Chapter 29| Down

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Schläfrig öffne ich die Augen und blicke in einen gleißenden Sonnenstrahl, geblendet halte ich mir die Hand vor die Augen. Der Sonnenstrahl scheint durch den Spalt zwischen den hellen Vorhängen. Dabei bin ich mir sicher sie letzte Nacht übereinander gezogen zu haben. 

Seufzend drehe ich mich auf den Rücken und streiche mir über das Gesicht. Verschlafen schlage ich die Decke beiseite und schwinge die Beine aus dem Bett. Meinen Körper stütze ich auf und gehe zum Fenster, wo ich die Vorhänge beiseite schiebe, dabei fällt mir auf, dass eine Fenstertür angelehnt ist. Irritiert blicke ich auf den nach oben gestellten Griff. Drehe ich nun vollkommen durch? Ich habe das Fenster zugemacht. Es war zu. 

Entweder spinnt die Technik -falls es sowas, wie ein automatisches Öffnen der Fenster gibt- oder jemand ist hier. Alarmiert drücke ich das Fenster schwungvoll zu und suche mein Zimmer nach einem harten Gegenstand ab. Meine Augen fliegen über das unordentliche Bett und die Kommode und den Stuhl. Der Stuhl! Ich denke, es stör niemanden, wenn ich das Teil entbeine. Schließlich war er nie besonders bequem. 

Eilig durchquere ich den Raum und hebe den Holzstuhl mit den eingemeißelten Mustern, welche für das Kapitol sehr einfallslos sind. Einfache Schnecken, solche Möbel würde man auf jedem Schwarzmarkt bekommen. 

Mein Bein winkle ich an und haue den Stuhl auf mein Bein, ein heißer Schmerz zieh durch meinen Oberschenkel. Doch es hat seinen Zweck erfüllt. 

In einer Hand halte ich einen dreibeinigen Stuhl und in der anderen ein Bein, mit einem scharfkantigen Ende. 

Den kaputten Stuhl lege ich vorsichtig auf dem Boden, damit der Einbrecher mich nicht hört. Falls überhaupt einer hier ist. 

Das Bein aus dunklem Holz in der Hand gehe ich angespannt aus dem Raum. Mit einem bis zum Hals klopfendem Herz schleiche ich durch den lichtgefluteten Flur und nirgendwo kann ich Spuren eines gewaltsamen Eindringlings erkennen. Überhaupt ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass hier jemand vollkommen gewaltlos reinkommt. Wie soll jemand von außen ein Fenster aufmachen und warum sollte er es dann auch noch anlehnen? Außerdem wäre ich bestimmt aufgewacht, seit der Arena weckt mich jede kleinste Bewegung auf. Wenn Finnick sich auch nur aufsetzt, bin ich wach. 

Im Haus ist es still und ich stehe kopfschüttelnd am Kopf der Treppe. Vielleicht gibt es ja wirklich eine elektrische Leitung zum Fenster und die Leute im Kapitol, haben sich wahrscheinlich gedacht, dass mein Schlafzimmer etwas Sauerstoff benötigt. Wie aufmerksam! 

Ich lache über mich selbst, trotzdem lege ich meine improvisierte Waffe nicht zur Seite. Etwas in mir sagt, dass es falsch wäre. Meine Hand umschließt das Stuhlbein wie einen Schatz. Bestimmt spielt mein Geist mir Streiche, projiziert die Arena auf diese Situation, projiziert das Gefühl angegriffen zu werden auf ein geöffnetes Fenster. Lächerlich! 

Ich reagiere über, ich drehe durch. In meinen Ohren höre ich die Kanonenschüsse und vor meinen Augen sehe ich die Ruinen der Arena und mir wir ganz kalt. Es kriecht mir den Rücken hoch und lässt mich zittern, die Härchen in meinem Nacken stellen sich auf und Schweiß bildet sich auf meiner Stirn. Mir ist kalt und ich schwitze. Schwitzt man nicht, wenn einem heiß ist und ehrlich, mir ist gerade unglaublich kalt. 

In meiner Brust herrscht eine beunruhigende Enge und jeder meiner Atemzüge ist kurz und flach. "Hier ist niemand."flüstre ich mit wackelnder Stimme, die am Satzende ganz weg bricht. Mich verfluchend nehme ich die erste Stufe, meine nackten Füße machen schmatzende Geräusche auf den Holzstufen und das Stuhlbein rutscht in meiner verschwitzten Hand nach unten. Sofort fange ich es auf und schließe meine Hand so fest darum, dass meine Knöchel hervortreten. Das harte Holz schmerzt, doch ich lockere meinen Griff nicht. Langsam nehme ich die nächste Stufe und so gehe ich langsam die Treppe runter, die Angst im Nacken. Mein Mund ist trocken und mein Hals kratzt, als ich schlucke, schmecke ich Blut. 

Am Fuß der Treppe bleibe ich stehen und wandere mit der Zunge in meinem Mund, da ist keine Wunde, von der das Blut herkommen könnte. Bilde ich mir jetzt auch noch den Geschmack von Blut ein? 

