„Geht es dir gut?"
Er lässt mich runter und nimmt mein Gesicht in seine Hände. Ich bin immer noch in der Schockstarre, kann mich nicht bewegen.
„Nefes!", er rüttelt an mir. Jetzt komme ich bisschen zu mir und schaue ihm in die Augen.

"Allah'a şükürler olsun sana birşey olmamış. (Allah sein Dank ist dir nichts passiert.)"
Mein Blick bleibt an den Bluttropfen fest, welches sich an seinem weißen Shirt angesammelt hat.

„Kayahan!", kreische ich und setze ihn vorsichtig an einem Baumstamm ab.
„Warte hier, ich hole dir einen Tuch!"
„Nefes, bleib hier", seine Stimme hört sich brüchig an und kraftlos, seine Augen hat er leicht zu geknifft und ballt seine Hände zu Fäusten.

Ich blicke kurz zu ihm bevor ich mich an die Menschen drängele und nach meiner Tasche suche. Höre die Sirenen.

„Yaralıları taşıyın! (Tragt die Verletzten!)", schreit ein Mann.

Ich will nach meiner Tasche packen, plötzlich werde ich stark nach vorne geschubst, sodass ich auf den Boden falle. Meine Hände stützen sich an dem Boden, kleine Scheiben bohren sich in meine Haut.

„Scheiße!", fluche ich, achte nicht weiter darauf sondern packe sofort meine Tasche und renne nach draußen.

Es sind zu viele Menschen hier, meine Augen suchen nach diesen bekannten dunklen Augen, finden ihn jedoch nicht.

Ich drängele mich durch und sehe keinen Kayahan am Baumstamm. Drehe mich um die eigene Achse.

"Kayahan!", kreische ich, meine Augen füllen sich.
„KAYAHAN!", kreische ich aus meiner Seele, drücke die Tasche fester in meiner Hand.
Ich schluchze leise und drehe mich weiter.

„KAYAHAN!", brülle ich durch die Menschenmenge.
„Nerdesin? (Wo bist du?)", kreische ich noch einmal bevor ich mich auf die Knien fallen lasse.

Jemand packt mich am Arm und hebt mich hoch.
„Iyimisiniz? (Geht es Ihnen gut?)", werde ich gefragt, benommen nicke ich und schluchze.
„Kayahan yok. (Kayahan ist weg.)", nuschele ich.

Die Frau zieht mich zum Krankenwagen bevor man mich auf eine Liege legt.
„Sie hat viele Scherben in der Handfläche"
„Sie verliert ihren Bewusstsein!", panisch schaut die Frau den Sanitäter an.

„Kayahan", flüstere ich bevor die schwarzen Punkte vor meinen Augen sich vermehren und ich in meine eigene Welt geschleudert werde.

-

„Kayahan", nuschele ich und öffne leicht meine Augen, blinzele jedoch wegen dem grellen Licht.
„Kayahan"
„Haben Sie Schmerzen?", 'hallt eine feste Stimme im Zimmer.

„Wo ist mein Verlobter? „ignoriere ich die Frage.
„Haben Sie Schmerzen?", wiederholt eine männliche Stimme die Frage. Ich öffne die Augen und schaue zur Tür, ein Arzt steht an der Tür und füllt etwas aus bevor er zu mir kommt und mein Bett etwas hochstellt damit ich mich setzen kann.

„Ja, meine Hände brennen"
„Das ist normal, ich habe Ihnen auch eine Salbe geschmiert sollte in 3 Tagen nicht mehr schmerzen- Nefes?"
Ich schaue hoch zu dem Arzt und erkenne das Gesicht, welches ich vor zwei Tagen am Meer gesehen hatte, als ich mich mit Kayahan stritt.

„Ich kenne dich doch"
„Timur Kaan heiße ich, ja wir haben uns am Meer kennengelernt"

Er grinst, seine dunklen Augen blicken mich an, es erinnern mich an Kayahan.
„Wo ist er?"
„Wer?"

Ich seufze genervt bevor ich die Brauen zusammen ziehe.
„Kayahan!", knurre ich.

„Wir haben hier keinen Patienten namens Kayahan"
Ich reiße die Augen auf.
„Wie?"
„Dein lieber Verlobter wurde nicht in diesem Krankenhaus geliefert. Das können wir auch später besprechen", er räuspert sich und schaut mich an bevor er sich neben mich hinsetzt, „Wir haben dich kontrolliert, von deinem Blutspiegel bis zu den Geschlechtskrankheiten, damit du ja nichts hast-"
Er schluckt und schaut weg.

„Es tut mir leid, dir das jetzt mitteilen zu müssen, aber du haben einen Gehirntumor, einen bösartigen"
Ich verschlucke mich und huste laut los. Mein Herz schlägt einen Takt schneller vor Angst.

