Der Frust

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Berlin, im März 2012

„Verdammt, mir fällt einfach nichts ein. Wir brauchen was Großes. Was Skandalöses. Etwas, das noch nie da gewesen ist", sagte Benni und kippte kurz darauf einen großen Schluck seines Vodkas herunter.
Lukas, Stefan, Timi und er saßen zusammen in Neukölln in der Wohnung von Lukas und arbeiteten. Wobei man den Abend heute nicht wirklich als Arbeit bezeichnen konnte, denn etwas Produktives war, obwohl sie nun schon stundenlang zusammen saßen, noch nicht ans Licht gekommen.
Schon seit Wochen zerbrachen sich die vier Mitglieder der Rapband "Plan B" den Kopf darüber, was genau sie ihrem Publikum auf ihrer Release-Party für das Album "Jetzt erst recht"  bieten könnten. Die eine, zündende Idee war ihnen bisher leider noch nicht gekommen.

„Die Fans trinken doch schon eure Pisse. Die fressen einfach alles, was ihr denen in den Mixer stopft. Ich glaube, es kann nicht noch krasser werden", sagte Lukas gleichermaßen nachdenklich wie angeekelt. Obwohl er in der kurzen Zeit, in der er nun zu Plan B gehörte, schon einiges mitgemacht hatte, war er noch immer nicht so hundertprozentig daran gewöhnt.
„Ähh, also ich glaube auch nicht, dass es unbedingt noch schlimmer werden muss, oder? Ich meine, ich hab meinen Würgereiz jetzt schon kaum noch unter Kontrolle", sagte Timi und zog grinsend an seinem Joint.
Benni schlug wütend auf den Glastisch vor sich, so dass ein paar Bierflaschen umfielen und sich auf dem Parkettboden von Lukas Wohnzimmer ergossen. Dieser sprang direkt auf, lief in die Küche, um einen Lappen zu holen und beseitigte wortlos den kleinen Unfall.
„Wir sind keine verfickte Boygroup, ihr weichgespülten Luschen.  Wir sind Plan B, verdammt nochmal!", meckerte Benni und beobachtete Lukas beim Aufwischen, ohne sich jedoch für das Missgeschick zu entschuldigen.

„Jeder zählt jetzt mal irgendwelche eklige Scheiße auf, vielleicht ist ja was dabei", seufzte Benni und der Ton in seiner Stimme wurde wieder etwas weicher.
„Keine Ahnung", meinte Stefan geistreich.
„Wow, super Vorschlag", sagte Benni und warf ihm einen schiefen Blick zu. „Wenn das nicht schon mal jemand gemacht hätte, würde ich ja sagen jemand beißt einer Fledermaus..."
„Nein!", rief der tierliebe Timi aufgebracht. „Wir machen nichts mit Tieren! Niemals!"
„Dann bring doch einen anderen Vorschlag!", seufzte Benni und ließ sich nach hinten in das Sofa sinken.
„Wir könnten doch einfach so weitermachen, wie bisher. Das ist doch eigentlich oft schon schockierend genug", sagte Timi und zündete sich einen weiteren Joint an. Er hatte schon längst keine Lust mehr, seinen Kopf anzustrengen und wollte nur noch in Ruhe kiffen.

Benni verdrehte die Augen und sah auf Lukas herunter, der mittlerweile seinen Boden mit einer Sprühflasche Parkettreiniger bearbeitete. Von ihm wäre sowieso keine Idee zu erwarten, die widerlich genug sein könnte.
Hier würde er heute keinen Schritt mehr weiter kommen, darum erhob er sich mühsam von dem viel zu tiefen Sofa und ging Richtung Wohnungstür.
„Scheiße ey, ich geh heim. Morgen Abend um acht bei mir, ihr Hurensöhne. Bis dahin hat sich jeder einen vernünftigen Vorschlag überlegt", befahl er seinen drei Bandmitgliedern und schloss die Tür hinter sich.

Er stieg in seinen Wagen und machte sich auf den Weg zu seiner großen Dachgeschosswohnung in Charlottenburg. Der Frust, den er derzeit verspürte, war kaum noch in Worte zu fassen. Die Arbeiten am Album waren schon lange abgeschlossen und zukünftige Konzerte waren bereits geplant. Außerdem hatten sie eine Release-Party angekündigt, die nur volljährige Personen besuchen durften. Doch warum eigentlich? Dafür gab es bisher überhaupt keinen Grund! Ausgerechnet jetzt steckte die Band in einer schweren, kreativen Sackgasse.

Als er an der Ampel stand, schlug Benni wütend aufs Lenkrad. „Scheiße! Verfickte Scheiße!", schrie er laut. Da das Fenster einen Spalt aufstand, konnten auch einige Passanten den kleinen Wutausbruch mithören.
Benni ließ die Scheibe herunter und streckte seinen Kopf heraus. „Was ist los, du Hurensohn? Willst du eine aufs Maul, oder was?", blaffte er in die Richtung eines übergewichtigen Mittzwanzigers.
„Nein, nein. Schon gut. Sorry", murmelte dieser und verzog sich, so schnell es ihm sein Körper erlaubte.
„Ist auch besser so für dich!", schrie Benni ihm nach.

Benjamin Kerber hatte durchaus auch seine weichen Seiten. Nur gab es nicht viele Momente, in denen er diese zeigen konnte. Vor allem, wenn die Dinge nicht liefen, wie er sich das vorstellte, konnte er sehr ungemütlich werden. Und in den letzten Wochen lief einfach gar nichts mehr. Weder im Zusammenhang mit Plan B, noch Zuhause.

Mädchen, mach die roten Lichter aus!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt