„Aber er wird sich niemals von seiner Schwester trennen."

Bevor ich meinen Mund wieder zumachen und etwas erwidern konnte, trieb er seinen Grauschimmel an und ritt weiter. Ich starrte ihm eine Weile stirnrunzelnd hinterher. Was sollte das denn jetzt?

Ich vergaß die Begebenheit schon bald, als wir uns dem Lager näherten. Die vertrauten Zelte und die dazwischen herumwuselnden Menschen zu sehen, löste ein warmes Gefühl in meinem Bauch aus. Es war wie nach Hause kommen. Wie konnte mir das alles nach nur wenigen Monaten schon so sehr ans Herz gewachsen sein?

„Morgen brechen wir auf", sagte Ohitika, als wir gemeinsam zu unserem Tipi gingen, wo Wihinapa wartete. „Das sollte uns genug Zeit geben, bevor der erste Schnee fällt. Es ist nur etwa einen Tagesritt von hier entfernt."

Ich nickte und eine Welle der Aufregung durchflutete mich.

Am Morgen erwachte ich noch vor Sonnenaufgang und griff nach meinem Rucksack, den ich schon am Abend zuvor gepackt hatte. Ich lächelte Wihinapa zu, die verschlafen von ihrem Lager zu mir hin blinzelte. „Wir sind bald wieder zurück. Ich verspreche es."

Dann folgte ich Ohitika nach draußen. Kalte Luft schlug mir entgegen. Es roch bereits nach Winter, aber meine weiche Lederkleidung wärmte erstaunlich gut. Bald würde es Zeit für die Fellmokassins und Büffelpelzkutten sein. Bei der Pferdeherde wartete eine lange Gestalt auf uns. Es war Häuptling Mazzukata. Ich blieb vor ihm stehen und hatte auf einmal die unbegründete Angst, dass er uns doch nicht gehen lassen würde.

„Malie wird uns verlassen?"

„Nein. Ich komme wieder", versicherte ich ihm.

Er nickte zufrieden. „Gut, denn auch wenn deine Haut bleich ist und dein Haar hell, so bist du doch eine von uns geworden und dich wiederzusehen würde meine Augen und mein Herz erfreuen, Ite-ska-win."

Ich nickte verlegen. Mazzukata verlor kein weiteres Wort des Abschieds. Er trat uns aus dem Weg und ging.

„Ite-ska-win?", fragte ich Ohitika leise, während wir unsere Pferde bepackten. Wir nahmen wieder das Jagdzelt und einigen Proviant mit, den Wihinapa mir liebevoll eingewickelt hatte. „Hat er damit mich gemeint?" Der Name bedeutete Helles Gesicht.

„Hau, das hat er. Er hat Malie einen neuen Lakota-Namen gegeben."

„Aber ich hatte doch schon einen", sagte ich verwirrt. „Wakinyan-hihunji-win."

Ohitika lächelte verhalten. „Nun hast du einen neuen. Und er passt zu dir."

„Ah." So einfach wurde man hier also umbenannt ... Trotzdem freute ich mich, denn es zeigte mir, dass der Häuptling genug auf mich hielt, um sich über meinen Namen Gedanken zu machen. Und Ohitika hatte recht, der Name passte zu mir, wenn er auch nicht unbedingt schmeichelhaft war — wie oft hatte ich mich darüber beklagt, dass ich wegen meiner hellen Haut so leicht Sonnenbrand bekam und nie richtig braun wurde!

Wir saßen auf und ritten zunächst den Weg zurück, auf dem der Wanderzug vor einigen Wochen gekommen war, um das geschützte Tal zu erreichen. Schweigend folgte ich Ohitika auf seinem Schecken und freute mich darüber, mein eigenes Pferd zu haben. Patches war ausdauernd und zäh, wie alle wilden Mustangs. Ich genoss den Weg durch die morgendliche Bergwelt. Früher war ich kein Wanderfreund gewesen, ich fand es langweilig, ohne mein Handy oder sonst irgendeine Unterhaltung in der Natur herumzustapfen. Mittlerweile verstand ich, was meine Eltern daran gefunden hatten.

Jetzt, da ich seit Monaten alle Ablenkungen meines alten Lebens abgelegt hatte, spürte ich plötzlich ein tiefes Gefühl der Verbundenheit mit allem um mich herum. Aufsteigende Nebelschwaden webten sich um Moose und Farne, als die ersten Sonnenstrahlen durchs Geäst fielen und die Tautropfen auf den Blättern aufblitzen ließen. Bei jedem Schritt, den die Mustangs machten, füllte sich die Luft mit dem Aroma von Kiefernnadeln. Ein Eichhörnchen keckerte uns an und flitzte am Stamm einer Buche hinauf, auf der sein grauer Pelz kaum sichtbar war. Ich fühlte mich so weit und frei, als ich alles in mich aufnahm, es wirklich an mich heranließ. Meine Brust hob sich stärker und Tränen traten mir in die Augen, obwohl ich nicht wusste, weshalb. So etwas hatte ich noch nie empfunden. Es war, als hätte mein Herz sich geöffnet. Ich hatte mir vorher nie erlaubt zu sehen, wie schön die Welt war. Und wie auch — eine Stadt mit ihren grauen Häusern und lärmenden, stinkenden Autos lud nicht gerade dazu ein, innezuhalten und das Schauspiel zu genießen.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now