Schon immer war sie auf der Flucht. Seit sie denken konnte, musste sie vor irgendwem davonlaufen. So war es halt und das war nie wirklich einfach. Doch das sie ausgerechnet von ihm hier gefunden wurde, hätte sie niemals geglaubt. Sie rannte quasi um ihr Leben, während dieser Mistkerl mit dem überlangen Mantel genau hinter ihr her stiefelte und wütend vor sich hin brüllte. Es regnete in Strömen und durchnässte den Laubwaldboden in Sekundenschnelle. Das Mädchen trug nichts weiter als einen ausgebeulten, inzwischen bereits klitschnassen Kapuzenpullover. Sie rannte aber trotzdem einfach weiter, stolperte wie ein frommes Lamm über Stock und Stein und fiel dabei sogar ziemlich schmerzhaft auf ihre Knie. Stöhnend rappelte sie sich wieder auf und musste sich an einen Film erinnern.
Allererste Regel in einem Horrorfilm? Niemals hinfallen!
Auf einmal, ziemlich plötzlich sogar ertönte die basstonartige Stimme des Mannes hinter ihr, der sie verfolgte. Die Stimme klang so nah, so bedrohlich, dass es sie einfach nur schüttelte. Doch das war ein großer Fehler. Für einen Moment war sie abgelenkt, schaute nicht auf die Bäume, nicht auf das Gestrüpp und gelangte krachend in einen ausgedorrten Dornenbusch. Sie verkniff sich einen lauten Schmerzensschrei und verharrte in den fiesen Ästen. Sie spürte wie die Dinger sich tief in ihre bleiche Haut bohrten und erschauderte. Doch die Angst vor diesem Kerl war einfach größer. Größer als der Schmerz. Wie hatte er sie nur gefunden? Ihr standen bereits die Tränen in den Augen, ob vor Angst oder Schmerz wusste sie nicht. Vielleicht auch beidem? Leise hörte das Mädchen dabei zu, wie das nasse Laub laut raschelte. Ihr Herz pochte so laut. Der Regen prasselte ebenfalls wie wild auf den bedeckten Boden und erschwerte es zunehmend irgendwas zu hören. Wo war er nur? Doch in ihrem Dornenbusch war sie fürs erste sicher. Die Stacheln hatten tiefe Furchen in die Haut geritzt, selbst ihre Stirn brannte wie ein übler Juckreiz.
Nachdem sich ihre Atmung etwas beruhigt hatte und ihr von den Schmerzen schon ganz schummerig wurde, entschied sie sich aus den Dornen zu befreien. Doch das war gar nicht so einfach, vor allem nicht schmerzfrei.
Sie stöhnte leise, als sie einen ganzen Dornenast aus ihrem Unterarm befreite. Das Blut lief in ihrem Handgelenk hinab, wurde aber sofort vom Regen weggespült und träufelte zu einer kleinen Pfütze auf dem Boden zusammen. „Shit", murmelte sie, schluckte tapfer und zog sich den nassen Ärmel über die Wunde. Die Schmerzen in der Stirn und in den Wangen wischte sie einfach beiseite und taumelte den Trampelpfad entlang.
Sie war so erschöpft und müde. Völlig kaputt und ausgelaugt. Wie lange war sie denn bereits unterwegs? Vier oder fünf Tage bestimmt schon. Und dann direkt am Ziel tauchte er auf und zerstörte alles. Sie hatte Pech. Eigentlich immer. Schon als sie klein war, hatten sich die Menschen immer gegen sie gewendet. Ihre Eltern kannte sie nicht einmal. Keine Geschwister, keine Freunde. Mehr. Sie hatte keine Freunde mehr.
Während sie vor sich hin strauchelte, hungrig und total fertig, bemerkte sie das kleine Holzhaus mitten im Wald erst ziemlich spät. Eine Fata Morgana? Wenn möglich? Könnte doch sein, in der Wüste, kurz vorm Ende, sah man doch auch solche Dinge. Warum also nicht auch dann, wenn der Himmel über einem zusammenbrach, es einem total scheiße ging und man am ganzen Körper Schnittwunden hatte? Dieses Haus konnte nicht wahr sein, dass wäre ihre Rettung. Als sie näher ging, stieß sie vor Freude einen kleinen Jubelruf aus, zuckte dann aber qualvoll zusammen. Sie nahm nun ihren schmerzenden Körper in die Hand und rannte drauf los, als würde es um ihr Leben gehen. Es war quasi ja auch so.
