My last goodbye

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Kris.

Ich kenne dich jetzt schon so lange, aber manchmal scheint es mir, als wäre es gestern gewesen, als ich dir in der Schule in die Arme gelaufen bin.
Dir sind alle Bücher aus der Hand gefallen, weißt du noch?
Mir war das alles so peinlich, ich hab meine Entschuldigung gesammelt, aber du hast mich nur angelächelt.
“Ist doch nichts passiert”, hast du gesagt.
Mit dieser beruhigenden Stimme, die nur du hast.
Ich hab dich einfach nur angestarrt, bis ich von meinem Kumpel weg gezerrt wurde, weil es sich für einen kleinen, schüchternen 10. Klässler wie mich nicht gehörte mit einem coolen 12. Klässler wie dir zu reden.
Aber dir war das egal.

Du hast mich in den Pausen gesucht.
Wir haben angefangen zu reden.
Wir sind Freunde geworden.
Wie viele Stunden haben wir mit unseren Gitarren nebeneinander gesessen und Musik gemacht?
Wie viele Male hast du mich zu irgendwelchen bescheuerten Aktionen überredet?
Man.

Wir haben uns auf dieses Industriegelände begeben und uns als Graffiti Künstler versucht.
Ich hab selten so ein schlechtes Graffiti gesehen, wie deins.
Aber auch das war dir egal.
Es ging dir um den Spaß, nicht um die Kunst.

Und weißt du noch diese eine Party, auf die du mich geschleppt hast?
Ich habe einfach nichts vertragen und auf deine Schuhe gekotzt.
Aber du hast mich mit zu dir genommen, wo ich nochmal gekotzt habe und deine Eltern es mitbekommen haben.
Scheiße, war das peinlich.

Dann hatten wir unseren ersten großen Zoff, weil ich dir Nele ausgespannt hab.
Hab ich mich jemals dafür entschuldigt?
Falls nicht: Es tut mir leid, Kris.

Wir haben so viele Songs geschrieben, die nur für die Tonne waren, aber hin und wieder war da doch ein Glücksgriff dabei.
Wie Mit dir Chilln.

Wir sind in eine WG gezogen, haben das gleiche Studium angefangen.
Haben Jakob und Flo kennengelernt.
Und dann auch Johannes.
Was haben wir nicht alles versucht, um an einen Plattenvertrag zu kommen, weil wir alle fünf wussten, dass wir nichts anderes können.
Musik, das ist unser Leben.
Was haben wir nicht alles erlebt.
Ich glaube, so viel Alkohol, wie auf unserer ersten Tour, haben wir auch nie wieder getrunken.
Gelernt haben wir aber bis heute nicht draus.
So viel ist passiert, das ich bis heute nicht verstehe.

Ich dachte wirklich, wir wären unzertrennlich.
Aber dann, dann hat Johannes sein Solo-Album angekündigt.
Und plötzlich hast du auch eins gemacht.
Das konnte ja nur Stress geben.
Es tut mir leid, Kris.
Ich war während dieser Zeit nie fair zu dir.
Ich habe dir Vorwürfe gemacht.
Dabei hatte meine Frustration einen ganz anderen Grund.
Einen Grund, den ich damals selbst nicht verstanden habe.
Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen.

Aber es war alles so anders nach euren Solo-Alben.
Wir haben uns verändert.
Sehr sogar.
Vielleicht hat Flo das mehr gespürt als wir anderen.
Das würde jedenfalls erklären, warum er die Band verlassen hat.
Wir waren nicht mehr die Gleichen nach der Pause.
Nur ein Idiot würde behaupten, dass alles Friede-Freude-Eierkuchen war.
Ich habe es nur nie laut ausgesprochen.
Keiner hat das.
Und irgendwie sind wir dann noch enger zusammengewachsen.
Also war es vielleicht doch ganz gut, dass niemand es angesprochen hat.

Man, wir hatten plötzlich noch mehr Erfolg, als jemals zuvor.
Ich hätte glücklich sein müssen.
So wie du.
Wie Johannes.
Wie Jakob.
Ob du gemerkt hast, dass ich nicht so war wie ihr?
Manchmal hatte ich das Gefühl, dass es so war.
Aber gesagt hast du nichts.
Hätte wohl auch nichts genützt, was?
Ich wusste ja lange selber nicht, was mit mir los war.
Bis Johannes und Jakob bei der Mundpropaganda mitgemacht haben.
Weißt du noch, dass Johannes auch uns dazu überreden wollte?
Du hast gelacht und gesagt, dass wir das ja nicht zum ersten Mal machen würden.
Ja, das stimmt wohl.
In unseren jungen wilden Jahren…
Aber das weißt du ja selbst noch, oder?
Es zu vergessen ist ja unmöglich, wo Johannes es jedes Jahr an seiner Neujahrsansprache nochmal erwähnt.
Nur konnte ich das damals nicht machen.
Warum?
Mir ist etwas bewusst geworden, als ich darüber nachgedacht habe, wie es wäre dich wieder zu küssen.
Und als es mir bewusst wurde, war es, als würde mir jemand sämtliche Eingeweide rausreißen.
Als würde mein Herz in tausend kleine Splitter zerbrechen.
Wahrscheinlich hätte ich es dir damals einfach sagen sollen.
Aber du kennst mich wohl besser, als ich mich selbst kenne und wir wissen beide, dass ich noch nie gut im Reden war.
Also haben wir einfach weitergemacht, wie zuvor.

