11 - Eine Hinrichtung

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"Dr. Fabian Rieder. Wissenschaftler, anscheinend ziemlich genial. Er hat jahrelang bei den Wettermachern gearbeitet. Sein Neffe ist von der Station gefallen und Rieders Bruder hat ihn dafür verantwortlich gemacht. Familienfehde, Morddrohungen und so weiter. Großartig passiert ist aber nichts. Bis jetzt."
Julian nickte und fixierte sich wieder auf den Assassinen, der auf seiner Markierung zu Boden gestoßen wurde, immer noch bewacht von fünf Elitekriegern. Immer wieder huschten die Augen des Mannes zu ihnen herüber. Er bäumte sich auf wie ein Tier, kämpfte gegen die Wachposten an, als hätte er wirklich noch eine Chance, seinem Urteil zu entkommen.

"Interessant. Aber etwas flach, findest du nicht auch?", fragte er Renée und konnte ihr Grinsen fühlen, ohne sich zu ihr umzudrehen.
"In der Tat. Deswegen habe ich weitergesucht."
"Und?"
"Was bekomme ich dafür, wenn ich es dir sage?"
Er drehte sich halb zu ihr um und hob die Augenbrauen.
"Was willst du denn haben?"

"Ein Date mit deiner Schwester."
Er blinzelte nur gelinde irritiert und Dominique neben ihm zuckte zusammen.
Renée grinste sie offen an und säuselte dann:
"Man lauscht nicht einfach fremden Gesprächen."
"Ihr steht neben mir", knurrte Julians ältere Schwester zurück, bevor jemand ihren Namen ausrief. Ophelia di Scitilla zog Dominique zur Seite, was Julian dazu veranlasste, hinter Anas weiten Reifröcken in Deckung zu gehen.

"Was auch immer", setzte Renée an, die Augen blitzend, "Dieser Dr. Rieder war an der Mauer. Hat für den Orden gearbeitet."
"Du warst fleißig", bemerkte er mit einem schrägen Blick. Die Chose schien sie deutlich mehr zu interessieren, als sie zugeben wollte.
"Worauf du wetten kannst", kam es zurück.
Sie kam noch näher, als Ophelia verschwand, Dominique wieder herüberkam und Julian sich endlich aufrichten konnte.
Taft und warme Haut in seinem Rücken.

"Er ist von der Mauer abgehauen. Die Hohe hat ihm die Knochenschwestern hinterhergeschickt."
Julian legte den Kopf schief, nun endgültig misstrauisch.
Die Knochenschwestern? Die Hohe hatte ihre Bluthunde auf einen Wissenschaftler angesetzt?
Was hatte dieser Mann nur getan, um den Zorn des religiösen Oberhaupts der letzten Stadt auf sich zu ziehen? Hatte gar die Hohe den Farblosen beauftragt? War sie dafür verantwortlich, dass er vor den Füßen der Königsfamilie auf dem Teer kniete und vor laufender Kamera hingerichtet werden sollte?

"Interessant", murmelte der Kronprinz, „wirklich sehr interessant."
Die beiden jungen Adligen sahen sich an, zwei Köpfe, die Intrigen ausheckten und mögliche Verbindungen zwischen all diesen Ereignissen knüpften. Es war mit Abstand das spannendste, was seit einiger Zeit geschehen war.
Ein Wissenschaftler, der jetzt unter dem Schutz des Königs steht und von den Sternenpredigern verfolgt worden ist, dachte Julian, bemerkenswert brisant.

"Ist Euch kalt, Lady Chirouelle-Avalinis?"
Miaserus Alessandrini schwenkte Wein in einem Becher und beobachtete seinen Sohn und dessen Verlobte mit milder Missbilligung.
Julian verkrampfte sich, während Renée einen Schritt zurücktrat.
Abneigung in ihren Augen, während in denen des Kronprinzen Hass erblühte.
"Oh ja, Eure Majestät", sie lächelte und knickste wie das dumme Huhn, das sie vor dem Hof und der ganzen Stadt spielte.

Der König musterte sie von Kopf bis Fuß, drückte seinen Becher einem vorbeilaufenden Gelben in die Hand und stellte sich neben seinen Sohn. Julian schoss eine Gänsehaut über den Rücken.
Er wollte nur noch wegrennen, sich irgendwo einschließen, wo ihn dieses weiße Lächeln und diese eishellen Augen nicht finden konnten.
Es würde nicht lange dauern, dann könnte er wieder verschwinden.

Die Kameras wurden eingeschaltete, jemand zählte einen Countdown herunter.
Und Miaserus begann seine Ansprache.
Unsere schöne Stadt.
Schmutz.
Duldung.
Gnade.
Die Worte zogen an Julian vorbei, während er mit hoch erhobenem Kinn dastand und in die dunklen Augen der Kameras starrte.
Sein Gesicht wurde auf jeden Screen in der Stadt gebannt, schön und unnahbar.

Am liebsten hätte er die Augen verdreht, als Miaserus das bisschen Patriotismus in den Menschen wach rief, das man noch hatte, wenn man in der Stadt der letzten Menschen auf dem Planeten lebte.
Sie schleiften den Farblosen zum Richtblock.
Die Menschen, hauptsächlich Gelbe und die wenigen Braunen und Roten, die man für die Hinrichtung zu Präsentationszwecken in den Kern geholt hatte, verlangten brüllend den Tod des Assassinen, obwohl sie ihn gar nicht kannten.
Er war namenlos.
Ein Kind von Farblosen, unregistriert und vergessen.
Ein Geist.

Er weinte nicht, schrie nicht und wehrte sich genauso wenig, als der Henker sein Kinn auf den Stein knallte und die glimmende Plasmaklinge hob.
Starrte fast genauso emotionslos und ernst in die Kameras wie Julian es tat. Er durfte nicht blinzeln, als es geschah. Eine Hinrichtung heute, eine Hochzeit morgen, all das würde sein Vater ausstrahlen lassen, um sein Volk beschäftigt zu halten.
Als sie die Kameras letztendlich ausmachten, hakte sich Renée bei ihm unter.
Beide waren ernst geworden und doch tiefer getroffen, als sie zugeben wollten.

"Zu den Soldaten?", fragte sie, aber er schüttelte den Kopf und wollte gerade etwas erwidern, als etwas auf der anderen Seite des Platzes seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Sie waren zu viert, alle in strahlendes weiß gekleidet, als wären sie gerade vom Firmament herabgestiegen. Der Kronprinz erkannte die Knochenschwestern hinter May Silencia, der Schülerin der Hohen.
Still und wütend standen sie alle da, während jemand Kopf und Körper des Toten wegbrachte.

"Ich würde wirklich zu gerne die Unterschrift auf dem Vertrag dieses Assassinen sehen", murmelte Renée nur.

Atemwolken, genauso weiß wie das Haar und die Mäntel der hohen Damen, kräuselten sich vor ihren Mündern in der Luft.
Julians Augen wurden schmal, während sein Vater den leeren Weinkelch in die Hand nahm und den Sternenpriesterinnen zuprostete.

"Oho! Da hat sich jemand Probleme eingebrockt", kommentierte Renée im Flüsterton. Dann holte sie zischend Luft, als wäre ihr gerade etwas eingefallen und fragte:
"Ist die Hohe überhaupt hier?"

Julian schüttelte langsam den Kopf, immer noch mehr interessiert als geschockt. "An der Mauer."
Die beiden sahen zu, wie die Killer der Hohen und die wohl klügste Hackerin des Kerns sich umwandten und über die Pflastersteine davon gingen.
"Sterne, sie werden ihm die Hölle heiß machen", flüsterte Renée kopfschüttelnd.
"Das tut ihm mal wieder gut", entgegnete Julian. Sein Vater war sehr kühn, was seine momentanen politischen Manöver anging. Wenn man ihn fragte, war es schon lange an der Zeit, dass die Hohe dem König auf die Finger klopfte.

In Julians Augen tanzten bittere Flammen, während er sich von den hohen Damen abwandte.
Sein Vater ließ den Becher demonstrativ auf den Boden fallen, sobald Ordensdamen verschwunden waren, verbeugte sich spöttisch in Julians Richtung und ging flankiert von Frostgardisten in Richtung Park davon.
Renée hakte sich bei ihrem Verlobten unter und riss so seinen Blick vom Rücken des Königs los.
"Zu den Soldaten?", fragte sie noch einmal, während er in einen so schnellen Schritt verfiel, dass sie Laufen musste und wahrscheinlich in den hohen Schuhen hingefallen wäre, wenn sie sich nicht an ihm festgehalten hätte. Sie hätte ihn angeknurrt, wenn er nicht diesen Ausdruck in den Augen gehabt hätte. Wie ein verletztes Tier auf der Flucht.

Sie verschwanden in einem Säulengang, ihr Rücken an kaltem Stein, während er sich sammelte.
"Ich will so weit weg von ihm, wie ich kann."
Renée verzog den Mund und starrte einen Moment auf ihre Handschuhe. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, was das bedeutete.
"Du musst nicht mitkommen."

Sie warf ihm einen scharfen Blick zu.
"Ohne mich gehst du da draußen drauf. Vor allem sturzbesoffen."
Er legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch.
"Ich kann ihn nicht ansehen."
"Ich weiß."

Langsam nickend fuhr er sich mit den Händen über das Gesicht, bevor er wieder den Blick hob und den ihren traf.
"Es ist eine schreckliche Idee, oder?"
"Was fragst du überhaupt noch?"
"Kommst du mit?"
Ihre Mundwinkel bogen sich nach oben und sie boxte ihm in die Schulter.
"Was sonst?"

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