»Du scheiß Arschloch!« fluchte Ünal plötzlich und griff Toprak an seinem Kragen »Hast du deine Sprache verloren?! Antworte mir, oder du kannst was erleben!«

»Hey!« ertönte eine bekannte Stimme aus der Ferne und wir richteten alle unsere Köpfe zum Fahrstuhl. Es war Doktor Yılmaz und er sah überhaupt nicht erfreut aus. »Was geht hier vor sich?«

Mit selbstbewussten Schritten kam er auf uns zu und versuchte die Lage zu verstehen. Ünal ließ Toprak los und drehte sich direkt zu ihm.

»Nichts, was Sie interessiert, Dok« antwortete er. Doktor Yılmaz jedoch wandte seinen Blick weg von ihm und sah zu mir, um sicher zu gehen, dass es mir gut ging. Als sein Blick an Toprak ankam, hielt er inne und seine Augen weiteten sich.

»Y-Yusuf?« brachte er raus und umarmte ihn.

Ich blinzelte mehrere Male, um zu realisieren was hier gerade passierte. Doktor Yilmaz schien ihn wohl mit jemandem zu verwechseln. Eine andere Antwort könnte es hierfür nicht geben. Aber wieso erwiederte Toprak dann diese freundschaftliche Umarmung? Yusuf?

»Du Idiot, bist also der andere Bruder« gab Ünal von sich und verschränkte seine Arme. »Dachte schon, wo ist die Narbe?«

Plötzlich löste sich Doktor Yılmaz von der Umarmung und begann, mit Gebärdensprache irgendetwas zu erzählen. Neugierig, verwirrt und wütend, weil ich nichts lesen konnte, beobachtete ich, was die Zwei zu Reden hatten.

»Ne, oder?« lachte Ünal spöttisch und schüttelte seinen Kopf »Taubstumm also?« fragte er mich und zog nachdenkend seine Augenbrauen zusammen, als ob er versuchte, etwas Kleingedrucktes zu lesen »Wie genau lernst du einen fremden Mann kennen, wenn er nicht mal sprechen kann?«

Die Krankenschwester aus dem Röntgenraum stand inzwischen an der Tür und beobachtete verwirrt, was los war. »Frau Erbay, wenn Sie dann endlich bereit wären...«

Ein letztes Mal sah ich hoch zu Toprak und im selben Augenblick, tat er das Selbe. Er nickte mir leicht zu, sein Ausdruck zuversichtlich, um mich zu beruhigen. Dabei hatte er keine Ahnung, mit wem er sich anlegte. Ich hoffte einfach, dass er ohne Stress davon kommen würde.

Banu suchte Augenkontakt mit mir, aber das konnte sie vergessen. Elvan schob mich in den Raum und zog die Tür hinter uns zu. Der ganze Stress, die komplizierte Situation im Flur, lag nun hinter dieser Tür. Aber das Alles zu ignorieren und gleichzeitig meine Schmerzen zu unterdrücken, war schwieriger als gedacht.

Wir sollten noch einen kurzen Moment warten, also setzte sich Elvan neben mich auf einen Hocker. Schmerzerfüllt schloss ich meine Augen und hoffte, dass ich endlich geröngt werde. Als Elvan merkte, dass ich nicht vor hatte irgendetwas zu erzählen, atmete sie schwer aus.

»Der Typ da draußen...« begann sie vorsichtig »Ist das dieser Yusuf?«

Ich erstarrte. »Was? Er heißt nicht Yusuf.«
»Hä« überlegte Elvan verwirrt »Wie heißt er denn dann? Auch dein Arzt hat ihn gerade so genannt. Die kennen sich wohl.«
»Er heißt Toprak« antwortete ich langsam, überrascht, wie nervös mich sein Name machte. Elvan dachte nach und blickte zum Computer, wo die Krankenschwester saß.

»Als ich reingekommen bin, hat er etwas unterschrieben. Ich bin so dumm« ergänzte Elvan und machte eine kurze Pause »Hätte ich gewusst, dass er taub ist! Ich habe Hallo gesagt, aber er hat mich nicht mal angeschaut. Dann ist er einfach raus und ich dachte, "was für ein Idiot". Also hab' ich schnell auf das Dokument geschaut und hab seinen Namen gelesen. Da stand Y. Karadağ.«

Mein Blick klebte an der Tür zum Corridor. Falls das, was Elvan gerade behauptete, wirklich stimmte, dann hatte mich Toprak belogen. Wenn er denn überhaupt so hieß. Immerhin, hatten wir alle gehört, dass Doktor Yılmaz ihn Yusuf genannt hatte!

Mit gespitzten Ohren, versuchte ich zu lauschen, was da draußen vor sich ging. Die Krankenschwester unterbrach meine verwirrten Gedanken und schob mich zur schwarzen Liege. Nachdem ich mich vorsichtig hingelegt hatte, legte die Schwester eine Schutzmatte auf meinen Unterleib.

»Das ist nur für alle Fälle. Wegen der Strahlung« erklärte sie lächelnd.
»Darf ich Sie etwas fragen?« rutschte es mir plötzlich aus. Ich musste es versuchen, denn sonst würde es mich den ganzen Tag verfolgen.
»Sicherlich« nickte sie und wartete.

Mein Blick huschte zu Elvan, die bereits hinter der Wand stand und durch das kleine Fenster zu uns blickte. Innerlich hoffte ich, dass sie diese Gelegenheit nutzen und erneut auf das Dokument schauen würde.

»Der Patient... von vorhin. Ich meine... Roland«
»Sie kennen sich also?«
»Nur flüchtig« fügte ich schnell hinzu und versuchte vertrauenswürdig zu klingen »Aber seine Begleitung war mir fremd. Wissen Sie zufällig, ...«

Am Gesichtsausdruck der Krankenschwester, konnte ich lesen, dass ich die Frage nicht beenden musste. Sie presste ihre Lippen zu einer geraden Linie zusammen.

»Selbst wenn, dürfte ich Ihnen keine Informationen geben« meinte sie entschuldigend.

Ich nickte lächelnd und lehnte meinen Kopf auf die Liege, noch verärgerter, als vorher. Denn was Toprak und meinem Vertrauen ihm gegenüber anging, war ich mir nicht mehr so sicher. Egal, was er für mich getan hatte sollte ich letztendlich nicht vergessen, dass er ein Fremder war. Dabei hatte ich mich doch so nahe zu ihm gefühlt...

Mein gesunder Verstand sagte mir, ich sollte ihn vergessen. Ihn aus meinem Leben streichen, ehe es zu spät war. Scheinbar hatte er mehrere Facetten, von denen ich nichts wusste. Aber aus welchem Grund auch immer, zog er mich troztdem zu sich.

*
Author's Note:
Hallo liebe Leser! Ich hoffe, es geht euch allen super. Ob ihr es glaubt, oder nicht, dieses Kapitel war sehr schwer zu schreiben, zumal ich auch bisschen Uni Stress hatte. Jede Art von Unterstützung schätze ich sehr! Egal ob Kommentar, Vote oder einfach nur ein Read.

Wünsche euch einen schönen Tag
lonelydesertflower x

Sprechende HändeDonde viven las historias. Descúbrelo ahora