Kapitel 38 - Das Schicksal der Verfluchten

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~Sabrina~

»Und möge sie nun endlich zur Ruhe kommen. Sollen ihr Herz und ihre Seele vereint in Klyuss' Arme fallen und ihre Gnade finden. Ruhe in Frieden, Arielle Pan, Schwester und Geliebte, Tochter der Menschheit und Kind Klyuss', ob mit Samthaut oder Schuppenkleid, möge deine Seele ihre Ruhe finden und damit auch ich die meine...«
Er machte einen Schritt nach vorne, bis er vor der Reling stand, an der Spitze des Schiffes.
Er holte das Kästchen aus der Innentasche seines Mantels. Das Kästchen, in dem Arielles grüne Augen lagen.
Hook hatte die letzte Woche niemanden an sich heran gelassen. Er hatte sich in seiner Kajüte verbarrikadiert, zusammen mit den Augen und Medusas Schädel.
Er hatte sich kaum zeigen lassen, war einmal am Tag aus seiner Kajüte gekommen um ihren Kurs zu berechnen, auf den Kompass geblickt, hatte ein wenig an seinem Sturmglas herumgeschraubt und war dann wieder ohne ein Wort verschwunden.
Einmal am Tag, wenn es bereits Dämmerte, hatte er Wendy sein Essen bringen lassen. Meist zusammen mit einer Flasche Rum.
Niemand hatte seither mit ihm gesprochen. Niemand ausser Peter.
Gleich nachdem die Matrosen sie an Tauen wieder an Deck gezogen hatten, hatte Falk sich seinen Stiefbruder geschnappt und war verschwunden.
Zwei Stunden war Peter genauso wortkarg wieder aufgetaucht. Doch bevor jemand mit ihm reden konnte, war der Junge in Begleitung von Tinker Belle in die Höhe geflogen und sich selbst ins Krähennest verbannt. Und dort sass er noch immer...
Sie kamen jedoch unglaublich schnell mit Jolly Roger voran. Denn das Schiff brauchte keinen Schlaf. Das Schiff brauchte keine Pausen. Das Schiff flog hoch. Das Schiff flog schnell.
Eine Woche waren sie nun unterwegs. Und bis sie am Ziel waren brauchten sie höchstens zwei Tage...
Trotzdem war die Mannschaft ohne Ende am Schuften...
Doch nur jetzt hatten sich alle am Bug versammelt, um Arielle die letzte Ehre zu erweisen...
Und Sabrina hatte sie ignoriert. Sie. Sie alle hatte sie ignoriert, behandelt wie Luft.
Sie sprach und half ab und zu Wendy, die kaum nachkam mit der Hausarbeit auf dem Schiff, sie wechselte kurze Sätze mit Nebelfinger, wenn er sie fragte, wie es ihr ginge und sie hörte Mondkind zu, wenn die ihr einmal mehr Phrasen aus ihrer angeblichen Prophezeiung vortrug.
Doch die meiste Zeit schwieg sie.
Sie schwieg. Oft alleine, oft - Und das erstaunte sie ziemlich - in Gesellschaft des Nachtmahrs Faritales. Der Dämon schien sie auf diese Art trösten zu wollen, allein mit der Nähe seines kleinen, schwarzen Körpers.
Und das tat tatsächlich gut...
Und nun. Nun stand sie da, einige Meter von dem Piraten entfernt und sah ihm zu, wie er seine Schwester und erste Liebe bestattete.
Nun war es Nacht und der Rote Mond stand im Zenit, während der blaue Mond sein Licht hinter ihnen schien. Anstelle von Kerzen hatten sich die fünf Feen, die Sabrina vor all der Zeit gerettet hatte, bereit erklärt, sich an der Reling aufzustellen und ihr goldenes Feenlicht zu schenken.
Was Hook wohl in der letzten Woche getan hatte, alleine in seiner Kajüte? Alleine mit geliebten Augen und einem verhasstem Kopf.
Er musste Medusas Haupt Stunden angestarrt haben. Sie musste, obwohl sie tot und ihre Macht damit verschwunden war, eine gewisse Magie noch an sich haben. Allein ihr Gesicht, diese toten Augen, die Haifischzähne und das Schlangenhaar war ja schon genug, um einen normalen Menschen vor Angst erstarren zu lassen...