Plötzlich fühle ich etwas warmes meine linke Seite runter rinnen. Verwundet fasse ich dort hin, der Stoff meines weißen Nachthemdes ist feucht und klebt an meinem Körper. Verwirrt blicke ich an mir runter und erschrecke. Dort, wo meine Hand liegt, ist ein scharlachroter Blutfleck, der sich viel zu schnell ausbreitet. Schmerzen lassen mich stöhnen und ich muss mich am Geländer festhalten, damit mir nicht die Knie wegsacken. Blut fließt an mir runter und ich spüre nichts als das feurige Brennen. 

Das Stuhlbein fällt zu Boden und ich hebe mit hastenden Händen den zarten Stoff meiner Nachtwäsche, auf das Schlimmste gefasst. Jedoch ist da nichts, das Blut verschwindet so schnell, wie es gekommen war, nimmt die Schmerzen mit sich. 

Mit einem erstickten Schluchzer sinke ich auf die Knie, mich mit einer Hand am Geländer festhaltend. Ich drehe durch. Das Fenster habe ich gestern Abend selbst geöffnet, weil es mir zu warm war. Die Schmerzen waren nur eingebildet, Phantomschmerzen. Schmerzen, dich ich gespürt habe, als diese Seite wirklich zerfetzt war. Zerfetzt von einer Felswand. 

Immer noch zitternd schlinge ich die Arme um meinen Körper. Das hier ist schlimmer als jeder Alptraum, schlimmer als jeder Ausschnitt meiner Spiele. Ich erlebe, wie mein Geist meinen Händen entgleitet, wie ich mich verliere. In dem grausamen Wahn. 

"Ich kann das nicht."wispere ich tonlos. Ich kann keine Mentorin sein, ich kann keine unschuldigen Kinder in den Tod schicken, ihnen sinnlose Ratschläge geben, ihnen Mentoren suchen und dann sehen wie sie sterben. Wie sie unter meinem Schutz als Mentorin sterben.  

Was habe ich getan? Warum musste mir das passieren? Warum hat sie meinen Namen gezogen? 

Ich wollte fliegen und jetzt, jetzt bin ich auf dem Boden, unfähig aufzustehen. Ich habe verloren, ich habe den Kampf gegen das Verdrängen verloren. Ich habe es versucht, mich zusammenzuhalten, die Scherben beisammen zu halten. 

Aber jetzt liegen sie hier. Splitter meiner selbst. 

Tränen rinnen über meine Wangen, als ich mir durch die Haare fahre und verzweifelt zur Decke schaue. Meine Flügel sind gebrochen und mit Blut getränkt. Ihr Blut hält mich am Boden und ich will doch nur weg. Ich will schreien, schreien bis das Feuer in meinen Lungen alles verbrennt. 

Am liebsten würde ich es vergessen, vergessen was passiert. Ich würde so gerne zu dem Tag zurück, als ich morgens aufwachte und mir mein Kleid für die Ernte anzog. Ich hätte wegrennen können. Mit dem Boot über das Meer und fliegen. Fliegen. 

Schluchzend ziehe ich die Knie an meinen Körper, als er auftaucht. "Es tut mir so leid. Ich habe es versucht, ich habe es versucht."entschuldige ich mich mit tränenerstickter Stimme. "Die Wunden müssen heilen, verbunden, nicht von ein paar Pflastern zusammengedrückt werden. Gebrochene Flügel müssen geschient werden , nicht hinterhergeschleift werden. Verdrängen ist nicht heilen."spricht er mit sanfter Stimme. "Du hast doch keine Ahnung! Du bist noch nie zerbrochen!"schreie ich meinen Bruder an und er erlischt. "Es tut mir leid."entschuldige ich mich weinend, als mir meine Tat bewusst wird. Ich habe ihn umgebracht, meinen eigenen Bruder. 

Von Weinkrämpfen geschüttelt liege ich auf dem kalten Boden, als die Tränen nicht mehr fließen wollen, schluchze ich nur noch. Doch das Feuer in meinen brennenden Lungen verbrennt nichts. 

Meine Flügel schmerzen und meine Wunden reißen auf, zu noch größeren Wunden. Tiefer, blutiger und noch schwerer zu verbinden. Ein Dreiviertel Jahr habe ich verdrängt, habe alles in den hintersten Teil meiner Seele geschlossen und nun bricht das Schloss dieser Tür auf. Der dunkle Gang zu dieser Tür wird erfüllt von Schmerz und Reue. Der Schmerz frisst sich durch mich und ich spüre jedes einzelne Messer in meinem Körper, jeder einzelne Schrei meiner Opfer hallt durch meinen Kopf und ich spüre ihren Schmerz und ihre Wut. 

Flammende Wut, die mich verbrennt, ihre Waffen, die sie tief in mich bohren. 

Vor Schmerzen kann ich mich nicht mehr bewegen und liege regungslos da. Den Blick ins Leere gerichtet, in die schwarze Leere und so liege ich da. 


"Iz?"

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