Dann passierte es, schneller, als ich überhaupt reagieren konnte. Mein rechter Fuß schlitterte einen Meter über den abfallenden Berghang, stieß gegen etwas Hartes, verklemmte sich ... und im nächsten Moment lag ich bäuchlings auf dem Boden und ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Knöchel. Ich schrie auf und blieb liegen, unfähig mich zu bewegen. Mein Gesicht war auf den feuchten Waldboden gepresst, ich roch die Erde, die modrigen Kiefernnadeln vom Vorjahr, spürte die kalte Nässe an meiner Wange. Ich kniff die Augen fest zusammen. Würde der Bär jetzt kommen und mich töten?

Eine unendlich lange Zeit geschah gar nichts. Ich hörte nur das Tröpfeln des Regens, der langsam nachzulassen schien, und das sich entfernende Grollen des Donners. Langsam und äußerst vorsichtig zog ich mein rechtes Bein an und umfasste mit den Händen meinen schmerzenden Knöchel. Tränen traten mir in die Augen, so sehr tat es weh. Er war doch nicht etwa gebrochen?

Ich versuchte, mich wieder aufzurichten. Der Bär schien nicht da zu sein. Entweder er war mir nicht gefolgt, oder ich hatte ihn tatsächlich abgehängt. Als ich in die Richtung schaute, aus der ich gekommen war, traf mich beinahe wieder der Schlag. Keine zwei Armeslängen von mir entfernt hatte sich eine große, schwarze Gestalt aufgebaut, die ich in der Dunkelheit nur im Umriss erkennen konnte. Aber es war eindeutig kein Vierbeiner. Diese Erkenntnis ließ meinen ersten Schock verebben. Ein Mensch! Jemand, der mich retten würde.

„Hallo", rief ich ihr entgegen.

Es kam keine Antwort.

Ich verengte die Augen. Die Blitze tanzten jetzt weiter entfernt am Horizont, doch ihr Leuchten erhellte selbst jetzt noch die Umgebung. Und in diesem Leuchten sah ich, dass der Fremde — ein Mann — keine Kleidung trug. Bis auf eine Art Tuch vor dem Schritt war er ... nackt!

Entsetzt wich ich zurück und rutschte mit meinem Po über den Waldboden. Der Mann stand da wie eine lebende Statue, aber irgendwie hatte ich das dumpfe Gefühl, dass seine Augen mich genau fixierten, dass sie mich sogar in den dunklen Intervallen zwischen den Blitzen wahrnehmen konnten.

„Hallo", wiederholte ich etwas kleinlauter. Dann erinnerte ich mich, dass er vermutlich kein Deutsch sprach, und versuchte es in Englisch. „I am Marie and I lost my way", sagte ich. Es klang absolut kläglich.

Er antwortete noch immer nicht. In einer fließenden Bewegung drehte er mir den Rücken zu und zog gleichzeitig ein Messer aus seinem Gürtel.

„Der Bär", rief ich unwillkürlich. Es war die einzige Erklärung für die plötzliche Reaktion des Mannes, obwohl ich noch nichts sehen konnte. Hatte der Fremde etwas gehört? Zwar hatte er ein Messer, aber dadurch fühlte ich mich auch nicht sicherer. Man konnte einem ausgewachsenen Bären wohl kaum mit einem Messer beikommen. Außerdem gefiel es mir ganz und gar nicht, nachts allein im Wald einem nackten Mann mit Messer zu begegnen. Mein Herz puckerte so laut, dass ich das Knacken und Rascheln im Unterholz nur gedämpft wahrnahm.

Doch der Fremde hatte es eindeutig auch gehört. Er drehte sich wieder zu mir um, überwand mit einem langen Schritt die Entfernung zwischen uns. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, wie er mich unter den Kniekehlen und Schultern packte und anhob. Ich wollte schreien, doch es kam kein Ton aus meiner Kehle.

Der Mann trug mich wie ein Kind auf den Armen und sprang mit großen Sätzen den Abhang hinab. Ich konnte nichts weiter tun, als mich verzweifelt an ihm festzuklammern. In dem Moment hatte ich mehr Angst davor, herunterzufallen und dem Bären wiederzubegegnen, als vor diesem seltsamen Typen. Seine regennasse Haut fühlte sich kalt und glatt unter meinen Fingern an, als ich meine Arme um seinen Hals schlang. Ich schloss fest die Augen und biss die Zähne zusammen, damit sie bei dem Auf und Ab-Hüpfen seiner Schritte nicht aufeinanderklapperten.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now