Rilke

22 0 0
                                    

ADVENT

Es treibt der Wind im Winterwalde 
Die Flockenherde wie ein Hirt, 
Und manche Tanne ahnt, wie balde 
Sie fromm und lichterheilig wird, 
Und lauscht hinaus. Den weißen Wegen 
Streckt sie die Zweige hin - bereit, 
Und wehrt dem Wind und wächst entgegen 
Der einen Nacht der Herrlichkeit

Voici encor de l'heure qui s'argente, 
mêlé au doux soir, le pur métal 
et qui ajoute à la beauté lente 
les lents retours d'un calme musical. 

L'ancienne terre se reprend et change: 
un astre pur survit à nos travaux. 
Les bruits épars, quittant le jour, se rangent 
et rentrent tous dans la voix des eaux. 

Aus: Les Quatrain Valaisans

 NACHTGEDANKEN

Weltenweiter Wandrer, 
walle fort in Ruh.......... 
Also kennt kein andrer 
Menschenleid wie - du. 

Wenn mit lichtem Leuchten 
du beginnst den Lauf. 
schlägt der Schmerz die feuchten 
Augen zu dir auf. 

Drinnen liegt - als riefen 
sie dir zu: versteh ! - 
tief in ihren Tiefen 
eine Welt von Weh......... 

Tausend Tränen reden 
ewig ungestillt, - - 
und in einer jeden 
spiegelt sich dein Bild. 


Weiße Seelen mit den Silberschwingen, 
Kinderseelen, die noch niemals sangen,- 
die nur leis in immer weitern Ringen 
zu dem Leben ziehn, vor dem sie bangen, 

werdet ihr nicht euren Traum enttäuschen, 
wenn die Stimmen draußen euch erwachen,- 
und ihr könnt aus tausend Taggeräuschen 
nicht mehr lösen euer Liederlachen? 

Aus: Frühe Gedichte




Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum. 
Dort wo die Kinder schläfern, heiß vom Hetzen, 
dort wo die Alten sich zu Abend setzen, 
und Herde glühn und hellen ihren Raum. 

Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum. 
Dort wo die Abendglocken klar verlangen 
und Mädchen, vom Verhallenden befangen, 
sich müde stützen auf den Brunnensaum. 

Und eine Linde ist mein Lieblingsbaum; 
und alle Sommer, welche in ihr schweigen, 
rühren sich wieder in den tausend Zweigen 
und wachen wieder zwischen Tag und Traum. 

Aus: Frühe Gedichte

Gedichte aus aller Welt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt