Sie schloss die Tür und ich sah mich im Inneren des Hauses um. Nur durch das winzige Fenster neben dem Eingang und ein weiteres an der gegenüberliegenden Wand fiel etwas Licht. Eine Öllampe stand auf dem Tisch in der Raummitte, brannte aber momentan nicht. Der kleine Raum schien Wohnzimmer und Küche in einem zu sein. An der Rückwand befand sich ein kleiner schwarzer Ofen, dessen Rohr durch die Decke führte. Ein Feuer knisterte hinter der Eisentür und verbreitete eine angenehme Wärme. Einige selbstgezimmerte Möbelstücke — Regale und Küchenschrank, Tisch und Stühle, einschließlich eines Schaukelstuhls mit einer bunten Wolldecke darauf waren die einzige Einrichtung. Eine weitere Tür rechts von mir führte vermutlich in ein Schlafzimmer. Es war zwar einfach, aber sauber, der Holzboden war gefegt und alles hübsch hergerichtet.

Mrs. Lewis betrachtete mich mit gefalteten Händen und einem mitleidigen Blick. „Ach, Sie armes Kind. Was haben Sie nur durchmachen müssen? Aber keine Sorge, jetzt ist alles gut. Ich werde gleich schauen, ob ich passende Kleidung für Sie habe. Und dann machen wir Ihnen ein schönes warmes Bad ..."

Ich ließ es über mich ergehen, zu erschöpft, um mich zur Wehr zu setzen. Sie half mir dabei, meine noch immer feuchte Lederkleidung auszuziehen und in die Wanne aus Blech zu steigen, in die sie vorher einige Kessel voll kochendem Wasser geschüttet und mit einem Eimer kalten Wasser vermischt hatte. Wie lange hatte ich schon kein warmes Bad mehr gehabt? Das fast noch etwas zu heiße Wasser verbrannte meine Haut und erweckte meinen tauben Körper wieder zum Leben. Ich dachte an die Bäder im kalten Fluss mit Wihinapa und den anderen Frauen und wieder stiegen mir Tränen in die Augen. Wie ironisch — jetzt hatte ich Heimweh nach den Lakota, obwohl ich mich, während ich dort gelebt hatte, so oft nach meinem Zuhause in Deutschland gesehnt hatte.

Mrs. Lewis fragte zum Glück nicht, warum ich weinte. Sie nahm vermutlich an, dass ich schlimme Dinge erlebt hatte ... und so war es ja auch. Aber daran durfte ich jetzt nicht denken, sonst würde ich ganz zusammenbrechen.

Nach dem Bad trocknete ich mich ab, während Mrs. Lewis einige Kleidungsstücke in ihrem Schlafzimmer für mich heraussuchte. „Ich möchte meine eigenen Sachen tragen", wehrte ich müde ab, als sie mit einem Stapel Klamotten im Arm zurückkam.

Sie schaute mich verständnislos an. „Die Indianerkleider? Aber die sind doch noch feucht. Sie werden sich den Tod holen. Kommt nicht in Frage", widersprach Mrs. Lewis, und machte dann kurzen Prozess, indem sie mich anzog wie ein Kind. Hätte sie das nicht getan, hätte ich auch nicht gewusst, was ich mit all den Lagen anfangen sollte. Da war zuerst die ungewohnte Unterwäsche, lange Unterhosen und ein Hemdchen; darüber ein Korsett, das sie so eng schnürte, dass mir die Luft wegblieb. Dann kamen mehrere Unterröcke aus steifem, festem Material, die mir bis über die Knöchel reichten, und schließlich das Kleid aus dickem, dunkelblauem Wollstoff mit einem hohen Kragen. Im Vergleich zu dem lockeren Lederkleid und den Leggings der Lakota fühlte sich diese neue Kleidung sehr beschränkend an. Ich wusste nicht, ob ich mich daran würde gewöhnen können.

„Sie haben wunderschönes Haar, Mary", sagte Mrs. Lewis sanft, während sie meine Haare kämmte und zu einem Zopf flocht, den sie mir am Hinterkopf aufsteckte.

Schließlich saß ich in Mrs. Lewis' Schaukelstuhl. Sie hatte mir vorsorglich eine Wolldecke um die Schultern gehängt, obwohl mir vom Baden noch immer warm war. Das ungewohnte Korsett schnürte mich ein und raubte mir die Luft zum Atmen, wenn ich mich zu sehr bewegte, und die Unterröcke raschelten mit jedem Hin- und Herschwingen des Stuhls.

„So, Mary, essen Sie erst einmal etwas Ordentliches." Mrs. Lewis, die sich am Herd zu schaffen gemacht hatte, trug einen Blechteller zu mir, auf dem sich gebackene Bohnen und eine Art Brötchen befanden.

Warum war sie so nett zu mir? Ich wollte nicht, dass sie nett war. Es trieb mir jedes Mal einen Kloß in den Hals. Trotzdem würgte ich das Essen herunter und fühlte mich danach ein klein wenig besser, wenigstens körperlich.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now