E I N S

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Wir sind was wir sind.

Sie ließ die Sehne los.

Wir tun was getan werden muss.

Der Pfeil schoss Zielgerade durch die Luft.

Wissen ist Verantwortung.

Der Wolf heulte verzweifelt auf und fiel in sich zusammen.



Siegreich holperte der in die Jahre gekommene Truck die letzten Meter in den Wald hinein und kam dann mit einem lauten, finalen Rums zum stehen.

Erleichtert stieß Jary die Beifahrertür auf und befreite sich aus ihrem Sitz. Mit einem großen Satz sprang sie auf die staubige Erde vor ihren Füßen und spürte das gewohnte Prickeln in ihren Fußsohlen. Tief atmete sie die Luft ein, den Duft von Natur, Wald und Erde- den Duft von Zuhause.

Hinter sich hörte sie wie auch ihr Vater ins Freie trat und sich ausgiebig streckte. Obwohl sie es gewohnt war, konnten 10 Stunden Fahrt schon ganz schön anstrengend sein.

Trotz allem hielt sie nicht lange inne, sondern schnappte sich die Schlüssel und ihre Handtasche vom Beifahrersitz und trat entschlossen ein paar Schritte auf den kleinen Jagdunterschlupf zu, der unscheinbar zwischen den Zweigen verborgen war. Über die Jahre war die kleine Holzhütte immer mehr mit ihrer Umgebung verschmolzen, war eins mit der Natur geworden, Efeuranken schlängelten sich über jeden Zentimeter der einfachen Holzwände.

Ja, dieser Ort kam ihr von allen Orten an denen bis jetzt mit ihrem Vater gelebt hatte am ehesten wie mein Zuhause vor. Ein Ort der immer gleich geblieben war, egal wie viel sich außen herum verändert hatte. Ein Ort, der ihr als Zuflucht vor dem Alltag, als Zuflucht vor der Gefahr vorkam.

Das Innere der Hütte sah aus als wäre es direkt ihrer Erinnerungen entsprungen, so unverändert kam ihr alles vor: Vom uralten Teppich auf dem Fußboden, zu dem gemachten Doppelbett, bis zu dem verblichenen Foto auf dem Esstisch und dem knarzenden Geräusch, dass jeder Schritt machte.
All das strahlte jeden Zentimeter Vertrautheit und Geborgenheit aus, etwas, was sie sonst selten anderswo empfand.

Irgendwann hatte sie mit ihrem Vater mal eine Fotovoltaik Anlage auf dem Dach angebracht, die Strom für den Minikühlschrank, sowie warmes Wasser für die Dusche gewährleistete. Mehr Komfort bot die Hütte nicht, was sie jedoch nie gestört hatte.

Ihr Vater trat hinter ihr in die Hütte und stellte einen schweren Schalenkoffer ab. "Du bist dir sicher, dass du hier übernachten willst?", fragte er mit einem zweifelnden Blick. "Cornwall würde sich bestimmt freuen, wenn du mitkommst", fügte er hinzu.

Sie rollte mit den Augen. Ihr Vater konnte es auch nicht lassen sofort von Cornwall zu sprechen, als wären sie einander versprochen. Dabei war er bloß ein Kindheitsfreund, den sie schon ewig nicht mehr gesehen hatte.
Vielleicht war es aber auch, dass er sie eigentlich lieber bei sich haben wollte. Seine beschützerische Art und Weise- die sie schon oft genug in den Wahnsinn getrieben hatte- ließ ihr sonst wenig Spielraum.
Die Vorstellung mal ein paar Tage alleine schlafen zu können gefiel ihr. Sie mochte die Hütte, die Nähe zur Natur, die Erinnerung an die Tage, die sie hier früher mit ihren Eltern verbracht hatte. Wochenenden, wenn nicht ganze Ferien hatten sie sich hier oben zurückgezogen und nur Zeit zu dritt verbracht. Die Erinnerung ließ sie lächeln.

Doch ihren Vater schmerzten die Erinnerungen, auch das wusste sie. Sie sah es in seinem Gesicht, wenn er über Rose sprach und sich zurückerinnerte, diese Schuld, die er glaubte zu haben, die ihn zerfraß. Er hatte sie wirklich geliebt- und ihr Tod hatte ihn gebrochen.

"Ja ich bin mir sicher Dad. Und ja ich weiß den Weg nach Silverstone. Wir treffen uns Morgen um 11:00 bei Johannes beim Brunch und ich werde da pünktlich und wohlbehalten aufkreuzen. Und nein- kein Loup Garoux wird in der Nacht kommen und mich im Schlaf ersticken wollen und wenn doch, ich bin in einer Hütte voll mit Waffen", sagte sie mit einem leicht amüsierten Ton in der Stimme. Um ihre Worte zu unterstreichen rückte sie den Schrank ein wenig beiseite und öffnete die dahinter zum Vorschein gekommene Tür.
Ein winziger Raum lag vor ihnen, die Wände von oben bis unten voll gehängt mit jeglichen Arten von Waffen: Armbrüsten, Dolchen, Schwertern, Pistolen- alles gemacht aus glänzendem Silber, dem einzigen Metall den Loup Garoux etwas anhaben konnte.

James verdrehte die Augen, lächelte aber dennoch, " Meine kleine Jary", fügte er hinzu und wendete sich zum gehen.

"Deine liebe kleine Tochter Jary ist jetzt auch schon 16 und wäre jetzt sehr erfreut wenn ihr lieber Vater sie in Ruhe ihre spätpubertären Stimmungsschwankungen ausleben lassen würde", erwiderte sie fauchend. Sie hasste es klein genannt zu werden.
" Bin ja schon weg. Nicht vergessen, Morgen um 11:00 Uhr!", rief er ihr noch hinterher, ehe die Tür hinter ihm zufiel.

Und da war sie nun: Alleine. Mit einem kleinen Seufzer setzte sie sich auf das Bett und stellte den abgenutzten Koffer neben sich. Es war drei Jahre her gewesen, dass sie zuletzt hier gewesen war, deshalb war auch alles mit einer kleine Staubschicht bedeckt. Dabei hatte sie ihre ersten sechs Lebensjahre hier verbracht: Im 20 Minuten entfernten Silverstone. Dort hatte sie glücklich mit ihren Eltern vor sich hingelebt, waren eine Familie gewesen.

Hier hatte ihr ihr Vater zum ersten Mal das schießen gezeigt, hier war sie eingeschult worden, hier waren alle glücklich gewesen. Glücklich, bis zu dem einen Tag, an dem das Feuer alles Glück in ihrem Leben zerstörte. Keiner hatte je nachweisen können wer das Haus schlussendlich angezündet hatte, alle Spuren hatten ins Nichts geführt.
James war sich immer sicher gewesen das Hannigan Rudel stecke dahinter, wer sonst sollte eine der berühmtesten Jägerfamilien der Stadt aus dem Hinterhalt angreifen, als die Loup Garoux?

Doch das Rudel war schon seit Jahren ein Abkommen mit den Jägern von Silverstone eingegangen, was Frieden und Sicherheit für beide Parteien gewährte und so hätte man diesen teuren Frieden nicht gefährden wollen, in dem man dem Rudel Taten nachgesagt hätte. Dafür hatte es zu wenig Beweise gegeben. Der Fall war schnell zu den Akten gelegt worden.

Doch ihrem hatte das nie gereicht. Er war stets gegen das Abkommen mit den Hannigan Wölfen gewesen und war der festen Auffassung gewesen, dass sie den Tod von ihrer Mutter zu verantworten hatten. Er hatte sich schnell entschlossen die Stadt zu verlassen, um anderswo Loup Garoux zu jagen, die sich nicht an die Regeln der Jägerverbände hielten. Irgendwie hatte er seine Rache ausüben müssen, wenn schon nicht am Hannigan Rudel.

Und so war ich aufgewachsen: Als Jägerin reisend von Stadt zu Stadt, von Wolfsplage zu Wolfsplage. Stets ein paar Silberdolche im Gürtel, meine kleine Armbrust und das dazugehörige Set mit silbernen Pfeilen immer griffbereit. Das Kämpfen war meine Kindheit gewesen, das trainieren meine Schule. Freunde hatte ich nie wirklich gehabt, wenn man immer wo anders war, hatte man keine Zeit sich ein Leben an einem Ort aufzubauen.

Nachdem ich meine Anziehsachen in den Kleiderschrank gestapelt hatte, beschloss ich ins Bett zu gehen. Zwei Dolche lagen griffbereit auf dem Nachttisch, eine mit Silberpatronen geladene Pistole unter dem Kopfkissen. Es war reine Routine, denn als Jäger wurde man oft auch mal zum gejagten. Mit einem letzten Blick nach draußen, wo unaufhaltsam die Dunkelheit einbrach, schlief ich ein.

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⏰ Last updated: Feb 18, 2017 ⏰

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