Hook öffnete das Kästchen und sah ein letztes Mal hinein.
Er war entspannt, so entspannt, dass er seine gedankliche Barriere fallen liess und Sabrina gezwungen war, in seinen Kopf zu blicken.
Tat er das extra?
»... Leb wohl...«
Eine Welle von Gefühlen begleitete seine Gedanken. Bilder stürmten ihren Geist, sodass sie beinahe verschmolzen.
Arielle immer wieder Arielle. Und ihre Augen und Medusas, Medusas Augen, schwarz, grün. Angst, so viel Angst, so viel Hass, Angst, Hass und so endlos viel Trauer...
Und wieder Erinnerungen. Arielle, wie sie sich an eine Holzplanke klammerte. Ihr Haarknoten hatte sich gelöst und das rote Haar ergoss sich um ihre Schultern wie rotes Blut.
Dann sah sie Arielle, wie sie lachte, dann wie sie vom Schiff fiel... Sie hatte blaugrüne Flossen. Ab der Hüfte ergossen sich die Schuppen über ihren Körper und sie lachte, denn sie war glücklich.
Glücklich.
Und Hooks Gefühle... Jetzt ihre Gefühle schienen sie zu zerreissen, so heftig waren sie...
Der ganze Hass. Die ganze Angst. Die ganze Trauer. Die ganze Liebe...
Falk beugte sich vor und drehte das Kästchen.
Arielles Augen fielen in die Tiefe.
Und dann war da ein neues Gefühl, das Sabrina irgendwie noch nicht verstehen konnte.
Es kam aus tiefstem Herzen, war ätzender als Säure und wütender als der Hass von vorher.
Sabrina keuchte und stolperte rückwärts, als Hooks Gefühle, Erinnerungen und Gedanken sie mit einer Wucht trafen, auf die Sabrina nicht vorbereitet gewesen war.
Falk drehte sich zu ihr um.
Seine Haut war blass. Er hatte wohl irgendwie versäumt sich zu rasieren, denn sein Dreitagebart war nun deutlich zu sehen.
Doch das Schlimmste waren seine Augen.
So voller tiefer Trauer.
Aber wieso war er so schrecklich traurig? Natürlich, Arielle war tot, aber das war sie doch schon seit sicher tausend Jahren!
Doch Sabrina krallte ihre Nägel in die Reling. Sie trug wieder sie Maske der Gefühlslosigkeit und ertrug Falks Schmerz, als wäre es ihr eigener.
»Habe ich dich verloren?«
Sabrina runzelte die Stirn. Das hatte sie nun überrascht.
Und dann fühlte sie erneut wie er.
Da war eine Angst. Angst, er hätte sie verloren?
Und da war dieses andere Gefühl, jenes, das sie zuvor nicht verstanden hatte... Aber jetzt... War das Selbsthass?
Und noch ein Gefühl. Stärker, als alle zusammen, stärker als alle, die zuvor da gewesen waren.
Da war ein ganzes Meer von Liebe. Eine Sehnsucht, so stark, dass der Drang, sie nicht sofort in die Arme nehmen zu müssen, beinahe unwiderstehlich sein musste...
»Habe ich dich verloren?«
Erneut waren da diese Gedanken. Wieso verbarg er sie nicht? Wieso zeigte er ihr all das? Konnte er nicht sehen, wie sein Schmerz nun auch ihrer wurde? Wie sehr sie all das quälte?
»Ich weiss es nicht...«, schrie sie ihn an und rannte. Sie sprang von der Treppe, die Bug und Deck verband. Sie rannte über die Planken des Oberdecks.
Doch das hier war ein Schiff. Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Metern über dem Boden.
Bald würden sie auf die Rebellen treffen, doch wie lange würde das dauern?
Wo konnte sie hin?
Sie konnte nicht fliehen.
Gedanken.
Wie sollte man den Geistern anderer entfliehen, wenn man nicht einmal mit dem eigenen Seelenschmerz fertig wurde?
Sabrina eilte in die Kajüte, die sie sich mit Wendy und Mondkind teilte. Hier hatte sie wenigstens ein wenig ruhe.
Hier konnte sie ruhen.
Hier konnte sie schreien.
Und das tat sie auch...
»Himmel! Sag mir, was soll ich tun? Wen soll ich lieben? Wohin kann ich fliehen? Warum bin ich das Spielzeug des Schicksals?«

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now