Ich habe getan, als wäre alles in Ordnung.
Ich habe mir selbst was vorgelogen.
Doch immer wieder waren da diese Gefühle, die plötzlich meinen Körper fluteten, wenn ich dich ansah.
Das hat es nicht gerade einfacher gemacht.
Mit der Zeit habe ich irgendwie gelernt sie zu unterdrücken.

Ich frage mich, ob du jemals geahnt hast, dass du so viel mehr für mich bist, als mein bester Freund.
Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Doch selbst wenn, hat es dich nicht daran gehindert, Steffi einen Antrag zu machen.
Es war dein gutes Recht, natürlich.
Und ich weiß, dass du sie abgöttisch liebst.
Aber es hat mir das Herz aus der Brust gerissen, als du strahlend vor mir standest und es mir erzählt hast.
Dieses Glück in deinen Augen zu sehen war gleichzeitig das Größte und das Schlimmste.
Es machte mir schmerzhaft bewusst, dass du niemals das gleiche für mich empfinden wirst.
Und als wäre das noch nicht schlimm genug, hast du mich auch noch gebeten dein Trauzeuge zu sein.

Ob du das auch getan hättest, wenn du von meinen Gefühlen gewusst hättest?
Es ist nicht so, dass ich mich nicht für dich freue.
Das tu ich, sehr sogar.
Dein Glück zu sehen, wird immer das Größte für mich sein.
Aber gleichzeitig tut es weh, weil ich niemals der Grund für dieses Glück sein werde.
Und ich weiß nicht, ob ich das auf Dauer ertragen kann.
Ich habe deine Hochzeit überstanden.
Stand mit dir am Altar.
Habe dir gut zugeredet.
Und doch habe ich gehofft, dass du es dir anders überlegst.
Hast du nicht, du hast Ja gesagt.
Mit diesem unbeschreiblichen Strahlen in deinen Augen.
Ich hab mich darin verloren.
Ich hab meine Gefühle bekämpft, mit viel Alkohol.
Du hast mich gefragt, ob es mir gut geht.
Mich mit deinem Blick und diesem Ausdruck der Sorge durchbohrt.
Ich wünschte, ich hätte dir die Wahrheit gesagt.
Nein, Kris, es ging mir nicht gut.
Ganz und gar nicht.
Aber das hast du wohl mittlerweile auch geahnt.
Du wusstest nur nicht, wieso.

Hier ist der Grund:
Ich habe die Liebe meines Lebens an jemand anderen verloren.
Endgültig.

Wie soll es mir damit gut gehen?
Wie soll es mir jemals wieder gut gehen?
Mit dem Wissen, dass meine Liebe nie erwidert werden wird.

Es geht mir auch heute nicht gut, obwohl es der wohl größte Tag unserer Bandgeschichte ist.
Heute ist der 26. November 2016.
Heute spielen wir das Tourfinale unserer Unplugged Tour.
Wir haben die Barclaycard Arena ausverkauft.
Größer kann es nicht mehr werden, was?
Hättest du das geglaubt, als wir damals am Strand saßen und voller Energie und Naivität von einem Leben als Rockstars geträumt haben?

Kris, du hast mal gesagt, dass ich immer ehrlich zu dir sein kann.
Hier ist sie, die Wahrheit:
Heute, am 26. November, werde ich mein letztes Revolverheld Konzert gespielt haben.
Du wirst diesen Brief finden.
Und wenn du ihn gelesen hast, wirst du verstehen, warum ich nicht mehr da bin.
Warum ich nicht mehr bei der großen Party dabei bin.

Ich liebe dich, Kristoffer Hünecke.

Ich liebe dich mehr, als alles andere.
Mehr, als mein Leben.
Du bist nicht nur die Liebe meines Lebens.
Du bist der Sinn meines Lebens.
Und deswegen muss ich gehen.
Das alles hinter mir lassen.
Dich, die Band, Hamburg, den ganzen Schmerz.
Es tut mir leid, dass ich es dir nicht persönlich sagen konnte.
Sag das den Jungs von mir, ja?
Und sag ihnen, dass das die beste Zeit meines Lebens war.

Es tut mir leid.
Ich hoffe, du wirst deiner Tochter irgendwann von unserer unbeschreiblichen Freundschaft erzählen.

This is my last goodbye,
Niels.

The love of my life [Oneshot]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt