Kapitel 30 - Geheimnis ohne Zeit

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~Sabrina~

»Es war in einer kalten Nacht, Wind pfiff über die See. Des Meeres kalte Hand sie brennt, der Sturm bekämpfte sie. Des Piraten grösster Freund und Feind, die Frau, die dunkle See.«
Sie lauschte Hooks leisem Gesang. Ihr Herzschlag wurde ruhiger und ruhiger. Das Feuer knackte und der Pirat sang.
»Ja, Piraten sind es, ohne Herz, Kinder dunkler See. Ein Leben voller Lug und Trug, die Hölle erwartet sie.«
Sie spürte, wie Hook ihr vorsichtig das Haar aus dem Gesicht strich. Beinahe vergass sie, wo sie war, was sie war. Da war kein Krieg, keine fremde Welt, kein Eis. Nur Hooks schöne Stimme in der Nacht.
»Da kommt der Teufel auf das Schiff und winkt dem Seemann zu. Der wendet sich verzweifelt um und sucht im Himmel Ruh. Zu den Sternen will er flüchten, zur Sonne will er fliehen, doch alle Sterne werden bleich, die Sonne will verglühen.«
Das Lied war traurig und schwer. Es passte zu der Lagerfeuer Atmosphäre. Die verlorenen Jungs schliefen bereits alle. Wendy und Mondkind hatten sich unter einer alten Eiche zusammengerollt. Und die Raben machten die Nacht unsicher. Von dem Meisterdieb und Peter fehlte jede Spur. Die beiden schoben gerade Wache. Doch obwohl Sabrina ihren Schlaf bitter nötig hat, bekam sie kein Auge zu. Sie hatte sich so lange auf dem weichen Moos Bett hin und her gerollt, ruhelos und schlaflos, bis Falk zu ihr herübergekommen und sich um sie gekümmert hatte.
»Da öffnet sich die schwarze See und Geister komm in Höh'n. Des Teufels raue Lachen nun in Seemannsohren dröhn. Der tote Pirat wird genommen, keiner hat gefragt, und donnernd schliesst das Meer sich wieder, die Götter haben versagt. So wird es jedem Wesen gehen, der sich ins Piratenleben wagt«, schloss er das Lied ab.
Sabrina schlug die Augen auf und lächelte.
»Brutal das Lied«, flüsterte sie.
Hook grinste. »Aber so ist es«, antwortete er. »Einmal Pirat, immer Pirat. Vergeben wird nicht. Der Preis für dieses Leben ist die Seele. Und der Teufel ist kein Berater. Der Teufel ist selbst ein Pirat. Er kauft deine Seele, reitet mit ihr auf den Wellen, bis dein Geist untergeht. Er trinkt dein Blut und springt dann, betrunken von dem dunkelroten Lebenssaft, über die Rehling um dann durch den schwarzen Ozean zu schwimmen, um von dem nächsten armen Kerl seine Bezahlung einzufordern.«
Sabrina schüttelte den Kopf. »Du glaubst also«, fragte sie, »dass deine Seele dem Teufel gehört?«
Falk zog seine Pistole und begann sie auseinander zu nehmen und sie zu putzen.
»Natürlich ist der Teufel hinter mir her. Ich bin nicht nur Pirat, ich bin ein Captain. Doch der Teufel kann mir nichts.«
»Und wie meinst du das jetzt?«, fragte Sabrina und setzte sich auf.
»Mein Dämon tanzt mit dem Teufel. Und so lange der irre Geiger spielt, ist das Lied, zu dem wir tanzen, noch nicht vorbei.«
»Aha.«
»Wer sagt, dass ein Pirat kein Poet sein kann?«
Sie verdrehte die Augen. Dann liess sie sich wieder in ihr Moosbett fallen und betrachtete den Sternenhimmel. Sie hatte dieses Mal nicht unter einem Baum schlafen wollen. Arillis war unter einem Blätterdach gestorben. Sie bevorzugte den Sternenhimmel. Vieleicht würde Polare, der blaue Mond sie diese Nacht vor schlechten Träumen bewahren. Am liebsten würde sie gar nicht mehr träumen. Nicht gut, nicht schlecht. Und vor allem nicht traumreisen!
»Ich glaube an so was wie Vergebung«, meinte sie nachdem sie einige Zeit ins Feuer gestarrt hatte.
Falk lachte leise. Dann sagte er mit rauer Stimme: »Wer könnte mir vergeben. Es gibt keinen Gott. Auch keine Götter, Sabrina. Es gibt allein den Herrn der Hölle und der macht seinen Job besser, als es jemals ein Gott den seinen tun könnte.«
»Hook, du bist hier. Du bist jetzt kein Verbrecher mehr. Auch wenn du für immer ein Pirat sein wirst, so bist du jetzt mein Pirat!«
Wieder lachte er. »Ich bin jetzt also ein Pirat im Auftrag der Herrscher. Freibeuter im Namen der Eisprinzessin.«
»Ganz genau.«
»Und doch bin ich, wer ich bin. Der Teufel tanzt noch immer. Wenn mein Dämon fällt, wird er mich auffangen. Der Teufel wird mich eines Tages kriegen«, knurrte er und entsicherte die Waffe.
»Gibt es keine Möglichkeit, den Teufel auszutricksen? Wie könntest du deine Seele zurückbekommen?«, fragte sie und suchte nach bekannten Sternbildern an dem neuen Sternenflies. Sie fand keines.
Falk liess sich Zeit mit seiner Antwort. Erst als Sabrina den Kopf hob, um zu sehen, ob er doch schon eingeschlafen war, redete er: »Dem Teufel ist es egal, wessen Seele er bekommt. Nur will er eine haben. Ich müsste ihm die Seele eines anderen bringen. Doch es müsste jemand sein, dessen Herz noch dunkler ist, als das meine.«
»Und wie willst du ihm diese Seele bringen?«
Hook lachte leise und freudlos. Er knurrte düster: »Indem ich töte.«
Sabrina schluckte. »Wieso glaubst du, dass es einen Teufel gibt? Woher willst du wissen, dass er dich mitnimmt, wenn du irgendwann stirbst«, fragte sie vorsichtig.
»Piraten erzählen Geschichten. So manches ist Seemannsgarn, so manches gelogen, so manches sind einfach nur Geschichten. Doch manchmal sind es wahre Geschichten. Jeder Seemann kennt den Tod. Viele haben ihm schon in die Augen gestarrt und sind nur knapp entkommen. Und jeder Pirat hat schon selbst getötet. Es ist einfach so. Und irgendwann wird niemand mehr das Märchen von Peter Pan kennen. Wenn ich in Vergessenheit gerate, dann werde ich sterblich sein. Und dann wird der irre Geiger zu Ende spielen. Der Tanz wird enden und der Teufel meine Seele fressen.«
»Welche Seele wäre deiner ebenbürtig, Hook? Welche würdest du dem Teufel im Tausch anbieten können?«
Hook grinste böse. »Medusa. Kein Herz ist dunkler und schmutziger als der Seeherrin ihres.«
Sabrina nickte. »Wir werden einen Weg finden.«
Hook nickte langsam. Er legte die Waffe neben sich. Als er ihren skeptischen Blick bemerkte meinte er frech grinsend: »Nur für alle Fälle. Jemand muss dich doch schliesslich vor dem Drachenreiter beschützen.« Dann legte auch er sich hin und drehte den Kopf zu ihr.
»Hast du Angst? Angst, dass er wirklich kommen könnte? Arillis war Erils Ein-und-Alles«, fragte sie den Piraten. Doch der lachte nur. »Ich bin ein Pirat. Das Einzige, wovor ich Angst habe, ist, dass die Meeresgöttin Klyuss mich in ihre Arme schliesst, nicht wieder loslässt und das Meer, mich verschlingt. Und dieser Elf erinnert mich zu sehr an ein trotziges Kind, dessen Lieblingsspielzeug kaputt gegangen ist. Dieser Erillion hat niemals genug Mumm in den Knochen, um es mit dir aufzunehmen Sabrina!«
»Danke«, flüsterte sie lächelnd.
Hook lächelte sein schiefes, spöttisches Lächeln und sah sie an.
Sie wünschte sich, die Zeit könnte stehen bleiben, nur diesen einen Moment einfangen.
Auf einmal spürte sie einen heftigen Schmerz in den Schläfen. Sie setzte sich auf und rieb sich die Stirn. Das Stechen verschwand und zurück blieb ein eigenartiges Summen in ihrem Kopf. Während sie so dasass und sich die Schläfen massierte, bemerkte sie auf einmal, wie still es geworden war. Zu still.
Die Grillen waren verstummt, nicht ein Käuzchen liess seinen kläglichen Ruf über den Wald schallen. Selbst das Feuer hatte aufgehört zu knacken.
So blickte sie auf und erstarrte vor Schreck.
Die Flammen, die zuvor fröhlich auf dem Haufen aus Brennholz getanzt hatten, waren erstarrt!
Sabrina wandte sich zu Falk um, doch auch der starrte, wie zu Stein geworden, unbeweglich in den Himmel zu den Sternen auf.
Sabrina stand auf und ging um das Feuer herum zu Mondkind. Doch selbst dieses seltsame Kind, das durch Träume reisen konnte und in Rätseln sprach von Drachen und Herzen und Schlüsseln, selbst Mondkind lag erstarrt im Gras unter der alten Eiche.
Erstarrt.
Als hätte jemand die Zeit gefrieren lassen.
Wie ihr Vater es ihr vorhergesagt hatte...
Nur wie stellte man die Zeit wieder an?
Eine leichte Panikwelle schien sie zu überrollen, doch Sabrina blieb standhaft. Wie ein Fels in der Brandung... Unruhig begann sie vor dem Lagerfeuer auf und ab zu laufen.
Wieso erklärte ihr nie jemand, was es mit ihren Fähigkeiten auf sich hatte? Seit sie die Zeit angehalten hatte, war da dieses Summen in ihrem Kopf... Doch nun wurde es immer leiser, als würde jemand den Lautstärke Regler langsam auf Lautlos drehen...
Im nächsten Moment waren alle Geräusche wieder da. Und sie schienen lauter in Sabrinas Ohren zu dröhnen als je zuvor.
Die Tiere der Nacht sangen weiter ihr düsteres Lied, die Sterne funkelten wieder, das Feuer tanzte und knackte und Hook rief erschrocken ihren Namen.
»Sabrina! Sabrina! Wie bist du so schnell da hingekommen? Du lagst doch eben noch neben mir!«

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now