Winterlandschaft

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Es ist die Zeit, wenn die weiße, fallende Watte alles mit kaltem Puderzucker überzieht und eine kalte Süße über das Land fällt. Es ist die Zeit, wenn Märchenszenerien wahr zu werden scheinen, im eigenen Garten entsteht der Park einer Schneekönigin. 

Mit der hellen, statischen Schicht über unserer Welt tritt eine leichtfüßige Ruhe ein. Es bleibt alles unbewegt, wenn ein Wind weht regt sich kein Blatt, nur Äste der schlanken, ihren Kleidern berauben Bäume wiegen sich leicht hin und her. Ihr Tanz hat etwas anmutiges, etwas sanftes, wie die gesamte Szenerie. Ohne sich viel zu regen kehrt doch ein faszinierender Rhythmus ein, der einem verspricht, einen zu wiegen bis die Welt wieder an ihrem rechten Platz ist. Als wären die Arme einer großen Macht über der Erde ausgebreitet, um einem zu versichern, man ist niemals allein. Eine tröstliche Stille und bezaubernde Schönheit. 

Am Morgen des ersten Schneefalls sind die Fenster leicht getrübt. Sie sind gefroren, auf der Fensterbank liegt die erste Schicht der Flocken. Aus dem warmen Inneren der Wohnung hinaus schaut man zuerst auf den kleinen Ausschnitt der die Umstände der Außenwelt widerspiegelt, sieht sich kleine Berge auftürmen die ungleichmäßige Türme vor dem Glas bilden, und Eiszapfen vom Dach sprießen. Sie werden länger, schauen unter dem schneebedeckten Dach hervor. Man sieht sie vom Fenster aus. Sie reflektieren die zarte Morgensonne in all ihren Farben wie kleine Diamanten, edle Steine des Winters, die Jedermann erfreuen. Dann beginnen die Flocken wieder zu tanzen, erst langsam, dann, als ob ein Himmelsorchester zum großen Finale aufspielt, immer schneller und wilder, um noch weiter an der Landschaft zu bauen. 

Bald liegt die weiße Schicht so hoch, das man kaum gehen kann auf den Straßen der Stadt ohne nicht einzusinken. Die sonst so geschäftigen Gassen, Einkaufspassagen und Anlagen der Metropolen scheinen wie verlangsamt, als würde der Einbruch des Winters die Zeit verlangsamen. Eine Entschleunigung der Natur, die auf jeden gleich wirkt. Hohe, schwarze Wolkenkratzer ragen in den hellblauen Himmel, der Boden strahlt. Jede Laterne, Bushaltestelle und Ampel hat eine kleine Mütze auf, fügt sich völlig in die Landschaft ein. Bäume tragen leichte Mäntel aus Schnee, als hätten sich alle auf einen Maskenball abgestimmt. Und jeder zieht mit. 

Außerhalb der Metropolen wird die fast unwirkliche Ruhe noch deutlicher. Lange Landstraßen werden von weißen Türmen, die einst grüne Alleen waren, gesäumt, von endlos scheinenden weißen Feldern umgeben. Alles scheint unberührt, rein und jungfräulich. Spuren von Füßen und Pfoten sind eine Zeit nachvollziehbar, bis sie von erneut tanzenden Flocken verschluckt und vergessen werden. Unberührt bleibt unberührt im Auge des Betrachters, und damit weit entfernt. Eine unendliche Weite der Möglichkeiten erstreckt sich, nimmt einen in sich auf. In gefrorenen Bächen und Flüssen spiegeln sich Bäume, erschaffen eine gespiegelt Welt in die man zu gern eintauchen möchte. Eine beruhigende Ruhe legt sich über den Betrachter, und die Kälte wird schnell vergessen. 

Berge, Wälder und Täler werden plötzlich vereint, Zusammen geführt und erlauben die Träume von der Freiheit. Sie scheinen so nah und doch so fern, wie gemalt. Die Sehnsucht nach dem Reisen, dem Träumen wird geweckt, wie einst die Werke von CD Friedrich es getan haben. Eine solche Winterwelt scheint geradezu der Werkstatt eines romantischen Künstlers entsprungen zu sein. Der Mensch steht vor einer eindrucksvollen, wunderschönen, weiten Landschaft, für einen Moment eingefroren in der Liebe, die sein Herz erfüllt und alles wärmt. Das Strahlen des Schnees kommt trotz seiner blendenden Anmut nicht an das Strahlen der Augen heran, wenn die weiße Süße entdeckt wird. Melancholie und tiefes Glück wechseln sich ab, berühren einen tief. 

Und wieder beginnt der tanz der weißgerockten  Flocken, die zu einem unbekannten Orchester tanzen, um uns ein Stück Lebensfreude zurück zu geben. Und ich sehe morgens aus meinem Fenster, und freue mich auf meinen Spaziergang in der Stille, Ruhe, und Einsamkeit. 

Winterlandschaft - Fingerübung 3حيث تعيش القصص. اكتشف الآن