Hand in Hand mit dem Tod

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Bildquelle: pinterest

Cole gewann wieder an Farbe, aber er blieb noch immer geschwächt. Jace trank immer nur kleine Portionen, aber das Essen, das Cole bekam, reichte nicht aus, um ihn bei Kräften zu halten. Ich wich Jace' Blick aus, und er meinem. Aber ignorieren konnte ich ihn nicht. Ich wusste ständig, wo er war. Die Verbindung zwischen uns, die durch mein Bluttrinken noch verstärkt worden war, ließ mich ihn ununterbrochen spüren. Und wollen. Ich wollte ihn auf jede mögliche Weise. Ich wollte sein Blut und ich wollte seinen Körper. Ich wollte seine Hingabe und ich wollte seine Liebe. Und ich wollte es doch wieder nicht. Ich liebte Cole, das konnte ich ganz genau fühlen. Es war die Liebe, die immer zwischen uns gestanden hatte. Aber der Vampir wollte Jace. Als hätte ich zwei Seiten, die Krieg gegen einander führten.
Ich musste an Richard Gale denken, der Arzt und Julians Mörder. Er hatte Vampirblut getrunken, was ich aber anfangs nicht wusste. Er musste als Arzt Menschenblut widerstehen und ich hatte wissen wollen, wie er das schaffte. Schließlich hatte er mir das Ultimatum gestellt, ich müsse mich entscheiden zwischen Mensch und Vampir, zwischen Cole und Jace. Ob freiwillig oder unfreiwillig konnte ich nicht sagen, aber ich hatte mich nun für Jace entschieden. Obwohl ich mich überhaupt nicht hatte entscheiden wollen. Die Entscheidung machte es aber keineswegs leichter. Nicht wenn der Vampir in mir immer noch etwas anderes wollte, als ich. Nun stärker als zuvor.

Das Geräusch hoher Schuhe auf Steinboden hallte durch den Gang, unangenehm laut im Vergleich zur sonstigen Stille. Die Schritte verharrten vor unserer Tür, dann wurde mit einem scharrenden Geräusch das verrostete Fenster geöffnet und ein blondgelockter Kopf tauchte dahinter auf. Ein Gesicht, dass ich nur allzu gut kannte.
„Lange nicht gesehen, nicht wahr?“, fragte Inga mit zuckersüßer Stimme und lächelte. Mir war auf den ersten Blick klar, dass sie nicht hier war, um uns zu befreien. Das Gefühl, das man bekommt, wenn man etwas die ganze Zeit wusste und vielleicht etwas hätte verhindern können, wenn man besser auf sein Herz gehört hätte, durchströmte mich. Ich musste den Blick senken.
„Du arbeitest mit denen zusammen?“, fragte Cole entrüstet, verwirrt, enttäuscht. Und mich machte es wütend, dass er so empfand. Ich hatte zwar schon immer gewusst, dass sie sich besser kannten, woher auch immer, aber dass er sie so gemocht hatte, kam trotzdem unerwartet.
„Ach, Cole“, seufzte sie theatralisch, „um dich tut es mir sogar fast leid. Dachtest du wirklich, ich hätte es nötig, auf eine Schule für Gestaltenwandler zu gehen und denkst du wirklich, ich wäre so unterentwickelt, dass ich mich immer noch nicht verwandeln könnte? Du bist zu lieb für diese Welt.“
„Aber ich verstehe nicht“, fragte er, „wieso das alles?“
Inga lächelte zynisch. „Ich musste mich irgendwie bei euch einschleichen, eine Vertrauensperson für euch werden, damit ich genau wusste, wann ihr was macht. Die Prophezeihung über den kleinen Finn existiert schon lange. Aber erst, als ihr das Ungeheuer, diesen Richard Gale getötet hattet, wussten wir, dass er es sein musste. Entstammend aus mächtiger Magie. Steht dem Bösen entgegen. Alle drei Herrscherzweige in sich vereint. Das konnte nur er sein. Nur hatte ich ein Problem. Jace war ja den lieben langen Tag in der Bibliothek. In der Beziehung unterscheidet er sich ja nicht von seinem Vater, nicht wahr? Wenn auch aus anderen Gründen. Mira und du, Cole, allerdings wart immer zusammen und auch nie für lange an der Schule, wie sollte ich mich da mit euch anfreunden? Da kam mir ein klitzekleiner Kolibri doch wie gerufen, der einen scheinbar unbeabsichtigten Unfall verursachen konnte.“
„Das warst du?“, rief ich nun hörbar entsetzt. Damit hatte nicht mal ich gerechnet.
Und noch immer lächelte sie. „Ich wusste, es würde dich nicht töten, denn dann hätte ich aus lauter Trauer bestimmt ebenfalls keinen Zugang gefunden. Aber nun, da du, Mira, das Bett hüten musste, bliebt ihr in der Schule, aber Cole musste ja trotzdem seinen Pflichten nachgehen. Und er saß doch immer so allein in der Cafeteria, das konnte ich doch nicht zulassen. Ich bin doch so menschenfreundlich.“
Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte ich sicher laut losgelacht. Aber so war ich einfach nur fassungslos.
„Und dann hat mir der liebe Jace auch noch alles Mögliche über diese magische, beziehungsweise eigentlich eher nichtmagische Venusnacht erzählt und ich wusste, dass war unsere Chance. Na ja, aber eigentlich wollte ich nur schauen, wie es euch geht?“
Weder Jace, noch Cole, noch ich sagte ein Wort. Ich konnte sie nur anstarren.
„Wie auch immer“, fuhr sie fort. „Finn geht es blendend. Er macht sich gut als neuer Zauberer der Nacht. Und bald schon darf er die erste Prüfung absolvieren.“ Inga lächelte, als wäre sie wirklich stolz.
„Eine Prüfung?“, meldete sich nun Jace zu Wort. „Was für eine Prüfung?“
Mir lief ein Schauder über den Rücken. Ich konnte es mir schon denken.
„Nun, als Schattenmagier muss er sich von seinem alten Leben lossagen. Was meinst du, weshalb ihr noch hier seid? Cole wird der erste sein, dann seine Tante, und zum Schluss sein über alles geliebter Vater. Und wenn er diese letzte Prüfung gemeistert hat, dann wird er endgültig auf unserer Seite stehen, und nichts, aber auch gar nichts wird ihn aufhalten können, Hand in Hand mit dem Tod zu gehen.“

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