Der Junge in der Hütte

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Taris hat die Ritter des Königs selten so nah gesehen, und immer waren sie dabei edel und aufrecht und perfekt. Nicht düster, nicht abgerissen, nicht verletzt. Er weiß nicht, was er denken soll – er hat aufgehört, denken zu können, als der Kopf seiner Mutter mit diesem übelkeitserregenden Knacksen auf dem Boden aufkam und er wünscht sich, die königlichen Ritter wären fort und nur er und das Feuer und die Stille einer gewöhnlichen Nacht blieben zurück.

Rufen klingen durch den Wald, irgendwo in der Ferne, und der Ritter vor Taris zerrt ihn grob hinein in die Hütte und lauscht an der geschlossenen Tür nach draußen.

„Wir können hier nicht bleiben", knurrt er und scheint den Jungen schon vergessen zu haben, der von dem Schwung des ritterlichen Griffes auf die Knie fällt.

„Wir können auch nicht fort", sagt eine neue Stimme und ein dritter Mann kommt hinter einem grob aufgehängten Vorhang zu ihnen in die Stube. „Nicht, bevor sich sein Zustand stabilisiert hat."

Er ist kein Ritter wie die anderen beiden, älter und kleiner und breiter, seine Haare licht und sein Bart nur graue Stoppeln. Seine Kleidung ist die praktische, unauffällige Kleidung eines Dieners im Schloss, bis auf den breiten Gürtel um seine Tunika, an dem er ungewöhnlich viele Beutel und Säckchen trägt. Er humpelt zielstrebig in eine der Ecken, bis er Taris entdeckt und stehen bleibt.

In seinen Augen steht kein unverhohlenes Misstrauen wie in denen des Ritters Frodwin, und auch keine stille Müdigkeit wie bei seinem Begleiter, sondern eine nachdenkliche Neugier.

„Was machst du hier?", fragt er, ohne Wertung.

„Er wird uns verraten", sagt Frodwin knapp. „Wenn wir ihn gehen lassen, wird er zu Calreds Männern rennen und sie haben uns gefunden, noch bevor wir diesen verfluchten Wald verlassen konnten."

„Er ist ein Junge", wiederholt der zweite Ritter, nachdrücklicher. „Ich bezweifle, dass er hier mehr sucht als Schutz vor Calreds Plünderern."

Die Worte bereiten ihm Schmerzen, das sieht Taris, aber er ist ihm dankbar. Er ist nicht gerannt, um hier zu sterben. Er weiß nicht, warum er gerannt ist, warum ihn seine Füße lieber weit fortgetragen haben, anstatt versteckt im Haus zu bleiben.

„Ich werde Euch nicht verraten, meine Herren", sagt er leise und es sind die ersten Worte aus seinem Mund, seitdem die fremden Reiter in ihr Land eingefallen sind und ihr Chaos verbreitet haben. „Ich will hier fort."

Der dritte Mann lächelt, warm und väterlich. Taris spürt das Loch in seiner Brust dabei schmerzvoll pochen.

„Wir können dich brauchen", sagt der dritte Mann. „Kennst du diesen Wald?"

Taris nickt und denkt an seinen Vater, an Heukarren und Reisigschuber. Er denkt an seine Mutter und sonnige Frühlingstage, ihr Korb voll mit jungen Kräutern. Die Tränen stehlen sich leise und verräterisch in seine Augen und er wischt sie weg, bevor die Männer sie sehen können, die so viel mutiger und stärker sind, als er es je sein wird.

„Ihr seid zu leichtgläubig, Ilfrid", schnaubt Frodwin verächtlich.

„Wir brauchen Wasser", beharrt Ilfrid, der dritte Mann, „Und wir können den Reitern Calreds zu Fuß nur entfliehen, wenn wir Wege nehmen, die sie nicht kennen."

„Leander", sagt Frodwin und wendet sich zum Ritter am Feuer.

„Du weißt, dass Ilfrid Recht hat", murmelt dieser. „In unserem Zustand ist es ein Wunder, dass wir die Stadt überhaupt verlassen konnten."

Taris wundert sich, irgendwo tief drinnen, warum die tapferen, edlen Ritter des Königs der Stadt entfliehen wie Verbrecher. Sein Vater hat von ihrem Mut erzählt, und ihrem Stolz, der ihnen das Kämpfen befiehlt, bis ihre Lebenskraft erloschen ist. Selbst wenn die Hölle selbst sich öffnet, werden sie lieber sterben, als ihren Schwur verraten, so hat er es gesagt.

Der Vergessene PrinzWhere stories live. Discover now