Kapitel 2

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Kapitel 2

Liam

Jeder Tritt war wie ein gemeinsamer Herzschlag. Jedes Mal, wenn er abhob im Parcours war es wie ein unendlicher Höhenflug, der kein Ende zu finden schien. Jeder Abwurf war ein Zeichen, dass sie an Grenzen gestoßen waren, und jede fehlerfreie Wiederholung zeigte, dass die letzte Leistungsgrenze noch lange nicht erreicht war. Er selbst wollte immer höher, immer weiter, immer schneller. Liam ließ ihn gewehren. Mit Admiral hatte er sein altes Feuer wieder gefunden. Er liebte die Dressur und er liebte es seine Soleil zu reiten, doch noch mehr liebte er es, in einen Springparcours zu starten mit einem Pferd, das alles für ihn springen würde, wenn es könnte. Eines, das ihm bedingungslos vertraute und unendlich dankbar war. Dieses Pferd war ein wahrer Kämpfer, das hatte er von Anfang an gewusst.

In gestrecktem Galopp raste der Rappe die lange Seite des Springplatzes entlang. Seine Ohren hatte er dicht angelegt und die Nase weit vorgestreckt. Er genoss diese kleinen Ausbrüche unheimlich und so gönnte sein Reiter ihm diese Freiheit nach einem gelungenen Durchgang. Die Sonne wärmte das schwarze Fell an diesem Vormittag und trug auch wesentlich dazu bei, dass es bereits nach den ersten Sprüngen schweißnass gewesen war. Mit voller Absicht hatte er deshalb auf ein frühes Training bestanden und seinen Kollegen aus dem Bett geschmissen.

An der kurzen Seite angekommen parierte er zum Trab, ließ die Zügel lang und erlaubte Admiral selbstständiges durchparieren. Im Schritt ritt er nun kleine Kringel um seinen auserkohrenen Trainer.

"Und Michael, was hälst du von ihm?"

"Er ist stattlich, besitzt unglaublich viel Vermögen und vor allem Willen. Du hast es gut mit ihm getroffen und andersrum. Wenn ich noch aktiv wäre, würde ich ihn dir glatt abkaufen wollen." Michael Walldorf, Vielseitigkeitstrainer und ehemaliger -profi, zu beeindrucken war schwer und dennoch hatten sie es geschafft. Das erfüllt Liam schon ein wenig mit Stolz, auch wenn er damit, genauso wie mit Lob, sehr sparsam umging. "Was hast du mit ihm vor, Liam? Und warum hast du mich so früh aus dem Bett geschmissen?", forderte der Mittvierziger nun zu erfahren. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Australiers.

"Ich brauche jemanden, der uns coached, wenn ich ihn auf Turnieren vorstellen will. Ich will sehen, wohin wir kommen können - aber dafür brauche ich einen Trainer, der mir unverblühmt sagen kann, was wir verbessern können."

"Dann legen wir mal los damit, würde ich sagen."


Isabel

Erster Schultag. Der erste Schultag in der Oberstufe, was neue Unterrichtsräume bedeutete und auch kleinere Kurse. Grundsätzlich war die Kursauswahl nicht besonders groß hier, da sie schließlich extrem wenige Schüler waren. Doch für einen Englisch- und Deutschleistungskurs hatte es bei ihr gereicht. Leider hatte ich auch Bio noch zu meinen Leistungskursen wählen müssen und Geschichte und Politik als prüfungsrelevante Grundkurse belegt. Das traurige an der Oberstufe war leider, dass der restliche Unterricht damit nicht weg fiel. Das hieß, weiterhin Religion, Mathe, Französisch und den ganzen anderen Scheiß. Nur Physik und Chemie war ich losgeworden - und das war schon ein kleiner Erfolg.

Sophie war noch immer nicht aufgetaucht, doch wenigstens hatte sie mir gestern um kurz vor Mitternacht noch eine Nachricht hatte zukommen lassen.

Alles ok. Ich komme wegen familiärer Sachen ein paar Tage später. Macht euch keine Sorgen.

Diese Nachricht trug natürlich nicht gerade dazu bei, dass ich mir keine Sorgen machte. Schließlich hatte ihre Mutter mit Krebs gekämpft und ich befürchtete, dass er zurück gekehrt war. Hoffentlich nicht... Sophie würde es verkraften, doch ihre kleine Schwester Alina hatte schon beim letzten Krankheitsschub sehr gelitten. Ich hoffte einfach, dass es etwas unkompliziertes war.

Spanisches Temperament und andere ProblemeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt