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Lange ist es her, dass ich mich so richtig gefreut hatte. Lange ist es her, dass ich jemanden wie einen Freund hatte. Lange ist es her, dass ich mit meiner Familie etwas unternommen hatte. Ja – Vieles ist lange her.

Ich gucke gerne zurück auf meine unbeschwerte Kindheit. Ich war zwar die ersten Jahre meines Lebens im Waisenheim aufgewachsen, aber trotzdem finde ich, es hätte nicht schöner sein können. Wir hatten unglaublich viel Spielzeug und sogar einen kleinen Spielplatz. Jeden Tag war jemand da, der mit einem Fangen spielen wollte oder eben doch nur Memory.
Als ich dann fünf Jahre alt wurde, adoptierte mich eine sehr freundliche Familie. Ich hatte sehr viel Glück gehabt, mein neuer Vater war ein hoch angesehener Politiker hier in Hessen und meine neue Mutter verdiente ihr Geld durch viele Modeljobs. Sogar Geschwister hatte ich zum spielen da: einen Bruder und eine Schwester, beide älter als ich.

Das rote Lämpchen auf meinem Schreibtisch beginnt zublinken. Zeit nach meiner Mutter zu sehen!
Ich habe ihr einen kleinen Schalter geschenkt, mit dem sie die Lampebetätigen kann, wenn sie Hilfe benötigt.
Vor etwa drei Jahren wurde bei ihr PSP, also Progressive Supranukleäre Blickparese, diagnostiziert und seit dem hat sich die Nervenkrankheit so weit ausgebreitet, dass sie auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Reden fällt ihr schwer und ich helfe ihr bei so gut wie jeder Alltagstätigkeit, wie Essen oder auf Toilette gehen.
Meine Geschwister waren mittlerweile schon ausgezogen, von ihnen konnte ich sowieso keine Hilfe erwarten. Von meinem Vater leider auch nicht, aber das ist eine andere Geschichte. Ich rede nicht gerne darüber.

Ich stehe auf und gehe ins Wohnzimmer, wo meine Mutter fast den ganzen Tag verbringt.
Sie guckt mich mit großenAugen an.

„Was ist denn Mama?", frage ich, auch wenn ich weiß, dass sie eh nicht antworten kann. „Hast du Hunger?"

Keine Reaktion. Nicht einmal ein Fünkchen.
Ich schaue an ihr herab. Den kleinen Schalter hatte sie nicht in den Händen, wie kann das sein?

„Hab ich vergessen, dir deinen Schalter zu geben?" Frage ich und lache etwas beklemmt, während ich mich auf dem Weg in ihr Zimmer mache.

Sie hat ein schönes großes Zimmer mit einem riesigen Bett, dass ich ihr extra gekauft hatte, als langsam absehbar wurde, dass sie einen Rollstuhl brauchen würde. So konnte sie jeden Morgen, wenn ich in der Schule saß, noch in ihrem riesigen und gemütlichen Bettchen kuscheln. Ich hatte gehofft, dass es so wenigstens etwas ertragbar wäre.

Auf ihrem Schreibtisch sehe ich den Schalter neben ein paar Stiften, die meine Mutter eh nicht mehr benutzen kann und ein paar Fotos von uns, die ich ihr zum Geburtstag machen ließ, liegen.

Das kann doch nicht sein? Das Lämpchen hat geleuchtet, das weiß ich hundertprozentig. Wer hat also den Schalter betätigt?
Ich gehe zurück zu meiner Mutter und höre wie ihr Magen knurrt. Höchste Zeit für etwas Nahrhaftes!

Ist das nicht ein verrücktesLeben? Vor drei Jahren noch stand meine Mutter jeden Tag am Herd. Sie hat es geliebt zu kochen und ich habe es geliebt, ihr Essen zu essen.
Und nun stehe ich hier und versuche mit meinen verzweifelt angelernten Kochkünsten ein einigermaßen genießbares Essen zu zaubern.

Aber das wird nichts.

Ich, Tobias, 17 Jahre alt, Alleinerziehender meiner eigenen Mutter, kann noch immer nicht kochen.

Wie weit wird der Wind mich tragen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt