Schnell lief er zum Ausgang des Töpferladens und balancierte mich problemlos durch den Türrahmen. Er hatte vollkommn seinen Verstand verloren. Ihm war alles egal. Nun hatte er auch noch einen alten Mann verletzt. Mit aller Kraft versuchte ich meinen schweren Kopf zu heben und blickte weinend zurück. Toprak half Roland aufzustehen und schaute in dem Moment zurück zu mir. Entschuldigend. Wütend. Traurig. Verzweifelt. Nein... Sein Blick sagte mehr, als er je sprechen könnte.

Ünal joggte den Weg zurück, den ich gekommen war und mit jedem Schritt presste mir seine Schulter direkt in den Magen. Ich krallte meine Fäuste in sein T-Shirt und versuchte meinen Kopf zu heben, damit mir nicht so schlecht wurde, aber ich hatte keine Kraft mehr.

«Ünal, lass mich runter.»
«Nein, du kommst jetzt mit.»
«Ich komme mit! Okay! Aber lass mich laufen!»
«Wehe, du rennst weg» drohte er mir und hob mich an meinen Seiten, damit er mich runter lassen konnte.

Wir standen direkt unter einer kaputten Straßenlaterne, aber es war hell genug, sein Gesicht zu erkennen. Ünal sah mich an und atmete lang aus. Er war am Ende. Ich war es auch.

«Wieso tust du sowas?» fragte ich und spürte warme Tränen an meinen Wangen «Was hat dich getriggert, dass du so weit gehen kannst?»

Er schien es langsam zu realisieren, aber wollte es scheinbar nicht wahr haben. Nachdem er einen Moment lang meinen verzweifelten Anblick betrachtete, begann er sich zu rechtfertigen.

«Du hast sogar seine Jacke an. Spar dir deine Tränen, Züleyha.»
Wütend zog ich die Jacke aus und schmiss sie auf die Straße. «Ich hab gefroren, Ünal. Ich kenne ihn nicht.»
«Ach, ja? Wie ist sein Name? Wieso hat er mich dann aufgehalten, wenn du ihn nicht kennst?»
«Das hat nichts mit mir zu tun. Er kennt nicht mal meinen Namen.»

Der Teil war ja keine Lüge. Er kannte meinen Namen wirklich nicht. Aber, dass ich seinen Namen erfahren hatte, musste Ünal jetzt nicht wissen. Langsam kam er wieder zu sich. Er wischte mit dem Handrücken seine Nase ab und sah dann das vertrocknete Blut. Mit einem starren Blick schaute er zu mir und suchte nach Worten, doch bevor er etwas sagen konnte, bemerkte er den Riss in meinem T-Shirt und berührte langsam meine Oberarme. Mit seinem fassungslosen Gesichtsausdruck versuchte er nun etwas in meinen Augen zu finden. Vergebung?

«Oh, mein Gott» flüsterte er schockiert.
«Fass mich nie wieder an» flüsterte ich erschöpft und ging einen Schritt zurück «Nie wieder.»
«Züleyha, es... tut mir so leid. Ich...»

Als ich runter auf meine Arme sah, erkannte ich dunkle Abdrücke, die von Ünal stammten. Er hatte mir das angetan. Aber ich hatte ihm erlaubt, so weit zu gehen. Ich hatte ihn in mein Leben gelassen und es war meine Schuld, dass er diesen alten Mann verletzt hatte. Entsetzt schüttelte ich meinen Kopf und gab Ünal einen angewiderten Blick. Gerade als ich etwas sagen wollte, blendeten uns Autoscheinwerfer.

«Abla?» schrie eine bekannte Stimme. Jemand stieg aus dem Auto und trat vor die Lichter. Es war meine Schwester, Banu. Neben ihr, auf dem Fahrersitz, saß Mahmud. Ünals Bruder.

«Banu? Was suchst du denn hier?» fragte ich und lief auf sie zu.
«Dich! Ünal hat uns angerufen und gesagt, dass du abgehauen bist.»
«Was machst du mit dem?» wollte ich wütend wissen und zeigte auf Mahmud, der gerade aus dem Auto stieg.
«Hey, was ist los?» fragte sie leise und kam näher. Sie erkannte die Abdrücke auf meinen Armen und scannte mein Gesicht «Was ist mit dir passiert, Abla?»

Mahmud kam zu uns und sagte «Lasst uns nicht hier mitten auf der Straße reden. Steigt ein, wir klären das im Autohaus.»
«Vergiss es» zischte ich «Banu und ich gehen jetzt nach Hause.»
«Nein, Abla» meinte Banu «Baba kommt gleich von der Nachtschicht, er sollte dich so nicht sehen.»
«Er soll mich sehen» sagte ich und blickte zurück zu Ünal, der inzwischen auf dem Boden hockte. Mahmud war zu ihm gegangen und redete ihm irgendetwas ein. Ich konnte hier keine Sekunde mehr bleiben. Ich muss weg!

«Kommst du jetzt mit?» fragte ich Banu, aber sie schüttelte ihren Kopf.
«Lass uns zum Autohaus. Mahmud kann uns danach fahren.»

Für eine Sekunde, musste ich mich fassen, aber ich realisierte schnell, was hier vorging. So wie Banu Mahmuds Namen aussprach, hatte ich keinen Zweifel, dass zwischen den beiden etwas abging. Ich erinnerte mich an Ünals Geburtstag letzten Monat. Banu war auch mitgekommen, aber da war mir wohl etwas entgangen.

Wenn Ünal so ist, dann ist Mahmud auch so.

«Seit wann?» wollte ich wissen und sie wusste sofort, was ich meinte.
«Abla... das spielt jetzt keine Rolle.»
«Banu! Ich hab gefragt, seit wann!»

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich so laut werden würde und stoppte erst mal. Nach einem lauten Stöhnen antwortete sie

«Mahmud und ich sind seit zwei Wochen ein Paar.»

Sprechende HändeWhere stories live. Discover now