Der Jüngling und der Blick zurück

Start from the beginning
                                    

„Die Frage ist eher, was du hier tust", entgegnet sie bedächtiger. „Du und der Prinz, ihr habt eine Aufgabe."

„Der Prinz hat eine Aufgabe", verbessert er sie, „Ich gebe nur auf ihn Acht."

Sie hebt die Augenbrauen in stummer Anklage, aber sie sagt nichts weiter als ein leises, seufzendes: „Oh, Taris."

Er will sich nichts sagen lassen von ihr. Sie hat ihm nichts zu sagen – sie war ein Kind wie er, als sie sich das letzte Mal gesehen haben, sie hat keine Ahnung von all dem, was hinter ihm und Altair liegt, sie hat kein Recht, sich in ihr erstes, ewiges Stück Ruhe zu drängen.

Aber es ist längst geschehen und als Altair schließlich zu ihnen hinunterstürmt und sie dort sitzen sieht, Eianda mit dem selbstzufriedenen Grinsen auf dem Gesicht, da weiß er genauso wie Taris, dass die Ewigkeit ihr Ende gefunden hat. Sie können die Welt und die Zeit nicht für immer anhalten, so gerne sie es tun würden.

***

Altair sieht Eianda an wie einen Geist, den Rest des Abends hinweg, so bereitwillig er auch das Bett für sie räumt und mit Taris unten auf dem Küchenboden schläft. Es bessert sich am nächsten Morgen nicht und Taris kann ihm noch so heftig den Ellbogen in die Seite stoßen, Altair redet nicht mehr als ein paar höfliche, nötige Worte mit ihr.

„Du solltest nach den Tieren schauen", sagt Taris schließlich zu ihm und als er ohne weitere Worte den Turm verlässt, versucht er Eiandas spöttischen Blick dabei zu ignorieren.

„Du hast ihn gut dressiert, deinen Prinzen", bemerkt sie, als Altair draußen ist und Taris spürt, wie ihm warm wird.

„Komm mit", sagt er tonlos und zieht sie ein wenig gröber als beabsichtigt ebenfalls nach draußen, in die entgegengesetzte Richtung vom Stall und dann hinunter zum Meer.

„Wenn ich geahnt hätte, dass man hier an Land gehen kann, hätte ich mir den Weg durch die Ödnis sparen können", seufzt sie, als sie die Bucht überblicken kann. Sie bemerkt Taris' erstaunten Blick und zuckt vergnügt mit den Schultern. „Denkst du etwa, ich wäre den ganzen Weg hierher zu Fuß gelaufen? Das hätte eine halbe Ewigkeit gedauert!"

Sie hebt ihre hohle Hand zum Mund und wispert etwas hinein und als sie die Finger spreizt wird Taris von einem starken Wind fast umgeblasen.

„Und es geht schneller, wenn das Meer auf deiner Seite ist", sagt sie grinsend.

Taris streicht sich die Haare aus der Stirn, die ihr Wind durcheinander gebracht hat.

„Ich dachte, du hältst nicht viel von Vergessenen Worten", sagt er.

Ihr Grinsen verkrampft sich und ihr Blick wandert nach vorne, zum Meer.

„Dinge ändern sich", entgegnet sie. „Sie kann einiges richten, die Vergessene Kunst. Nicht alles, aber einiges."

„Was ist mit Nemeris?", fragt Taris, auch wenn er ahnt, was die Antwort sein wird.

„Sie ist tot", antwortet Eianda, ihre Stimme ruhig und gefasst, obwohl sie ihn immer noch nicht ansieht.

„Es tut mir Leid", murmelt er. „Sie war ... ohne sie wäre der Prinz nicht geheilt worden."

So schnell, dass es Taris erschreckt, zuckt ihr Kopf zu ihm zurück.

„Du hast keine Ahnung, wie viel sie für dich getan hat, nicht wahr?", fragt sie scharf. „Du denkst, sie hat euch geheilt und versorgt und davon geschickt, und dann habt ihr nicht mehr an sie gedacht."

„Das ist nicht ...", beginnt Taris, aber irgendetwas in ihr ist mit seinen vorsichtigen Worten gebrochen und die Worte quellen peitschend und ungebrochen aus ihr hervor.

„Wir haben das Haus nur wenig später verloren, weil Calreds Männer misstrauisch waren, wir mussten genauso flüchten wie ihr. Aber meinst du, Nemeris hätte es gekümmert?" – Eianda lacht bitter auf – „All ihre Kraft hat sie hinter euch hergeschickt, damit euch kein Leid geschieht. Manchmal hat sie tagelang nicht geschlafen, weil sie so darauf versessen war, ihre Vergessenen Worte in den Wind zu flüstern, damit sie euch einholen. Die letzten Monate, sie waren die schlimmsten, sie hat ihren Blick kaum von der Kunst trennen können, nur noch von Schicksal und Vergessen und Legenden gemurmelt, bis kurz bevor ..."

Die junge Frau stockt und Taris sieht die Tränen in ihren Augen, die ihn selbst mit Verlegenheit erfüllen.

„'Es ist meine Aufgabe, ihn darauf vorzubereiten', hat sie gesagt", fährt Eianda fort. ‚Wenn wir auf unser Leben zurückblicken, dann haben wir erstaunlich selten eine Wahl, was mit uns geschieht.' Danach hat es nicht mehr lange gedauert, bis sie zu atmen aufgehört hat."

Taris schluckt.

„Ilfrid hat uns das gleiche gesagt, kurz bevor er gestorben ist", murmelt er und Eianda wischt sich rasch die Tränen aus den Augen, grob und fahrig mit dem Ärmel, bevor sie ihm ein schwaches Grinsen schenkt.

„Ich habe dir doch gesagt, dass sie sich geliebt haben."

Fragen, die Taris längst vergessen hat bekommen plötzlich ihre Antwort und ganz egal warum sie hier ist und was sie von ihnen verlangt, er ist froh, dass Eianda gekommen ist.

Der Vergessene PrinzWhere stories live. Discover now