinen Mund öffnen noch meine Stimmbänder dazu bewegen einen Ton von sich zu geben. Und ehe ich mich wundern konnte warum mir die Kontrolle über meinen Körper so vollkommen aus den Händen glitt, war ich tot.

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⏰ Last updated: Jul 10, 2017 ⏰

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Interdimensional Green LightWhere stories live. Discover now