„Was?", bringe ich noch halb hervor.
„Sie haben einen bösartigen Tumor, Nefes, wir können Therapien machen. Du könntest verheilt werden-"

Ich lasse mich in den Kissen fallen, meine Augen füllen sich.
„Nein, nein, dass darf nicht sein!"
„Nefes-"
„Nein!", brülle ich und fange das Weinen an.

Spüre seine Hand an meinem Arm.
„Nefes, wir können deine Lebensqualität verlängern, wenn du eine Therapie machst"
„Wie lange würde ich noch leben?"

Lange schaut er mich an, blickt auf den Boden.
„Da sich der bösartige Tumor schnell entwickelt hat, würde ich auf einen Jahr tippen. Um genauere Ergebnisse müssen wir dich noch einmal durchchecken"
„Und- und was wird mit ihm? Wer wird ihn für mich lieben, auf ihn aufpassen?", ich schluchze und weine leise vor mich hin.

„Nefes, ich würde dir raten dich noch einmal nachchecken lassen und es danach deinem Freund zu erzählen"
„Er wird nicht ohne mich leben können", nuschele ich weinend und verdecke mein Gesicht.

„Ich werde nach deinem Verlobten nachfragen und du bleibst hier bis ich komme"
Höre nur noch wie die Tür geschlossen wird und fange laut und innig das Weinen an.

„Er kann nicht alleine auf dieser schwarzen Welt klarkommen können. Er wird verloren gehen", schluchze ich und reiße die Nadeln aus meinen Armen.

„Ich muss zu dir, Kayahan", flüstere ich, „und ich werde sterben", flüstere ich und stehe auf.
Sehe meine Tasche auf dem Tisch liegen, sofort greife ich danach und spüre die stechende Schmerzen in meinen Handflächen.

Hole mein Handy aus meiner Tasche und rufe Kayahan an.
„Bitte, bitte, geh ran", bettele ich, jedoch höre ich nach paar Minuten das Piepen.

„Verdammt!", kreische ich und werfe das Handy gegen die Tür.
„Hör auf zu kreischen und pack deine Sachen zusammen"

Ich zucke zusammen und schaue rauf, Timur Kaan zieht seinen Kittel aus, legt es auf den Sessel bevor wir rauslaufen.

„Er wurde in dem anderen Krankenhaus eingeliefert"
„Geht es ihm gut?", frage ich hoffnungsvoll.
"Werden wir dort sehen"

Timur Kaan springt in sein Auto, ich tue es ihm nach und schon gibt er Vollgas und fährt durch ganz Izmir.
„Kannst du schneller fahren?", frage ich genervt.
„Willst du sterben?"
„Sehe ich so aus?"

Schenkt mir einen grinsenden Blick und gibt noch mehr Gas.
„Hast du Übelkeit?", fragt er mich und schaut mich kurz an.
„Ja, ich würge nur Blut"
Timur Kaan nickt und tippt auf den Lenkrad.

„Ist dir schwindelig oder bist du manchmal in Gedanken, sodass du andere nicht mehr wahrnimmst?"
„Mir ist selten schwindelig aber in Gedanken bin ich so gut wie nie"

Er sagt nichts mehr dazu, ich stütze meinen Kopf gegen die Fensterscheibe.
Eine Zukunft mit Kayahan ist nicht vorhanden. Er wird eine andere lieben, sie ehren, und mich vergessen. Meine Augen füllen sich, balle meine Hände zu Fäusten.

„Wir sind da", unterbricht Timur Kaan meine Gedanken.
„Danke, Timur Kaan"
„Bitte"

Ich steige aus dem Auto und schaue zu ihm.
„Kommst du nicht mit?"
„Ich muss schnell zurück zum Krankenhaus, meine Arbeit wartet"
Ich nicke und drehe mich um bevor ich mit schnellen Schritten zum Eingang laufe.

„Nefes!"
Ich drehe mich um und schaue ihn an.
„Lass dich noch einmal durchchecken und pass auf dich auf!"
Ich nicke lächelnd und renne zum Eingang.
An der Rezeption bleibe ich stehen.
„Kayahan Yavuz, wo ist er?", frage ich aus der Atem.
Die Frau lächelt und tippt kurz am Computer.
„Gleich um die Ecke, Zimmer 102"
„Danke"

Fange das Rennen an, meine Augen füllen. Zimmer 100, 101, 102.
Ich fasse die Türklingel, meine Augen füllen sich. Leicht öffne ich die Tür und atme tief Luft ein.
Ich schließe die Tür auf und sehe Kayahan im Bett liegen, seine Augen sind geschlossen. Mit langsamen Schritten laufe ich zu ihm und streichele über seine Wange bevor ich seine Hand festhalte und mich auf die Bettkante setze.

„Kayahan, ich kann meinen Versprechen nicht halten", kurz schluchze ich, „Ich werde sterben, es tut mir so schrecklich leid", flüstere ich und gebe ein Kuss auf seine Hand.

31.12.2016
Atsizim_

|Wenn Hass regiert|Where stories live. Discover now