„Du bist blöd.", meinte er bloß beleidigt und gemeinsam gingen wir zurück zu den Bänken, auf denen noch immer mein Bruder saß. Er hatte sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt. Er hatte uns einfach nur amüsiert zugesehen und in aller Ruhe sein Brot gegessen.

Der Tag hatte so gut begonnen. Miss Magpie vergessen und ihr merkwürdiges Verhalten war vollkommen in Vergessenheit geraten. Der Tag war so gut gewesen. Doch es sollte nicht so bleiben. Natürlich hatte ich das nicht ahnen können, doch hätte ich es geahnt, wäre ich heute zu Hause geblieben und hätte keinen Schritt vor die Tür getan. Aber hinterher war man immer schlauer.

Lucius, James und ich hatten herumgealbert und zu Hause hatte es mein Lieblingsessen gegeben. Selbst meine Mutter war heute okay gewesen. Sie hatte das Essen gemacht, was sie sonst noch nie getan hatte - nun gut, sie hatte es bestellt - und irgendwoher hatte sie gewusst, was mein Lieblingsessen war. Wahrscheinlich hatte sie Dad gefragt. Oder Lucius. Aber das glaubte ich nicht. Ich freute mich ehrlich über ihre Bemühungen.

Sie hatte sogar mit uns am Tisch gegessen und sich an unserem Gespräch beteiligt. Zuerst war ich wie vorher genervt gewesen und hatte nicht mit ihr reden wollen, doch schließlich hatte ich mir gesagt, ich könnte das ja mal für das Essen sein lassen. Schließlich versuchte sie es doch. Und am Ende hatte es sogar Spaß gemacht, sich mit ihr zu unterhalten. Sie erzählte von ihrer anstrengenden Geschäftsreise und von nervigen Kunden. Es war recht lustig gewesen, ihr zuzuhören, auch wenn ich das Meiste nicht verstand. Aber das machten die Fotos wieder wett. Mit leuchtenden Augen blickte ich auf schneeweiße Strände, Urwälder, die so dicht waren, dass die ganze Welt grün erschien. Klippen, so hoch wie Häuser und Brücken aus Glas.

Dad hatte sich natürlich gefreut und war erleichtert gewesen, dass ich meiner Mom eine Chance gab. Lucius hatte sich auch gefreut, dass unsere Mutter endlich nicht mehr in ihrem Zimmer aß und mit uns redete, als seien wir eine richtige Familie. Sie redete nicht nur über sich, erzählte auch über die Zeit, in der Lucius und ich noch klein gewesen waren. Und sie stellte uns Fragen, wie es in der Schule war, ob wir die Lehrer mochten und was unsere Lieblingsfächer waren.

Lucius erzählte ihr von James, dass wir alle Miss Magpie nicht mochten und dass er Mathe und Englisch mochte. Ich sagte, dass ich Sachkunde und Sport am liebsten hatte.

Unsere Mutter erfreute es, dass wir mit ihr redeten und nicht mit dem Thema von unserer letzten Unterhaltung wieder anfingen. Und mich freute es, dass sie sich endlich um uns bemühte. Selten hatten wir alle vier am Küchentisch gesessen. Ich liebte es.

Der Tag war so gut gewesen. Bis ich den Fehler machte, nach dem Essen raus gehen zu wollen. Dad sagte lächelnd, ich solle nicht zu spät zurückkommen und Mom wünschte mir viel Spaß, während sie mir einen Kuss auf den Scheitel drückte. Das war so ungewohnt, aber es fühlte sich auch wirklich gut an. Lächelnd sah sie mir hinterher und ich hatte das Gefühl, dass wir ihr tatsächlich etwas bedeuteten und dass es ihr gut tat, dass sie sich endlich um uns kümmerte und mit uns redete. Normal redete. Als wäre sie nicht ständig weg.

Einige Zeit lang dachte ich, dass es mir vielleicht etwas gebracht hätte, wenn ich Lucius mitgenommen hätte, anstatt allein zu gehen. Später allerdings wurde mir klar, dass ich ihn nur in Gefahr gebracht hätte. Dann hätte ich mich nicht nur darauf konzentrieren müssen, mich zu retten, sondern auch noch Lucius. Und das wäre nicht gut ausgegangen. Für uns beide. So gesehen war es doch gut, dass er nicht mitgekommen war. Es war besser so.

Ich ging also in Richtung Spielplatz. Einfach, um dort meine Ruhe zu haben. An diesem Tag wurde es schneller dunkel und zusätzlich verdeckte eine große, dunkle Wolke die Sonne. Es war windig, sodass die Bäume im Wind schaukelten. Jetzt war kaum einer noch draußen. Die Straßen waren wie leer gefegt. Ich bemerkte den Schatten in der Dunkelheit der Bäume nicht, der mir folgte, seit ich das Haus verlassen hatte.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now