1. Halloweens Eve

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Und ich steh' im lila Regen

Ich will ein Feuerstarter sein

Whitney wird mich immer lieben

Und Michael lässt mich nich' allein

Ich war willkommen im Dschungel

Und fremd im eigenen Land

Mein persönlicher Jesus

und im Gehirn total krank

Und ich frage mich, wann

Werd' ich, werd' ich berühmt sein

So wie Rio, mein König für die Ewigkeit

Ich war am Ende der Strasse angelangt

war ein Verlierer, Baby, doch dann

Hielt ich ein Cover in der Hand

darauf ein Mensch, der in Flammen stand

Kurt Cobain sagte mir, ich soll kommen wie ich bin

(Adel Tawil -Lieder)

Leise pfeifend geht sie durch die Strassen. Um diese Uhrzeit war eigentlich keiner mehr unterwegs. Ausser heute. Heute ist Halloween. An jeder Ecke lauert ein Mörder, ein Vampir oder ein Pirat. Wobei das erste wohl das furchterregendste ist, denn man erkennt ihn nicht auf der ersten Blick.

Bei der Halloween-Party in der Schule ist er wird er gefragt, was er darstellt. Dass ihn keiner erkennt, macht ihn sauer. Aber warum sollte ihn auch jemand erkennen. Keiner kennt ihn wirklich. Bisher ist das auch gut so gewesen. Bald wird man sein wahres Ich kennenlernen.

"Hallo Aaron, wie geht's? Toll, dass du auch hier bist. Willst du auch einen Punsch?"

Ach Vanessa, die schon wieder, denkt sich Aaron. Sie ist Lehrerin für die Erstklässler dieser Schule und alle männlichen Mitarbeiter dieser Schule sind begeistert von ihr. Der Hausmeister hat sich sogar soweit gewagt, sie zum Ausgehen zu überreden. Hat natürlich nicht funktioniert, er ist ein ziemlich hässlicher Vogel. Dafür die netteste Person die es gibt, alle Kinder lieben ihn. In den Pausen ist er für den ein oder andern Streich verantwortlich. Zum Ärgernis der strengen Lehrer. Aber das stört den Hausmeister wenig, denn er liebt die Kinder und putzt schliesslich alles wieder weg, falls es mal ein Streich ist, der etwas eklig oder dreckig ausartet.

Aaron sieht gut aus, ist jung und jeder mag ihn. Das wird ihm mal noch von Vorteil sein, denkt er. "Vanessa", sagte er etwas gelangweilt. " Ich will nur noch meinen Punsch leer trinken und dann auch nach Hause gehen. Ich bin müde. Hatte diese Woche viel zu tun mit den Kindern." Diese Frau würde wohl nie locker lassen. Das kommt ihm im Moment nicht sehr gelegen. Er ist gerne für sich allein, wenn er nicht in der Schule ist. Zuhause kann er ungestört seinen Gedanken freien Lauf lassen und an das denken, was er schon lange will...

Lissy sieht umher und beobachtet die ganzen fiesen Gestalten. Wie gerne sie sich selber früher verkleidet hatte. Dann war sie mit ihren Freunden an jeder Tür stehen geblieben und hatte irgendwelche Sprüche aufgesagt oder denen Streiche gespielt, die ihnen nicht eine Kleinigkeit gegeben hatten. Das ist auch der Grund, warum sie jetzt keinen einzigen Halloweenabend mehr Zuhause verbringt. Diese kleinen Geister und Kürbisse mochte sie schon lange nicht mehr. Und die kleinen Kinder wurden ja heutzutage auch nicht mehr freundlicher und liessen sich immer schlimmere Streiche einfallen. Das brauchte sie nicht. Ihre wilden Jahre waren lange vorbei. Irgendwann hatte sie sich besonnen und sich gesagt, keine Kinderstreiche mehr. Dann war sie Teenager geworden und eine neue Phase mit viel Alkohol und Exzessen war gefolgt. Doch auch an das denkt sie jetzt lieber nicht mehr. All das hat sie nun hinter sich gelassen.

Sie nimmt ihren I-Pod hervor und klickt auf Repeat. Das Lied hört sie sich immer an, wenn sie nach Hause läuft. Einfach weil sie dann über sich und früher nachdenken kann.

"Ich war am Ende der Strasse angelangt

war ein Verlierer, Baby, doch dann

Hielt ich ein Cover in der Hand

darauf ein Mensch, der in Flammen stand

Kurt Cobain sagte mir, ich soll kommen wie ich bin"

Lissy hat das Ende der  Strasse erreicht und biegt in den Park ab, um ihre gewohnte Abkürzung zu nehmen.

