Meine Mutter schüttelte ihren Kopf und stand vom Krankenbett auf. Schnappte sich das Tablett von meinem Beistelltisch und sammelte benutzte Gläser. »Lächerlich, wie du versucht, das Ganze auf Ünal zu schieben.«

»Was?!«

Sie stellte sich an das Ende meines Bettes und starrte gelangweilt zu mir herab. »Du musst das nicht tun, kızım. Du musst nicht lügen.«
»Ich lüge nicht. Es ist die W-«
»Wieso!« brüllte meine Mutter plötzlich und brachte das Tablett mit dem Geschirr in ihren Händen zum Klappern. Ihr Geschrei hatte sich abgesetzt und sie fuhr fort, ehe die Ruhe von mir gestört werden konnte.

»Wieso? Wieso sollte Ünal, erstens, sein eigenes Fenster einschlagen. Zweitens. Wieso sollte Ünal dein Laptop und deine Kamera kaputt machen. Drittens. Wieso sollte Ünal, unser Ünal« betonte sie und hob eine Augenbraue hoch »Wieso sollte er dich danach packen und in einen Laden zerren? Mitten in der Nacht?«

Mit offenem Mund bewunderte ich das hinterlistige Werk einer ganz bestimmten Person. Ünal hatte seinen Job gut hinbekommen und hatte Banu super überzeugt. Er hatte alle Assen im Ärmel und spielte belanglos gegen meinen Schlussstrich.

»Er hat deinem Vater bereits alles erzählt« fuhr sie fort »Wie du ausgerastet bist, dass du alleine mit Banu nach Istanbul fliegen müsstest. Weißt du, so warst du schon immer.«
»Entschuldige mal- Was?!«
»Als Kind hast du es nie gewollt, dass Banu mit zu Elvans Geburtstag kommt. Ich dachte immer, dass du dich geändert hast, aber scheinbar bist du immer noch die Selbe.«

»Also glaubst du diesem Aggro? Aber nicht mir? Deiner Toch-«
»Du kannst nicht klar denken. Anstatt dich bei Ünal zu bedanken, dass er deinen Hintern gerettet hat und diesem kranken Psycho keine Anzeige für das kaputte Fenster erstattet hat, nutzt du diese Gelegenheit, um alles auf Ünal zu schieben.«
»Nein, Mama!!«
»Sei nicht so bockig, Züleyha und gib es zu. Du bist zu unreif, um diese Verlobung durchzuziehen. Sprich es einfach aus und gut ist's.«

(zwei Monate später)

»Bist du aufgeregt?«
»Oh mein Gott, total.«
»Nur ein bisschen Salz, sonst kotzt er!«
»Kein Tabasco! Bist du verrückt?«

Die Kapazität unserer kleinen Wohnung war mehr als ausgelastet. Als ob die stickige Hitze im Mai nicht reichen würde, saßen locker fünfzig Menschen verteilt im Wohnzimmer, im Flur und sogar auf unserem Balkon.

Die Familie Eşkazan war im Namen Mahmuds gekommen, um die Hand von Banu anzuhalten. Meine Schwester hatte es durchgezogen und meine derzeitige Unbeliebtheit genutzt, um unsere Eltern davon zu überzeugen, dass sie es ernst meinte.

Nachdem Banu ihrem Zukünftigen, Mahmud, seinen salzigen Kaffee überreicht hatte und das Söz abgeschlossen wurde, war es Zeit für das Essen. Ich weigerte mich zusammen mit Ünal Eşkazan am selben Tisch zu sitzen, also begab ich mich in die Küche und stocherte in meinem Nudelsalat herum.

Freuen konnte ich mich für Banu kaum. Nach all dem, was sie gegen mich getan hatte, konnte ich außer Enttäuschung nichts für sie empfinden, obwohl ich mir Mühe gab ihr zu vergeben.

»Kann ich bitte 'ne neue Gabel haben?« hörte ich plötzlich Ünal fragen. Er stand im Türrahmen der Küche und winkte mit einer Gabel in der Hand.
Iss doch mit deinen Händen, dachte ich innerlich.

»Dort ist die Schublade« antwortete ich und trank aus meinem Glas. Langsam lief er zur Theke, aber ich bemerkte, dass sein Blick immer noch an mir hing. Gerade, als ich hoffte, er würde einfach verschwinden, atmete er ein und redete.

»Hab gehört, du hast deine Bachelorarbeit fertig geschrieben...«

Ich strengte mich an und versuchte nicht in seine Richtung zu schauen. Daran musste ich mich wohl gewöhnen. Durch Banu würde er alles aus meinem Leben mitbekommen, ob ich es wollte, oder nicht. Dennoch konnte ich entscheiden, wie ich ihm gegenüber handelte. Deshalb ignorierte ich seine Bemerkung und trank wieder aus meinem Glas. Ünal stöhnte genervt und öffnete die Schublade. Kurz darauf wandte er sich aber wieder zu mir und begann zu fragen.

»Also, fliegst du mit Banu und Mahmud mit nach Istanbul, nächste Woche?«

Wieder ignorierte ich ihn und betrachtete meinen Teller. Wie lange würde er denn brauchen, um die Küche zu verlassen? Früher oder später müsste er verstehen, dass er es vergessen sollte. Nach all dem, was er getan hatte...

»Was hast du gestern wieder in Südstadt gemacht?« wollte er plötzlich wissen.
»Kümmer dich um deinen eignen Mist, Ünal!« fauchte ich flüsternd, damit unsere Familien im Esszimmer nichts hörten »Verfolgst du mich etwa?«

Ünal kam an den Küchentisch und nahm gegenüber von mir Platz auf einem Stuhl. »Sei nicht so laut, sonst hören sie uns.« Ich konnte es nicht fassen, wie er sich einfach einbildete, wieder in meinem Leben zu sein.

»Und, nein« meinte er locker »Es gibt andere Wege, zu wissen, wo du dich gerade befindest.«
»Was bildest du dir eigentlich ein?«
»Gar nichts« er verschränkte seine Arme vor seiner Brust und grinste frech.

Das war's. Meine Geduld war am Ende und ich verstand nicht, wieso ich mir das noch länger gefallen ließ. Ich stand auf und nahm meinen Teller und Besteck. Gerade als ich sie in die Spüle gelegt hatte, spürte ich Ünals Anwesenheit dicht hinter mir. Ich drehte mich um und erschrak, weil Ünal nun direkt vor mir stand. Schnell hob er seine große Hand an meinen Mund, da ich kurz davor war, vor Schreck zu schreien. Er blickte zu mir runter und kam einen weiteren Schritt näher. Mit meinen Händen versuchte ich ihn mit aller Kraft wegzudrücken, aber er schaffte es sich dagegen zu lehnen.

»Ich wollte doch nur kurz etwas sagen, aber du zappelst wie immer rum« meinte er gelangweilt und entfernte seine Hand.

»Sag es und verschwinde!!« flüsterte ich wütend.

Ünal schmunzelte kurz und lief rückwärts zurück zur Tür. Mit der Gabel in seiner Hand winkte er mir zu und sagte

»Ich fliege mit nach Istanbul.«



*kızım bedeutet meine Tochter

Sprechende HändeWhere stories live. Discover now