Ich fühlte mich ertappt. „Äh ... nur vor Hannes", flüsterte ich ihr zu, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass er nicht in der Nähe war.

„Hat er dir was getan?"

Ich spielte mit meinem Pferdeschwanz. „Nein. Er ist nur ... nett zu mir." Ich verzog das Gesicht.

Sie hob die Brauen. „Oh, wie schrecklich!"

„Zu nett", erklärte ich. „Ich will ihm keinen falschen Eindruck vermitteln. Du weißt schon."

Sarah musterte mich mit einem Blick, der mir nicht gefiel. „Vielleicht solltest du ihm eine Chance geben."

„Was?" Ich verschränkte die Arme vor der Brust.

Wir liefen langsam weiter an den Ausstellungsstücken entlang, ohne wirklich auf die bestickten Mokkassins und Pfeilspitzen zu achten.

„Er sieht nicht schlecht aus, ist intelligent und immer hilfsbereit. Du könntest es schlechter treffen."

„Willst du mich verkuppeln?", fragte ich und stemmte die Hände in die Hüften.

Sarah schmunzelte. „Ich möchte einfach, dass du die Möglichkeit in Betracht ziehst. Du bist immer gleich so verschlossen. Das ist nicht böse gemeint", fügte sie schnell hinzu, nachdem sie meinen Gesichtsausdruck gesehen hatte.

Ich seufzte. „Ich weiß, aber ..."

Wir wurden unterbrochen, als Frau Bühner von hinten zu uns aufschloss und uns mitteilte, dass wir uns langsam auf den Weg zum Bus machen sollten.

Bevor wir das Museum verließen, entdeckte ich im Museums-Shop noch ein Buch über die Gebräuche und Geschichte der Lakota. Es gefiel mir, weil es viele Bilder und sogar ein paar Vokabeln in ihrer Sprache enthielt. Ich kaufte es als Souvenir für Max. Er würde es sicher verschlingen.

* * *

„Watch your guys's head." Achtet auf eure Köpfe.

Sarah und ich unterdrückten ein Kichern. Das war anscheinend der Lieblingsspruch unserer Höhlenführerin, den sie uns immer wieder zurief, während sie uns voran durch die niedrigen, schmalen Gänge ging. Sie war ungefähr in unserem Alter und hatte uns erzählt, dass sie in den Schulferien hier arbeitete, um sich etwas Geld zu verdienen. Das konnte ich wiederum verstehen.

Die Temperatur in der Höhle war mir erst sehr angenehm erschienen, denn obwohl es sich am Nachmittag zugezogen hatte und erster ferner Donner zu hören gewesen war, als wir die Höhle betreten hatten, herrschte draußen noch immer diese schwüle Hitze. Aber mittlerweile wurde es mir hier drin ein wenig kühl. Etwa fünfzehn Grad war es das ganze Jahr über, tags und nachts, hatte uns die Führerin erklärt. Ich zog mir meine dünne Jacke über. Trotzdem bildete sich Gänsehaut auf meinen Beinen.

Wir blieben in einem etwas größeren, natürlichen Höhlenraum stehen. Es roch erdig und feucht. Der braune Stein von Decke und Wänden glänzte im Licht der künstlichen Beleuchtung und ein Geländer grenzte den Pfad von einem kleinen Rinnsal stehenden Wassers ab, das nicht sehr tief schien.

„Hinter mir", sagte die Führerin, und ich musste mich konzentrieren, ihr Englisch zu verstehen, „befindet sich das, was wir als die Kapelle bezeichnen, weil hier manchmal sogar Hochzeiten abgehalten werden."

Sie deutete auf die etwas erhöhte runde Plattform, eine Art Halbinsel aus Fels, die hinten an die Höhlenwand angrenzte und vorne von einem schmalen Graben dunklen Wassers umgeben war.

Ich fragte mich, was an einer Hochzeitszeremonie in einer feucht-kalten Höhle so romantisch sein sollte. Doch dann knipste sie ihre Taschenlampe an und beleuchtete damit die gewölbte Decke genau über der Insel‚ und plöztlich war der ganze Raum von einem Funkeln und Glitzern von Millionen von Kristallen erfüllt.

„Ohhh", machte Sarah bewundernd.

Hannes trat von hinten an meine Seite und ich nickte ihm knapp zu.