Während sie durch den Park geht, denkt sie daran, was sie für ein Verlierer gewesen ist, und wie sie es geschafft hat, andere Wege einzuschlagen. Es war zwar nicht ein Cover eines Musiktitels gewesen, aber Musik hatte ihr immer schon Kraft gegeben. Sie hatte sich selber gefunden und wusste jetzt, was sie tun wollte. Sie war im dritten Jahr ihres Psychologiestudiums. Ein ziemlich anspruchsvolles Studium, wie sie hatte bemerken müssen. Sie ist die meiste Zeit am lernen und hat kaum Freizeit, aber wenn sie welche hat, hält sie sich oft draussen auf und geht für ihr Leben gerne im Wald joggen. Dabei vergeht die Zeit wie ihm Flug. Morgen muss sie sich an ihre Bachelorarbeit über Flow setzen, sonst wird diese nie fertig.

An all diese Dinge denkt sie, während sie, mittlerweile leise singend, durch den Park geht und einige ihr bekannte Gesichter grüsst, welche sie vom joggen kennt.

Dann ist sie am Ende des Park und sieht ihre Wohnung, in diesem abgrundtief hässlichen Block. Oft schon hat sie überlegt, umzuziehen, aber sie hat einfach nicht genug Geld, um sich etwas Schöneres zu leisten. Ihre Eltern haben kein Interesse daran, ihr Studium zu finanzieren, da sie der Meinung sind, dass Psychologie zu nichts führt. Für dieses Denken hasst sie ihre Eltern. Auch sonst ist ihr Verhältnis eher mittelmässig. Es gibt Anrufe zum Geburtstag und zu Weihnachten und ein paarmal zwischendurch.

Deshalb muss sie arbeiten und sich ihr Geld fürs Studium selber verdienen. Nicht einfach, aber sie ist stolz auf sich, dass sie es dennoch schafft.

Nachdem sie aufgeschlossen hat, drückt sie die Klinke herunter und tritt in die Wohnung ein.

„Was für ein grausamer Gestank ist das?“

Etwas unsicher macht Lissy die Tür hinter sich zu und knipst das Licht an. Ohne weitere Gedanken zu fassen, geht sie in die Küche, um sich etwas zu trinken aus dem Kühlschrank zu nehmen. Die Tür fällt ihr fasst entgegen. „Mist, diese Tür, ich wohne wirklich im letzten Loch“ denkt sie sich dabei. Weil sie sehr durstig ist, trinkt sie ihren Orangensaft direkt aus der Packung. Nach ein paar Schlucken ist diese leer. Sie kann sich nicht erinnern, soviel aus der Packung getrunken zu haben. Sie dreht sich um und will sie in den Mülleimer werfen, da fällt ihr auf, dass der Mülleimer etwas offen steht. Sie macht den Deckel auf und blickt auf eine leere Sandwichpackung. Jetzt wird sie langsam misstrauisch. Woher kommt diese leere Packung. Sie hat gestern keins gegessen. Der Mülleimer stinkt, das muss wohl an der Packung liegen. Langsam dreht sie sich um und sieht sich in der Wohnung um. Lässt den Blick über Sofa und Anrichte schweifen.

Nichts scheint anders zu sein. Alles sieht aus wie immer. Klein und ziemlich schäbig.

Lissy ist nicht der Mensch, der hinter allem etwas Böses sieht. Das hat sie sich abgewöhnt. Irgendwann hat sie sogar begonnen in die Kirche zu gehen. Sie ist nicht eine der gläubigsten Personen in ihrer Gemeinde, aber es bringt Ordnung in ihr Leben. Und Lissy mag Ordnung. Deshalb findet sie jetzt nichts weiter daran, dass die Packung im Müll liegt anstatt irgendwo auf dem Sofa.

Hinten in der Ecke steht ihr Schreibtisch. Er ist voll mit Ordnern und Blättern. Auch wen es viele Sachen sind, ist in allem eine bestimmte Ordnung. Sie setzt sich an den Schreibtisch und beginnt ihren Laptop hochzufahren um an ihrer Bachelorarbeit zu schreiben. „Irgendetwas ist komisch“ denkt Lissy jetzt und steht wieder auf. Sie versucht zu erkennen, ob sich nicht doch irgendetwas verändert hat. Aber wie vorher kann sie nichts erkennen. Sie geht zum Fenster und öffnet es. Gierig zieht sie etwas frische Luft in ihre Lungen. „Vielleicht sollte ich meinen Müll wieder einmal leeren“, denkt sie und versucht sich nicht weiter Gedanken darüber zu machen. Pflichtbewusst schliesst sie das Fenster wieder und setzt sich an ihren Schreibtisch. Während der nächsten Stunden schreibt sie an ihrer Arbeit. Die neue Pflanze auf ihrem Balkon bemerkt sie gar nicht.

Alte Liebe ist tödlichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt