Kapitel 66 - Das blinde Recht

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~Sabrina~

Sie konnte ihn nicht mehr sehen! Sie konnte Mile nicht mehr sehen! Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um über den Rand des Sandtrichters und tiefer in diesen riesenhaften Krater in der Erde sehen zu können, doch das half nichts. Erstens war sie zu klein und zweitens war Mile schon zu weit nach unten gerutscht.
Mittlerweile hatte irgendjemand Hilfe geholt. Einige Stürmerelfen hatten sich neben Hänsel am Rande des Sandtrichters aufgebaut und beschossen die Myrmekes mit brennenden Pfeilen.
Das Ungetüm kreischte.
»Dieser Idiot!«, rief Red über das Getöse hinweg. »Dieser Dummkopf!«
»Trottel! «, stimmte Sabrina in die Schimpftirade ein. Es war besser, seiner Wut freien Lauf zu lassen, als von seiner Sorge überwältigt zu werden.
Auf einmal kam Bewegung in das Wesen. Es hatte sich zuvor schon immer wieder in die Höhe gewunden, mit seinen Zangen geschnappt oder mit seinem Maul vorwärts zu stossen, um alles zu fressen, was ihm es erwischen konnte, doch nun schien es wie rasend. Es schnappte nach den Pfeilen, peitschte mit dem Kopf hin und her. Es hasste das Feuer.
»Wir müssen doch was tun können«, knurrte Falk neben ihr grimmig.
Der Klang seiner Stimme genügte, um für einen kurzen Moment ihren Blick von der Myrmekes abzuwenden und ihn auf den Piraten zu lenken.
Er sprach in der letzten Zeit nicht besonders viel. Genauso wenig schlief er, was die tiefen, dunklen Ringe unter seinen Augen bezeugten. Das ging nun schon einige Tage so. Angefangen hatte das an Tag zwei auf ihrer Reise durch die Waldgärten von Wyr. Zuvor war alles in Ordnung gewesen, doch am nächsten Morgen war sie aufgewacht und Falk hatte nicht neben ihr gelegen. Seither ging er ihr aus dem Weg. Er sprach nicht mit ihr, berührte sie nicht, wich ihr aus. Er machte sie völlig wahnsinnig. Er hatte sich von einem Moment auf den anderen vor ihr zurückgezogen und sie wusste nicht wieso und je mehr sie versucht hatte, wieder an ihn heran zu kommen, desto mehr hatte er sich zurückgezogen. Das machte ihr Angst. Darum hatte sie nun auch den Entschluss gefasst, ihn in Ruhe zu lassen. Sie wollte nicht, dass er sich gänzlich von ihr entfernte. Es tat schrecklich weh und dass sie nichts tun konnte, machte alles nur noch schlimmer. Sie hasste dieses Gefühl der Machtlosigkeit... Sie brauchte ihn! Und sie vermisste ihn. Sehr...
Falks Kommentar zog nebst ihrer auch die Aufmerksamkeit einiger Stürmerelfen, die das Gefahrengelände absperrten, auf sich. Die Elfen sollten dafür sorgen, dass nicht noch mehr der Eliteeinheit in Gefahr geriet. Hänsel, Rosanna und vor allem Mile waren genug.
Gerade machte Red den Mund auf, vermutlich um den Stürmerelfen zu drohen, sie gefälligst durch zu lassen, als die Myrmekes erneut zu kreischen begann. Doch anders als zuvor richtete sich ihre Schreie nicht gegen das, was sich ausserhalb ihres Trichters befand, sondern dessen Inneres...


~Mile~

Das Feuer schlang sich um den Körper der Bestie. Es biss sich in den Chitinpanzer, färbte ihn schwarz. Es roch nach verbranntem Plastik.
Die Goldameise brüllte so laut, dass etwas Sand den Trichter hinabrieselte.
Wie toll begann das Ungetüm sich zu winden. Dabei bog es seinen Körper vorwärts nach unten, um mit seinen Facettenauge nach seinem Angreifer zu suchen. Als es Mile entdeckte, zischte es und stiess mit seinen Zangen zu.
Mile reagierte blitzschnell: Er riss Kayat aus dem Sand, nutzte den Schwung, stiess sich mit den Füssen ab und sprang gerade rechtzeitig, um nicht von den gigantischen Zangen der Goldameise in zwei Teile gehauen zu werden.
Er prallte gegen den Panzer des Monsters, in seiner Brust explodierte erneut der Schmerz, doch er biss die Zähne zusammen und krallte sich mit seiner freien Hand an einer der daumesdicken Borsten fest, mit denen das Monstrum am ganzen Körper übersäht war.
Die Myrmekes gab ein benommenes Grollen von sich, das ein wenig wie ein Stöhnen klang. Sie hatte ihre Zangen blind vor Wut so tief in den Sand gerammt, dass ein Erdrutsch ausgelöst worden war, der sich über ihren Kopf ergossen hatte. Nun versuchte es mühselig, seine riesigen Schädel samt Zangen wieder aus dem Sand zu ziehen.
Mile liess diese Chance nicht verstreichen. Schnell liess er sein Schwert in dessen Scheide um seinen Gürtel gleiten, sicherte es mit einem Riemen, damit es nicht herausrutschen konnte und packte mit seiner zweiten nun freien Hand eine weitere Borste, dann begann er zu klettern. Borste für Borste zog er sich hoch. Kochendheisse Tränen des Schmerzes rannen seine Wangen hinab, bis sie verdunsteten...

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now