Kapitel 7 - Das Wintermädchen

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~Mile~

Mile sass zusammen mit seinen Freunden auf der Bank der Bushaltestelle. Da auf der Bank wenig Platz war, aber niemand stehen wollte, sassen alle so eng aneinandergepresst da, dass man beinahe keine Luft mehr bekam.
Auch Mile war zu faul zum Stehen und war so Teil des Menschensandwichs. Links von ihm sass Lilly und rechts Michelle. Lilly hatte ihren Kopf auf seine Schulter gelegt und Michelle himmelte ihn von der Seite an.
»Hast du Samstagabend schon was vor?«, fragte Michelle und lächelte.
»Ich wollte mir mit Sabrina King Kong ansehen...«
»Ach was. Wieso kommst du mit uns nicht ins Grey Mouse?«, meinte Lilly.
Wenn er gekonnt hätte, wäre Mile nervös auf dem kalten Holz der Bank herumgerutscht. Vorsichtig fragte er: »Was ist das... Grey Mouse
»Der coolste Club im Dorf. Na ja... Eigentlich ist es auch der Einzige... Aber er ist trotzdem echt okay!«, versuchte Michelle ihn weiter zu überzeugen.
»Bitte, deine Schwester kannst du doch mitbringen!«, bettelte Lilly und legte ihm einen Arm um die Schulter, was ihr einen giftigen Blick von Michelle einbrachte.
»S... Sabrina geht nicht gerne unter Leute.«
»Frag sie doch!«
Mile räusperte sich und stand auf. Diese Mädchen machten ihn noch wahnsinnig! Seit Michelle herausgefunden hatte, dass er keine Freundin hatte, hingen die beiden an ihm, wie zwei liebestolle Blutegel.
»Was ist denn, Mile?«, fragte Lilly und blinzelte ihn an.
»Ich... ich...«, stammelte Mile und blickte sich hilfesuchend um. Dabei fiel ihm etwas auf: Sabrina war nicht da.
Heute war ein Freitag und Mile wusste, dass Sabrina heute genau zur gleichen Zeit aus hatte, wie er. Aber unter all den mindestens zwanzig Schülern, die sehnsüchtig auf den Bus warteten, damit er sie endlich nach Hause ins Wochenende fahren würde, konnte er seine kleine Schwester nicht entdecken. Dabei war sie praktisch eine Schulallergikerin und der Schulschluss ein heiliger Moment. Niemals würde sie den Bus verpassen, der sie zurück in die Villa der Tallos bringen würde, wo sie sich auf das Sofa werfen und ihren Bruder endlich wieder für sich haben könnte. Zwar wussten alle, dass der Schulbus sich gerne um zehn bis zwanzig Minuten verspätete, da der alte Fahrer Hurby ein gemütlicher Kerl war, aber trotzdem war Sabrina immer pünktlich an der Haltestelle gestanden. Alleine oder in Gesellschaft ihres Freundes Harry, den sie ignorierte.
»Habt ihr Sabrina gesehen?«, fragte er die Mädchen, doch seine Schulfreundinnen schüttelten den Kopf.
»Vielleicht ist sie bei Harry von und zu Labertasche«, meinte Lilly und zuckte die Schultern.
Mile sah sich um und entdeckte den kleinen, dicken Jungen. Er stand neben dem Busfahrplan und stopfte sich einen Schokoriegel in den Mund.
Schnellen Schrittes eilte Mile auf Sabrinas Kumpel zu.
»Hey, Harry.«
»Oh... Hmpf... Du bist Milo, oder?«, schmatzte Harry aufgeregt. Er schien sich zu freuen, dass jemand von ihm Notiz nahm und streckte Mile zur Begrüssung seine Hand entgegen. Da diese aber Schokoladenverschmiert war, lächelte Mile ihn nur freundlich an und tat so, als hätte er die Hand des Jungen nicht gesehen.
»Mein Name ist eigentlich Mile, aber...«
»Sorry, Alter...«
Mile blinzelte und meinte: »Ähm... Das macht nichts. Du... du bist mit meiner Schwester befreundet, oder?«
»Ja, Sabrina. Sie ist cool. Ein wenig still, aber cool. Ihr solltet sie jedoch mal zu 'nem Seelenklempner schicken. Sie ist, glaube ich, ein wenig depressiv...«, antwortete Harry und zwinkerte ihm kumpelhaft zu.
»Ah, okay... Harry, ich bin auf der Suche nach ihr. Weisst du, wo sie ist?«
»Ich hatte ihr gerade die Installation eines Schummelmoduls an 'nem DS erklärt, da meinte sie, sie hätte ihre Bücher vergessen. Die für Französische Literatur. «
»Wo hat sie sie vergessen und wann war das?«
»Keine Ahnung... Vor zehn Minuten. Sie wollte sie in der Bibliothek abholen...«
»Vor zehn Minuten?«, hakte Mile nach.
»Jap. Ich habe mich auch gewundert, wieso sie so lange braucht. Sonst kann sie es ja gar nicht erwarten, aus der Schule zu kommen...«
Mile runzelte die Stirn und nickte Harry zu.
»Danke«, meinte er und sah zu dem Schulhaus. Die dünne Schneeschicht, die auf dem Pausenplatz lag, war von Fussabdrücken durchpflügt. Die Bäume, die hier und da wuchsen, waren kahl.
Ein trübsinniges Bild...
»Kein Problem, Alter«, rief Harry und widmete sich einem zweiten Schokoriegel. Mile höre ihn nicht. Er war in Gedanken versunken.
Er hatte wieder so ein Gefühl... Eine Eingebung, wie Sabrina es nannte, wenn er irgendwie wusste, was er tun musste. Sein Instinkt, der ihm manchmal sagte, was zu tun war.
Jetzt sagte ihm diese Eingebung, dass etwas nicht stimmte. Er sorgte sich um Sabrina.
Sollte er sie suchen gehen?
Das schlechte Gewissen begann ihn wieder zu plagen. Er hatte sich so sehr in sein neues Leben verliebt und sein Altes versucht zu vergessen. Er hatte Sabrina sich selbst überlassen. In der Schule ignorierte er sie und zu Hause war er wieder ihr führsorglicher Bruder.
Vielleicht hatte er einen Fehler gemacht.

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now