Ich bekam mit 16 meine ersten verschriebenen Tabletten dagegen - es funktionierte, so gut das ich sie ein halbes Jahr später ohne weitere Vorkommnisse absetzen konnte. Doch nun fing alles wieder von vorne an. Seufzend legte ich das Glas ab und wollte zurück in Richtung Schlafzimmer gehen, als mir eine Bewegung im großen Garten, hindurch das Terassenfenster ins Auge fiel.

Verharrend starrte ich in die Dunkelheit hinaus, spielte mit dem Gedanken meine Eltern zu wecken, doch das würde Fragen aufrufen warum ich wach war und sie würden eins und eins zusammen zählen können. Dieses Leid wollte ich ihnen nicht noch einmal antun.

Ich hätte die in der Dunkelheit lauernden Schatten auch ignorieren können, so wie es jeder andere normale Mensch getan hätte, doch ich konnte mich nicht dazu überwinden der Nacht den Rücken zuzukehren. Es war als würde mich etwas dort hinziehen, als würde mich etwas rufen, eine Stimme, welche den selben Effekt wie Treibsand auf mich hatte, je mehr ich mich dagegen zu wehren versuchte, desto mehr wurde ich hinein gesogen.

Stumm gab ich meinen inneren Kampf auf und trat auf die verglaste Terassentür zu. Die Kälte drang unerbittlich in meine Knochen ein, schließlich trug ich nur eine kurze Hose mit dünnen Top. Meine nackten Füße versanken in der vom Tau durchnässten Wiese, doch ich schien es nicht zu fühlen, als wäre ich dagegen Immun.

Ich fühlte mich wie benebelt, als hätte sich ein fremdes Individuum in meinen Kopf eingenistet. Ich war mir selbst Fremd, und doch hatte ich mich noch nie so sehr wie ich selbst gefühlt. Mit glasigem Blick starrte ich in dem dunklen Wald, beobachtete die darin tanzenden Schatten. Meine trockenen Lippen öffneten sich, als ein Wort sich in meinem Kopf formte, auf meiner Zunge lag und nicht zu vergehen schien.

Ich wusste nicht was es war, warum kein Ton meine Lippen verließ, als sich die Schatten vor mir miteinander vermischten. Sich verformten und im Licht des Mondes zu dunklen Gestalten veränderten. Die Silhouetten wandelten sich, formten sich bis man zwei menschliche Schattenrisse ausmachen konnte. Schemenhaft verdünnisierten diese sich und gaben Stück für Stück freie Sicht auf vereinzelte Hautstellen.

Die vordere Gestalt entpuppte sich als ein Mann, groß und muskulös, wunderschön. Goldbraune Haut, welche in einfache legere Kleidung gepackt war, dunkles Haar welches nicht wie das meines tintenschwarz sondern absolut reflektionslos war. Ein schwarz welches das helle Mondlicht aufsaugte und verschluckte, wie ein glänzender Onyxstein.

Doch am meisten faszinierten mich seine glühenden Augen. Rot - orange - golden, all diese Farben vermischten sich um seine Pupillen zu elektrisierenden Feuerzungen und ließen die Iriden mit einer unbeschreiblichen Intensivität erglimmen. Ich fühlte mich als würde ich unter seinem Blick verbrennen, doch zur selben Zeit war ich süchtig nach diesem Gefühl.

Der Ausdruck auf seinem Gesicht glitt purem Schock, Unglaube welcher voller vergangenem Schmerz sprühte. Ich kannte ihn, oder nicht? Er kam mir so unglaublich bekannt vor, doch an eine solche Gestalt hätte ich mich definitiv erinnert.

"Es muss ein Trugbild sein, es kann nicht sein", seine Stimme war tief, leicht rau und schaltete in mir einen Hebel um, von welchem ich selbst nicht gewusst hatte dass er existierte.

Meine Lippen machten sich selbstständig, ein Alterego welches sich unbemerkt in mir versteckt hatte ergriff Besitz von mir.

"Luc", meine Stimme klang zerbrechlich, wie die eines verletzten Kindes, doch mein Gegenüber schien sich daran nicht zu stören, denn schon im nächsten Moment stand er unmittelbar vor mir.

"Mea vita, Ophelia, bist du es wirklich?", seine große Hand legte sich flügelleicht auf meine kühle Wange, so sanft als habe er Angst ich würde bei einer zu ruckartigen Bewegung verschwinden, als wäre das hier nichts weiter als ein fragiler Traum.

"Sie wurde wiedergeboren - Die Prophezeiung... sie hat sich erfüllt", die tiefe, fremde Stimme ertönte so urplötzlich das ich erschrocken zusammenzuckte.

Plötzlich strömten tausende Empfindungen aufeinmal auf mich ein. Die Kälte der Nacht, die Angst und Verzweiflung vor dem Unbekannten, der Irrglaube an die Wahrheit, die Realität dieser Situation. Ein Brennen breitete sich von meinem Kopf auf meinen gesamten Körper aus, alles in mir dröhnte, schien zu implodieren.

Wimmernd presste ich meine Handballen auf meine Schläfen, Blut tropfte aus meiner Nase und ein stählerne Angst bemächtigte sich über meinen Körper. Das konnte nicht real sein, nichts davon!

"Es ist nicht echt, es ist nicht echt", presste ich schmerzerfüllt heraus, versuchte mich aus den Armen des Mannes, der Traumgestalt zu winden.

"Cassian, was geschieht mit ihr?!", der Griff um meine Schultern wurde stärker, ebenso wie der Druck in meinem Kopf.

Es war als würde pures Gift durch meine Venen gepumpt werden, und ich war mir sicher ich würde brennen, als endlich die Linderung kam. Schritt für Schritt umhüllten mich nachtschwarze Schatten, zogen mich sanft in eine kühlende Dunkelheit.

Benommen blickte ich auf, direkt in die glühenden Augen meines Gegenüber, dessen Gesicht von Panik zerfurcht war. Doch bevor ich darauf hätte reagieren können, hatten die Schatten bereits Besitz von mir ergriffen und mir die ersehnte Erlösung geschenkt.



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