Die Führerin redete weiter, irgendetwas über die Kristalle an der Höhlendecke. Ich verstand nicht mehr alles. Hannes' Anwesenheit lenkte mich ab. Warum musste er mir immer nachlaufen wie ein verlorener Welpe? Nur weil ich einmal freundlich zu ihm war? Klar, ich mochte ihn, aber nicht auf diese Art. Und das würde sich auch nie ändern.

Als Sarah sich unauffällig von uns entfernte — nicht ohne mir vorher verschwörerisch zuzuzwinkern —, hätte ich sie auf den Mond schnipsen können.

„Hey", sagte Hannes leise.

„Hey", erwiderte ich und hörte selbst, wie abweisend das klang.

Vielleicht merkte er es nicht, jedenfalls ließ er sich davon nicht abschrecken.

„Ich fand den Tag heute sehr schön."

„Ja", sagte ich und betrachtete scheinbar sehr interessiert die ungewöhnliche Felsformation an der Wand neben mir.

„Heute Abend wollen sich ein paar von uns Rapid City anschauen. Wenn du Lust hast ... Wir gehen auch etwas essen."

„Ähm", ich suchte fieberhaft nach einer Ausrede, konnte aber keine finden. „Ich überlege es mir." Vielleicht würde ich einfach Müdigkeit vortäuschen und dann mit Sarah allein etwas unternehmen.

Dann fiel mir auf, wie dämlich das war. Wieso sollte ich mich davon abschrecken lassen, mit den anderen loszuziehen, nur weil Hannes vielleicht etwas von mir wollte? Er hatte mir ja nichts getan und es war nicht fair, ihn direkt auf Abstand zu halten. Also zwang ich mich, mich wieder zu ihm umzudrehen und zu lächeln. „Warum nicht."

Seine Miene erhellte sich. Im Halbdunkel der Höhlenbeleuchtung, die eine Hälfte seines Gesichts in Schatten tauchte und seine Augen dunkler als gewöhnlich scheinen ließ, wirkte er beinahe attraktiv.

„Oh, es geht weiter", sagte er.

Erschrocken bemerkte ich, dass die anderen bereits um die Ecke des nächsten Gangs herum verschwanden. Ich wollte nicht mit Hannes alleine zurückbleiben.

„Geh schon mal vor, ich komme gleich nach", murmelte ich und bückte mich rasch, um so zu tun, als würde ich meinen linken Schuh zubinden.

Hannes zögerte, aber dann schien er zu begreifen. Er zog ohne weiteres Wort ab und ich biss mir schuldbewusst auf die Lippe. Glaubte er jetzt, dass ich ihn loswerden wollte? Wollte ich das nicht tatsächlich? Hatte ich mich wieder verschlossen, wie Sarah mir vorgeworfen hatte?

Ich seufzte und band meinen Schnürsenkel langsam auf und wieder zu, bevor ich aufstand, um den anderen nachzulaufen. Ich würde mich bei ihm entschuldigen müssen.

Kurz bevor ich den Höhlengang betrat, in dem Hannes und die anderen verschwunden waren, erweckte ein Glitzern an der Wand hinter der Felsinsel meine Aufmerksamkeit. Ich sprang mit einem kleinen Satz über den Wassergraben, der die Insel umgab, um mir einen dieser Kristalle aus der Nähe anzusehen.

Ich betrachtete die Stelle in der Steinwand, die mich angezogen hatte. Sie war mit lauter kleinen Pickeln überät, die in allen Farben des Regenbogens schillerten. Ich holte mein Handy heraus, um ein Foto davon zu machen.

„Marie?", hörte ich Sarahs Stimme aus dem Gang schallen.

„Bin gleich da", rief ich zurück. Ich streckte meine Hand aus, um die Kristalle zu berühren. Sie fühlten sich kalt und glatt an, aber kein bisschen feucht.

Plötzlich erhitzte sich der Stein unter meinen Fingern. Ich riss die Augen auf und wollte meine Hand zurückziehen, doch es geschah alles so schnell. Meine Fingerspitzen kribbelten, als hätte ich einen stromgefüllten Draht angefasst. Dann durchfuhr ein Stromstoß meinen ganzen Körper. Das Handy glitt mir aus der Hand. Ich spürte nur noch, wie der Boden unter meinen Füßen zu kippen schien, bevor es dunkel um mich herum wurde.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt