Am nächsten Morgen war ich als erstes wach. Schnell, aber lustlos machte ich mich fertig und als ich bereits am Frühstückstisch saß, stieß Lucius dazu. Erst mied er es, mir in die Augen zu sehen und ihm war anzusehen, wie schlecht er sich fühlte. Dann aber hob er seinen Blick. Der Ausdruck auf seinem Gesicht hätte mich beinahe wieder weich werden lassen.

„Frey ...", fing er wieder leise an. Ich schob mir einen Löffel Müsli in den Mund.

„Es tut mir leid, hörst du?"

Ich kaute auf meinem Müsli herum.

„Freya, bitte!" Er wirkte verzweifelt. Mit gesenktem Blick stand ich auf und wollte gehen, doch da hatte ich die Rechnung ohne meinen Zwillingsbruder gemacht. Denn dieser stand auf und nahm mich einfach fest in den Arm. Fest drückte er mich an sich, vergrub sein Gesicht in meinem schwarzen Haar. All seine Gefühle, all die Verzweiflung steckte er in diese Umarmung, die ich zuerst nicht erwiderte. Doch als er sich gerade sichtlich enttäuscht und verletzt zurückziehen wollte, tat ich es. Ich spürte seine Erleichterung und sein glückliches Lächeln, das die ganze Welt erleuchten könnte, als er sein Gesicht wieder an meiner Schulter vergrub.

Gemeinsam gingen wir zur Schule. Der gestrige Tag schien nie existiert zu haben. Lucius und ich waren ein Team. Das würden wir immer sein. Bis James angerannt kam.

„Hey, Lucius!", rief er und stockte, als er mich sah, „Freya, oder?"

„James, oder?" Unsicher musterte ich ihn. Ich wusste nicht, was ich von ihm halten sollte. Er nickte nach einem kurzen Zögern. Nicht nur ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Das machte mir Mut.

„James, ist es ein Problem, wenn meine Schwester bei uns ist?", fragte Lucius. Fassungslos schoss mein Blick zu ihm. Er musste James zuerst fragen, ob ich bei meinem Bruder und seinem Freund sein konnte? Wie bescheuert. James war doch nicht unser Vater.

„Kein Problem.", sagte James und Lucius lächelte mich ehrlich an.

James redete den ganzen Schulweg über mit Lucius. Wie ein Wasserfall sprudelten die Worte aus ihm heraus und seine gute Laune schien unseren Weg wie ein helles Licht zu erhellen. Schweigend lief ich neben den beiden her, fühlte mich, als würde ich nicht dazugehören. Ich kam mir vor wie das fünfte Rad am Wagen. Vermutlich war ich das auch.

Und diese Miss Magpie ... Da stimmte irgendetwas nicht. Das spürte ich. Auch wenn Lucius das anscheinend nicht glaubte, ich tat es. Ich war mir sehr sicher. Diese Lehrerin war unheimlich. Sie hatte etwas an sich, das mich jeden Augenblick erwarten ließ, dass ihr plötzlich spitze Reißzähne und Krallen wuchsen.

Als wir an der Schule ankamen, gliederten wir uns in einen Strom aus Schülern ein, der uns bis in unsere Klasse schwemmte. Anders als am Tag zuvor setzte James sich zu uns in die hinterste Reihe. Angeregt redete er mit meinem Bruder. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu und hörte irgendetwas über Ritter und magische Schwerter.

Mein Bruder war glücklich. Leicht lächelnd sah ich aus dem Fenster. Ich sollte mich nicht einmischen. Er hatte es verdient, Freunde zu haben und James war in Ordnung. Was allerdings überhaupt nicht in Ordnung war, war Miss Magpies Blick, der unaufhörlich auf mir klebte. Das gefiel mir überhaupt nicht. Am liebsten wollte ich mich so klein wie möglich machen, in der Hoffnung, dass sie mich dann nicht mehr sehen würde.

In der Pause zog Lucius mich mit zu James und den Schaukeln.

„Aber hier sind nur zwei Schaukeln.", sagte James.

„Ja, schon.", sagte Lucius und setzte sich. Auffordernd sah er mich an. Freude durchströmte mich. Endlich kümmerte er sich nicht bloß um ihn. Endlich wurde auch ich mit einbezogen. Gespielt seufzte ich schwer auf, aber das Grinsen, das sich auf meine Lippen stahl, verriet mich. Geschickt kletterte ich zu Lucius auf die Schaukel und setzte mich, sodass wir eine Schiffschaukel bildeten. James neben uns auf der Schaukel lachte.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now