1. Die Neue

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Einige Stunden zuvor:

Ich versuchte, meine besten Freunde zu fokussieren, doch es gelang mir einfach nicht. Diese schwarze Brille machte das ganze aber auch noch schwieriger, als es ohnehin schon war.

Ich wollte mich einfach nicht mit der Diagnose des Arztes abfinden, dabei war es ganz einfach: 5% des vorherigen Augenlichtes, das war so gut wie nichts. Ich konnte lediglich undeutliche Schemen erkennen, am besten starke Abstrakte zwischen sehr hellen und sehr dunklen Farben.

Ein heller Punkt in völliger Dunkelheit.

Aber ich ließ mir nichts anmerken. Ich stand in lässiger Pose mit verschränkten Armen an der Mauer ungefähr 30 Schritte vom Eingangstor der Schule entfernt, auf der linken Seite.

Mein persönlicher Platz war immer an der Wand und meine Freunde respektierten das. Es gab mir die Sicherheit, dass sich niemand von hinten an mich anschleichen oder überraschen konnte.

„Habt ihr schon die Neue gesehen?", hörte ich Jasper gegenüber von mir fragen.

Ich schüttelte den Kopf, wobei viel sehen würde ich von ihr sowie so nicht. Erst jetzt bemerkte Jasper seine Wortwahl. Das erkannte ich an seinem zögerlichen Räuspern. Es drückte Unbehagen und Schuldgefühle aus, doch mein bester Freund wusste ganz genau, dass ich das nicht hören wollte.

Die Worte waren ihm mal wieder über seine Hormon gesteuerte Zunge geglitten, ohne vorher in seinem Gehirn halt zu machen. Doch so, musste ich mit einem stillen Lächeln zugeben, war ich meistens auch gestrickt.

„Ist sie heiß?", fragte ich neugierig in die Runde und zog eine Augenbraue hoch.

Ich konnte mir die hochgezogenen Lippen von Pacey bildlich vorstellen, als er sagte: „Yup. Da wünscht du dir, sie würde dir noch ein zweites mal über den Weg laufen!"

„Ein paar mehr Infos wären schon hilfreich...", versuchte ich die Jungs aus der Reserve zu locken.

Man konnte nie gut genug informiert sein. Besonders nicht, wenn es um hübsche Mädchen an unserer Schule ging.

„Sie schaut gerade zu uns rüber", bemerkte Zack grinsend und schien eine andeutendene Bewegung in ihre Richtung zu machen.

Automatisch wanderte mein Kopf umher und versuchte zu vermuten, wo sie wohl stehen könnte, doch ich nahm nur das Grau des Schulgebäudes wahr.

Meine Hand wanderte zu meinen Haaren, entschloss sich dann jedoch anders und rückte die Sonnenbrille zurecht.

„Vielleicht findet sie von ganz alleine zu uns, wer weiß?", philosophierte ich weiter über das neue Mädchen und blickte in die Runde.

Pacey schnalste mit der Zunge. Ein Zeichen von Gleichgültig von ihm, welches ich mit Jahren wusste einzuordnen: "Wenn du meinst, Sherlock." 

Zur Zeit war er wieder Single, dabei wusste ich noch von früher, dass er unglaublich stechend dunkelblaue Augen hatte und sein braunes Haar, welches immer leicht durcheinander war, perfekt sein etwas rundlicheres Gesicht umrandete.

Sophie hatte sich nämlich bereits nach zwei Wochen schon wieder von ihm getrennt und rannte nun Mike hinterher. Dieser sah jedoch erstens nur halb so gut aus wie mein Kumpel Pacey, weshalb ich das ganze Theater überhaupt nicht nachvollziehen konnte, und zweitens war er überhaupt nicht an Sophie interessiert.

Verstand einer das?

„Hey Leke, es hat geklingelt, wir müssen wieder rein!", riss mich mein bester Freund Jasper aus meinen Gedanken.

Ich nickte ihm zustimmend zu und wir machten uns auf den Weg zu Mathe.

90 Schritte geradeaus, eine viertel Drehung nach rechts und noch einmal zehn Schritte, dann waren wir an der Eingangstür angekommen.

Zielsicher griff ich nach der Türklinke und stemmte sie auf. Zu viert gingen wir an den anderen Schülern vorbei durch den Gang.

Ich konnte die Blicke der anderen spüren, jeden Einzelnen. Auch, wenn ich niemanden von ihnen wirklich sehen konnte. Dennoch blickte ich auf die Höhe, wo sich ihre Köpfe ungefähr befinden mussten, und strich mir durch die sorgfältig gestylten Haare.

Es war schon komisch, dass kaum einer von meiner Blindheit wusste. Außer meinen besten Freunden und ein paar einzelnen Personen kannte niemand mein Geheimnis.

Zudem hatte ich dafür gesorgt, dass sich die Nachricht auch nicht verbreiten würde. Die wenigen Eingeweihten hatten mir geschworen, nichts zu verraten.

Wer wäre ich schon, wenn alle wüssten, dass ich blind war? Ein armer, bemitleidenswerter Freak, der versuchte, einen Badboy zu mimen und cool zu wirken? Nein danke.

Es war alles so perfekt, wie es gerade war. Ich hatte alles unter Kontrolle, auch wenn ich dafür unendliche Stunden mitten in der Nacht mit meinen Freunden in den leeren Gängen der Schule verbacht hatte, um jeden Quadratmeter perfekt einzustudieren. In meinem Gehirn hatte einen perfekten Plan des ganzen Gebäudes angelegt, wie es nur ein Architekt konnte.

„Oh shit, das ist sie!", flüsterte mir Jasper aufgeregt ins Ohr, nachdem wir uns zusammen nach hinten in den Klassenraum gesetzt hatten und auf Mister Fitz warteten.

Mein Kopf schnellte in Richtung Tür und ich versuchte konzentriert die Person, die hereingekommen sein musste, zu fokussieren. Vergeblich.

Ich merkte, dass ich automatisch die Augen zu Schlitzen verengte.

„Was glotzt der mich so an?", hörte ich eine irritierte, mir fremde Mädchenstimme am Rande meines Hörspektrums.

Wie Schleim glitten diese Worte durch mein Gehirn, bis ich sie endlich realisiert hatte.

Oh verdammt, meinte sie etwa mich?

Schnell drehte ich meinen Kopf zu den Jungs. „Ich liebe sie jetzt schon!", stellte ich voller Zuversicht fest.

Hätte ich mal lieber die Finger von diesem Mädchen gelassen...


~ Bild oben: Jasper~

The blind BadboyWhere stories live. Discover now