Gut Ding will Eile haben

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Wie sich herausstellte, wohnte Darkfantasy gerade einmal drei Stunden von mir entfernt, in einer kleinen Stadt namens Neuhausen. Man konnte es Zufall oder auch Schicksal nennen, aber es lag noch in dem Bereich, den man ohne Probleme zurücklegen konnte. Mehr als fünf Stunden wäre ich für das Treffen mit Darkfantasy nämlich auf keinen Fall gefahren. Das wäre zu viel Aufwand gewesen, für etwas, das womöglich zu überhaupt nichts führte.

So kam es jedoch, dass unser Vorhaben mehr und mehr Gestalt annahm und dadurch in greifbare Nähe rückte. Nun war es nicht mehr nur ein vages Hirngespinst, sondern ein realer Plan, den wir gemeinsam ausheckten.

Wir vereinbarten, uns in der nächst größeren Stadt zu treffen, die ungefähr in der Mitte lag, was sich als Fürth entpuppte. Dort verabredeten wir uns im Café Schönblick, da uns das für ein erstes Aufeinandertreffen am besten erschien. Man hatte genügend Menschen als Sicherheit um sich herum, falls der andere doch ein Psychopath sein sollte und zudem eignete sich dieser Ort auch gut, um eine Unterhaltung zu führen. Denn das war schließlich der Grund unseres Zusammenkommens.

Ich selbst war bereits ein paar Mal mit meiner Tante in Fürth gewesen, um neue Klamotten zu besorgen und kannte mich daher ein wenig dort aus. Wenn auch nur äußerst dürftig. Aber es würde reichen, um das Café zu finden, das eine zentrale Lage aufwies und im Internet auch gute Bewertungen hatte.

Als Erkennungszeichen wählten wir eine weiße Rose, was schon wieder so seltsam war, dass ich es irgendwie lustig fand. Rosen erinnerten mich an erste Dates oder Valentinstage, was beides nicht gerade der Grund für unsere Zusammenkunft war. Aber Darkfantasy hatte diesen Vorschlag gehabt und mir war nichts Besseres eingefallen. Diesesmal war also er derjenige, der für eine solche Schnapsidee verantwortlich war und nicht ich. Bei dieser Sache war ich vollkommen unschuldig.

▪ ▪ ▪

Als Ella um halb neun von der Arbeit kam, fand sie mich so gut gelaunt, wie seit langem nicht mehr, in meinem Zimmer vor, wo ich mit Darkfantasy überlegte, was bei unserem Treffen so alles schief gehen könnte. Wir waren gerade bei der Theorie angelangt, dass der Eine vor Schock über das Aussehen des anderen in Ohnmacht fiel und daraufhin der Notarzt kommen musste, weshalb ich herzhaft lachte.

"Na du? Einen schönen Tag gehabt?", lächelte meine Großtante und strich ihren kanariengelben Rock glatt. Ich drehte mich noch immer breit grinsend mit dem Stuhl in ihre Richtung und erwiderte:

"War in Ordnung. Schule wie immer, danach aber ganz gut. Bei dir?"

Meine Großtante schien sich über diese Antwort zu freuen. Ihr Gesicht wurde weich, was sie viel jünger wirken ließ. Mit den Klamotten und der Schminke erinnerte sie mich in solchen Momenten mehr an einen rebellischen Teenager, als an eine erwachsene Frau.

"Bei mir war es auch in Ordnung. Frau Himmel hat mir zwar ihr Trinken über die Füße gekippt, weil sie gerne Schnitzel anstatt Gemüse gegessen hätte, aber der Arzt hat ihr das leider verboten. Wäre es ihr möglich gewesen, hätte sie mich wahrscheinlich mit ihrem Rollstuhl über den Haufen gefahren. Aber das bekommt sie leider nicht mehr auf die Reihe. Sonst war es heute aber ganz entspannt", zwinkerte sie mir zu und kam zu mir herüber.

"Das hört sich nach einem spannenden Tag an. Hoffen wir, dass Frau Himmel dir das irgendwann verzeihen kann", entgegnete ich und ließ zu, dass Ella mir durch die Haare strubbelte, obwohl ich das eigentlich einfach nur hasste. Schließlich war ich kein kleines Kind mehr und auch kein Labradormischling, den sie großziehen musste.

"Ganz gewiss. Morgen hat sie es schon wieder vergessen", winkte Ella ab. Es war selten, dass wir Zwei uns so nahe waren. Ich ertrug die Nähe von anderen normalerweise nicht. Heute war es jedoch einigermaßen auszuhalten.

"Dann hast du ja noch einmal Glück gehabt", schmunzelte ich und beschloss die Gunst der Stunde zu nutzen, "ich möchte morgen übrigens nach Fürth. Brauche eine neue Hose."

Meine Großtante sah überrascht auf und musterte mich eingehend. Dann scherzte sie:

"Das glaube ich auch, wenn ich mir die Löcher in deinen Jeans so ansehe. Schrecklich! Aber du hast sie ja so gekauft."

"Das muss so sein. Das sieht cool aus", bestätigte ich. Gerade Ella, die herumlief, als sei sie ein Papagei, brauchte mir ganz gewiss nichts von Mode zu erzählen.

"Ich brauche noch ein paar kurze Hosen. Die passen mir nicht mehr alle", schob ich schnell hinterher.

"Die Trends von heute verstehe ich wirklich nicht. Für so etwas würde ich keinen Cent ausgeben. Früher hätte man das weggeworfen", seufzte sie und blinzelte mehrmals mit ihren schwarz umrandeten Augen, "aber gut. Von mir aus können wir morgen gerne zusammen shoppen gehen."

Ich setzte mich sofort aufrecht hin und schüttelte heftig den Kopf. Das ging nicht. Das durfte ich nicht zulassen:

"Nein, das passt schon so. Ich fahre mit dem Bus. Du musst nicht mit, hast bestimmt Besseres zu tun, als mit mir in der Stadt herumzurennen. Ich will dir nicht den freien Tag stehlen."

Meine Großtante sah verwirrt drein. Mit dieser Antwort schien sie nicht gerechnet zu haben.

"Bist du dir ganz sicher? Mir würde es wirklich nichts ausmachen, dich zu begleiten. Ich bräuchte auch noch neue Schuhe, von daher wäre es kein Problem", hakte sie vorsichtig nach.

"Das kannst du genau so gut hier in Grünbäuren erledigen. Ich schaffe das alleine, glaub mir. Ein bisschen Zeit für dich tut dir sicherlich auch gut", versicherte ich im Brustton der Überzeugung und hoffte inständig, dass sie es darauf beruhen ließ. Bei meinem morgigen Vorhaben konnte ich meine Großtante absolut nicht gebrauchen.

Ella schien nachzudenken, ob sie mir das alleine zutrauen konnte, nickte dann jedoch zögerlich. Sofort atmete ich erleichtert auf und entspannte mich wieder.

"Gut. Dann werde ich mich morgen mit Frau Strehle treffen. Wir wollten sowieso schon seit langem wieder ein Kaffeekränzchen machen. Ich gebe dir dreißig Euro für die Hosen mit. Falls es später nicht reicht, kannst du es mir ja sagen."

Dankbar nickte ich. Das war gerade noch einmal gut gegangen. Zum Glück hatte meine Großtante keinen Verdacht geschöpft. Aber warum hätte sie das auch tun sollen. Sie ahnte schließlich nichts von meinen Gesprächen mit Darkfantasy. Nach ihrem Kenntnisstand besaß ich hier ja nicht einmal Internet.

▪ ▪ ▪

Am nächsten Morgen war ich so aufgeregt, wie seit meinem ersten Schultag nicht mehr. Ich stand vor meinem Kleiderschrank und fragte mich, ob ich mit meinem grauen T-Shirt und der kurzen, schwarzen Hose den Vorstellungen von Darkfantasy entsprach oder ob er jemand ganz anderen erwartete. Ich selbst wusste nicht so genau, wie ich mir diesen Jungen ausmalen sollte. Schließlich kannte ich nur sein Alter und seinen Wohnort, aber nicht einmal seinen Namen. Vielleicht war er ein 16-jähriger, modebewusster Typ oder aber ein schmächtiger, dürrer Nerd, der den Tag vor dem Computer und hinter Büchern verbrachte. Keine Ahnung.

Um halb neun nahm ich den Bus in Richtung Fürth. Ich ließ mich in der hintersten Reihe am Fenster nieder, holte meinen MP3-Player hervor und steckte mir die Kopfhörer in die Ohren. Bei den Klängen von Kärbholz entspannte ich mich wieder etwas. Dennoch flatterten meine Nerven, wie ein aufgeschreckter Schwarm Vögel, wenn ich nur an das Treffen dachte. Womöglich war es doch keine allzu gute Idee gewesen, einfach einen wildfremden Typen aus dem Internet zu treffen. Aber für einen Rückzieher war es mittlerweile bereits etwas zu spät.

Darkness on the Wall Where stories live. Discover now