Er machte eine kurze Pause und blickte auf den halb bemalten Schild hinunter. Ich wartete geduldig darauf, dass er weitererzählte.

„Die Mutter und der Vater des jungen Kriegers erzählten ihrem Sohn von meinem Traum und er erzählte es wiederum seinen Gefährten. Sie hielten Rat ab und beschlossen schließlich, dennoch loszuziehen."

„Obwohl sie wussten, was auf sie zukam?" Ich konnte mich nicht zurückhalten, die Frage zu stellen.

Tatanka Wakons Augen lächelten leicht, auch wenn sein Gesicht ernst blieb. „Die Arroganz der Jugend. Wir alle glauben, dass wir dem Schicksal einen Streich spielen können. Diese jungen Männer wollten Vorkehrungen treffen, damit meine Vision nicht eintreffen würde. Sie glaubten, das Wissen würde sie in ihrem Vorhaben sogar stärken. Tatsächlich waren sie siegreich im Kampf gegen die Crow und raubten ihnen viele Pferde. Und auf dem Weg zurück zu unserem Lager malten sie sich aus, wie man sie empfangen würde. Wie alle sie dafür beglückwünschen würden, dass sie sich trotz der Voraussage dem Kampf gestellt hatten, dass sie dem Tod ins Auge geblickt und ihm dennoch ausgewichen waren. Sie waren nur noch einen Tagesritt von unserem Dorf entfernt, als sie Halt machten, noch bevor die Sonne den westlichen Horizont erreicht hatte. Sie fühlten sich schwach und müde, deshalb legten sie sich auf den Boden, um zu rasten. In der folgenden Nacht ging es ihnen allen furchtbar schlecht. Sie erbrachen sich und kamen kaum davon ab, sich in die Büsche hocken. Sie wurden immer schwächer und kranker und konnten sich nicht einmal mehr bis zu unserem Dorf schleppen. Erst als eines der Pferde sich losriss und zu unserer Herde kam, machten wir uns auf die Suche nach ihnen. Wir fanden sie alle, still und bleich auf dem Boden liegend, wie in meiner Vision."

Ich schlug eine Hand vor den Mund. „Sie waren tot?"

Tatanka Wakon nickte gewichtig. „Viele im Dorf glaubten, dass Wakan Tanka sie mit einer Krankheit dafür gestraft hatte, sich gegen seinen Willen zu stellen. Doch ich weiß, dass die Crow ebenfalls diese Krankheit hatten — denn wir hörten viel später, dass ihr Dorf der Verwüstung anheimgefallen war. Vielleicht war es eine Krankheit, die die Waschitschu über sie gebracht hatten. Wie dem auch sei; durch dieses Ereignis verstand ich, dass wir die Zukunft nie vollkommen voraussagen können. Wir mögen Splitter davon sehen, doch nie das ganze Bild, und es kann sein, dass wir es falsch interpretieren. Was zu geschehen bestimmt ist, wird geschehen. Wenn Wakan Tanka wollte, dass die Zukunft für jeden sichtbar wäre, würden alle sie kennen. Doch nur wenige Menschen werden zu Geheimnismännern und erhalten Visionen. Und darin liegt auch eine große Verantwortung."

Ich schluckte und dachte darüber nach. Wahrscheinlich hatte er recht. Es war egal, was ich tat. Ob ich ihm oder Ohitika oder allen Lakota hier erzählte, was die Zukunft für sie bereithielt. Es würde nichts ändern. Die Geschichte würde trotzdem ihren Lauf nehmen. Und ich sollte mich darauf konzentrieren, wieder in meine eigene Zeit zu kommen, bevor ich die Gelegenheit hatte, die Vergangenheit so zu verändern, dass das vielleicht nicht mehr möglich war.

„Glaubst du", fragte ich, „dass die Krieger der Lakota die Waschitschu vertreiben können, so wie sie es behaupten?"

Tatanka Wakon stellte den fertigen Büffelschild zur Seite, damit die Farbe trocknen konnte, und wischte sich die Finger an einem Ledertuch ab. „Es wäre entgegen der Seele der Lakota, wenn sie es nicht versuchten", sagte er nur.

Ich seufzte und nickte.

„Danke, Großvater." Ich erhob mich.

Er lächelte sein etwas zahnloses Lächeln. „Dein Lakota ist sehr gut geworden, meine Tochter. Kommst du deshalb nicht mehr so oft in meinem Zelt vorbei?"

Ich lächelte ebenfalls. „Ich werde dich wieder öfter besuchen, wenn ich darf."

Dann eilte ich zu meinem Tipi zurück. Es war leer, die Gelegenheit war günstig. Wihinapa war wohl gerade Holz sammeln und Ohitika wieder bei der restlichen Jagdbeute. Ich schürte das Feuer in der Feuerstelle und zog mein Buch aus dem Rucksack. Mit klopfendem Herzen schlug ich die Seiten auf, in denen die ganze Geschichte der Sioux abgehandelt wurde. Ich überflog sie noch einmal. Da stand, wie sich die Sioux nach der Einführung des Pferds in Nordamerika immer weiter nach Westen über die Prärien ausgebreitet hatten, wie sie dabei andere Stämme wie die Crow und Pawnee zurückgedrängt und deren Gebiet eingenommen hatten. Dann waren die Weißen gekommen und wollten das Land nehmen, das nun den Sioux gehörte. Sie schlossen Verträge ab, die sie immer wieder brachen, weil die Siedler in das Land drängten und die Goldsucher ihr Glück versuchen wollten. Die großen Häuptlinge Red Cloud und Sitting Bull und Crazy Horse führten den Kampf der Sioux gegen die Weißen an und wurden schließlich doch geschlagen, und die übrig gebliebenen Lakota wurden in Reservationen gepfercht ...

Ich begann, eine Seite nach der anderen vorsichtig herauszulösen, und hielt sie in die Flammen. Sie fingen rasch Feuer. Ich beobachtete, wie das Papier vom Feuer aufgefressen wurde, bis es in schwarzen Fetzen sanft hinuntersegelte und in der Glut liegen blieb.

* * *

Am Abend hockte ich mit Wihinapa im Zelt und wir beide warteten darauf, dass Ohitika zurückkehrte. Er befand sich bei der Besprechung der Krieger, die auf den Kriegspfad ziehen wollten. Ich dachte immer wieder an die Geschichte, die Tatanka Wakon mir erzählt hatte, und konnte mich nur schwer darauf konzentrieren, das nachzuahmen, was Wihinapa mir zeigte. Sie wollte mir das Sticken mit Stachelschweinborsten beibringen und ich hatte zugestimmt, hauptsächlich, um ihr einen Gefallen zu tun. Aber heute funktionierte gar nichts. Frustriert legte ich das Lederstück zum Üben beiseite.

„Es ist zu dunkel. Ich kann nicht richtig erkennen, was ich mache." Das war nur eine Ausrede. Das Feuer prasselte fröhlich und wir saßen nicht weit davon entfernt. Doch Wihinapa, geduldig wie immer, sagte nichts dazu und machte mit ihrer eigenen Arbeit weiter.

Ich seufzte. „Glaubst du, dass er mitgehen wird?"

„Ohitika? Er hat sich noch nie davor gedrückt, zu kämpfen, wenn es nötig war. Aber er ist nicht leichtfertig."

„Die Frage ist also, ob es diesmal nötig ist ..."

Wihinapa nickte gedankenverloren. Vielleicht dachte sie auch an Sihahanska.

„Wenn du ausziehen würdest, würdest du mich doch vorwarnen, oder?", fragte ich plötzlich.

Sie hob ihren Kopf. „Wie kommst du darauf, dass ich ausziehe?"

„Du bist alt genug, um zu heiraten", sagte ich. Jedenfalls war sie das nach Sitte der Lakota, auch wenn ich das ganz und gar nicht so sah. Sie war gerade mal siebzehn, bald achtzehn, genau wie ich.

„Sprich doch nicht von so etwas", wehrte sie verlegen ab. „Ich gehöre hierher."

Aber das beruhigte mich noch nicht. „Was ist mit Sihahanska?"

Ihre emsigen Finger machten einen Fehler und bemühten sich, ihn wieder auszubügeln. „Ich würde Ohitika nicht verlassen wollen", murmelte sie. „Er hat für mich gesorgt, seit unsere Eltern starben." Sie blickte mich an. „Und dich ... ich würde dich nicht verlassen wollen."

Ich lächelte, doch gleich darauf verschwand mein Lächeln, als Wihinapa fragte: „Aber wenn du Ohitika heiraten würdest, dann könnte ich ..."

„Was, ich?", unterbrach ich sie. „Nein, nein, nein. Nein. Ich heirate nicht."

Ihre Augen weiteten sich. „Niemals?"

„Vielleicht irgendwann", gestand ich ihr zu. „Aber nicht jetzt."

Sie legte den Kopf schief, wodurch sie auf einmal ihrem Bruder sehr ähnelte. „Magst du ihn nicht?", fragte sie unschuldig.

„Ich weiß nicht." Ich hob wieder meine Stickarbeit auf, die ich zur Seite gelegt hatte, und mühte mich damit ab, die Borsten in die richtige Position zu bringen, um sie anzunähen. Dabei merkte ich genau, wie Wihinapa mich beobachtete. „Er hat mich immer gut behandelt. Aber ... wir sind zu unterschiedlich", sagte ich. „Und ich mache ständig etwas falsch."

„Du machst ihn wütend, manchmal", gab Wihinapa zu. „Das ist gut für ihn."

Ich schaute sie überrascht an.

Sie zwinkerte mir zu. „Eine Frau, die ihm immer gehorcht, wäre nichts für ihn. Ich kenne meinen Bruder. Er liebt die Herausforderung, auch wenn er es nicht zugeben würde."

Ich musste lachen und Wihinapa lachte mit mir. Sie hatte mich also nur auf den Arm genommen, weil ich sie auch gestern mit Sihahanska aufgezogen hatte. Natürlich konnte sie nicht wirklich meinen, dass Ohitika mich als Frau in Betracht zog. Eine Herausforderung, ja, das war ich sicher. Aber nicht mehr.

Unser Gespräch wurde unterbrochen, als Ohitika hereinkam. Wir beide schauten ihn gespannt an, obwohl wir wussten, dass er uns nur etwas sagen würde, wenn er es wollte. Doch zu meinem Erstaunen setzte er sich direkt zu uns und begann ohne Umschweife: „Ich werde diesmal nicht mit den Kriegern ziehen."

Mein Herz hüpfte. „Warum nicht?", fragte ich zaghaft.

„Weil ich Malie versprochen habe, nach der Büffeljagd die Höhle zu suchen, aus der du gekommen bist. Ohitika hält sein Wort. Hau. Wir brechen auf, sobald die Jagdbeute verarbeitet ist und wir wieder bei unserem Winterlager in den Che-Sapa angekommen sind."

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now