Ihre Euphorie wurde kurzerhand wegen der verschlossenen Tür gestoppt. Und jetzt? Sie rollte mit den Augen, schlug dagegen, rüttelte an der verflixten Holztür. Vergebens. Überall suchte sie nach einer Möglichkeit, um irgendwie da hineinzukommen. Vielleicht könnte sie auch einfach auf der Veranda schlafen? Aber es war doch echt verdammt kalt. Sie fröstelte stark. Der Wind nahm zu und sie wollte ehrlich einfach nur noch schlafen. Sie ging um das Haus herum, kniff die Nase und die Augenbrauen finster zusammen, weil sie wieder in den Regen musste und suchte nach einem Möglichen Eingang. Den sie Sekunden später tatsächlich fand, an einem offen gelassenen Badezimmerfenster, wie sie beim hineinklettern bemerkte. Ein chaotisches Bad wohl gemerkt. Überall lag schmutzig Wäsche herum, dreckige Handtücher. Der Spiegel war auch nicht der sauberste. Aber für sie war es ein Traum. Sie ging aus dem Raum, um in einen weiteren zu gelangen. Dort schaltete sie mit wild schlagenden Herzen das Licht an und stand in einem Wohnzimmer. Was wenn hier irgendwo jemand war? Vielleicht in den oberen Zimmern? Denn zweifelsohne gab es einen weiteren Stock, das Haus war groß genug. Ihr kam die Frage auf, wer denn echt so verrückt war und hier wohnen konnte. Mitten in einem Wald.
Sie schaute sich in dem geräumigen Wohnzimmer um. Eine große Sofalandschaft stand direkt vor einem überdimensionalen Fernseher. Auch auf dem dunklen Couchtisch sah es wüst aus. Leere Bierflaschen und Pizzakartons stapelten sich darauf, Chipstüten und volle Aschenbecher ebenfalls. Kein schöner Anblick, aber sie war es ja nicht anders gewohnt, von da wo sie vor kurzem noch gelebt hatte, sah es viel schlimmer aus.
Selbst im Haus hörte man den Regen noch heftig gegen die Außenwände und das Dach schlagen. Hatte das denn nie ein Ende?
Sie suchte jeden einzelnen Raum ab und musste sich dabei eingestehen, dass sie es hier ziemlich gut erwischt hatte. Eine Hammer Regenwalddusche und zwei Schlafzimmer mit riesigen Betten, wurde ihr geboten. Aber alle waren leer. Zum Glück. Im Bad hatte sie doch eine Heizung gesehen, oder? Sie rannte wieder runter und schaltete überall das Licht ein. So fühlte sie sich wesentlich sicherer, dabei wusste sie nicht einmal weshalb. Unten stellte sie die Heizung auf volle Pulle und entledigte sich von ihren nassen Klamotten, bis sie nur noch in Unterwäsche im Bad stand. Sie legte ihre Sachen zum Trocknen über die Heizung und suchte eine Decke für die Nacht. So müde wie sie war, würde sie augenblicklich, sobald ihr Kopf irgendwas Weiches berührte, ins Land der Träume abdriften.
Sie legte sich mit einer dünnen Fleece-Decke auf die Couch, die sie auf einem Stuhl gefunden hatte und schaltete mit einem leicht mulmigen Gefühl im Bauch den Fernseher an. Der Besitzer würde es bestimmt gar nicht gutheißen, wenn sie seinen Besitz benutzte. Doch bevor sie sich überhaupt durch die Kanäle zappen konnte, schlug sie bereits ihre Augenlider nieder und schlief tief und fest, wie auf einer Wolke gebettet auf. Nur um dann irgendwann, unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde.
To be continued...
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NO WAY
RomanceBei heftigen Sturm bricht Emma Hamilton in ein Haus ein, um sich zu verstecken. Dass sie sich ausgerechnet in das Haus von Bad-Boy Zac Thompson gerät, konnte ja keiner ahnen. Sofort hegen die beiden eine starke Abneigung gegen einander. Er, der sch...
