Prolog

18.4K 542 63
                                    

Nicht zum ersten Mal diese Woche, musste Lisa früher ihr Büro verlassen. Der Kindergarten hatte angerufen. Ihr Sohn Luca besuchte seit drei Tagen die Krabbelstube der Einrichtung und schon zum dritten Mal diese Woche, wollte er nicht länger als zwei Stunden dort bleiben. Bisher hatte sie sich dann kurz mit Vanessa besprochen, ihr ihre Arbeit übergeben und sich mit Luca, auf den Weg in den Zoo oder das Spielparadies gemacht. Doch heute konnte sie Vanessa einfach nicht auffinden. Anstatt ihre Arbeit also an ihre Kollegin weiterzugeben, legte Lisa die Unterlagen sorgfältig auf den Stapel ihrer unerledigten Projekte und teilte der Sekretärin am Empfang mit, dass sie das Haus für heute verlassen würde. Kurz überlegte sie, ob sie Kev, ihrem Mann, ebenfalls Bescheid sagen sollte. Doch sie wusste, dass er in seinem eigenen Job, genug um die Ohren hatte.

Bei dem Gedanken an ihn lächelte sie unwillkürlich, während sie durch die Schiebetür der Straßenbahn stieg. Es war später Vormittag und die S-Bahn war beinahe leer. Genau wie damals, als sie Kev in einem dieser Verkehrsmittel kennengelernt hatte. In all seiner Pracht, war er plötzlich vor ihr gestanden. Mit einer tiefen, sexy Stimme hatte er ihr, an jenem Tag in Englisch mitgeteilt, dass er sich mit seinen Freunden auf einem Euro-Trip befand und sie hier, in Wien, gerade erst angekommen waren. Flirtend ließ er sie wissen, dass die Jungs eigentlich keine genaue Vorstellung von Österreich hatten, was Lisa nicht unbedingt wunderte. Woher würde der hochgewachsene, muskelbepackte Footballspieler aus Pittsburgh auch allzu viel über das kleine Land in Mitteleuropa wissen.

Nach einer Unterhaltung, die nur wenige Minuten gedauert hatte, hatte er sie dazu überredet, ihm und seinen Freunden eine private Stadtführung zu geben. Diese Stadtführung endete in einer wilden Partynacht, die wiederum zu einem heißen Abenteuer zwischen ihr und Kev führte. Am nächsten Morgen hatte sie sich nicht lange der Illusion hingegeben, dass dieser Mann wirklich etwas für sie empfinden könnte, was über sexuelles Interesse hinausging. Darum war sie kurzerhand, heimlich aus seinem Hotelzimmer geflohen. Aber, als er dann gegen Mittag, mit einem Strauß roter Rosen vor ihrer Tür stand, war plötzlich doch alles ganz schnell gegangen. Kev hatte bereits mit seinen Freunden vereinbart, in Wien zu bleiben. Er wollte erst, wenn sie alle wieder in die USA zurückkehren würden, mit ihnen nach Hause zu fliegen.

Die Zeit danach war die aufregendste in Lisas Leben. Doch sie zog auch schrecklich schnell vorbei. Der Abschied rückte immer näher und der Gedanke voneinander getrennt zu sein, war schier erdrückend. Egal wie sehr sie darüber nachdachten, es gab einfach keine andere Möglichkeit, er musste zurück in die USA. Kev durfte ohne Visum nicht länger als drei Monate in Europa bleiben. Nächte lang hatten sie sich den Kopf darüber zermartert, wie sie ihrem Schicksal entgehen konnten und Kev fand schlussendlich wirklich eine Lösung. Einen Tag vor seiner geplanten Abreise schleppte er sie zum nächsten Standesamt und steckte ihr einen Ring an den Finger. Ihre Familie und vor allem ihre drei besten Freundinnen, die Kev bis dahin nur flüchtig kennengelernt hatten, waren empört über das impulsive Verhalten, der sonst so standhaften Lisa. Doch sie hatte keinerlei Bedenken. Sie wusste, dass Kev der Mann war mit dem sie ihr Leben verbringen wollte.

Dennoch lag Kevs Heimat immer wie ein Schatten über ihrer Beziehung. Sie fühlte sich schuldig, weil er ihretwegen alles aufgeben musste und obwohl er es nur selten zugab, hätte er seine Familie lieber mit in die USA genommen. Sein Leben in Amerika aufzugeben und all seine Freunde und Familie zurückzulassen, war für ihn nicht gerade einfach gewesen. Er war nur wegen ihr hier. Eigentlich mochte er Österreich nicht besonders. Doch für Lisa war es nie eine Option, in die USA auszuwandern. Sie liebte ihren Job, ihr Apartment, ihre Freunde und vor allem liebte sie Wien. Ziemlich egoistisch, wenn sie so darüber nachdachte, aber Kev hatte ihr versichert, sie wäre es wert, sein altes Leben hinter sich zu lassen.

Trotz der schönen Erinnerungen, die sich in ihrem Kopf gebildet hatten, lief sie genervt in Richtung des Kindergartens. Luca war für gewöhnlich kein sehr quengelndes Kind, doch irgendetwas an dieser Tagesstätte schien ihn zu stören. Sie würde wohl ein ernstes Gespräch mit ihm führen müssen. Soweit das mit einem Zweijährigen möglich war.

Mit Luca an der Hand hüpfte sie wieder in die Straßenbahn. „Mami, können wir heute wieder in den Zoo.", ertönte seine kindliche Stimme. Lisa schüttelte nur den Kopf und betrachtete ihn. Er war ein Abbild seines Vaters. Seine Haare waren noch Strohblond, doch im Laufe der Jahre würden sie wahrscheinlich ebenso dunkel wie Kevs werden. Seine haselnussbraunen Augen blickten sie enttäuscht an und sie legte die Hand auf seine zierliche Schulter. „Zuerst fahren wir nach Hause und dann kochen wir lecker Spagetti. Na, was hältst du davon?" Entzückt nickte er. Lisa hob ihn auf ihren Arm und verließ die Bahn direkt vor dem Apartmentkomplex, indem sie wohnten. Zu ihrer Verwunderung musste sie feststellen, dass Kevs Auto bereits auf ihrem Privatparkplatz stand. Was machte er wohl schon zu Hause? Sie freute sich darüber, dass sie nun offensichtlich ein paar Stunden mit ihrer gesamten Familie verbringen konnte und sperrte lächelnd die Haustür auf.

Sofort erfror ihr Lächeln. Direkt vor der Tür standen Kevs Schuhe. Quer darüber lag seine Anzughose und daneben standen schwarze Pumps. High Heels, die nicht ihr gehörten. Was zum Teufel war hier los? Wie in Trance blickte sie zu Luca hinab, der ihr fragend in die Augen sah. „Schatz, würdest du bitte auf dein Zimmer gehen? Ich komme dich gleich holen, aber zuerst muss ich mit deinem Vater sprechen.", ihre Stimme zitterte, doch sie rang sich ein Lächeln ab, woraufhin Luca verschwand.

Während sie auf das Schlafzimmer zuging, versuchte sie sich immer wieder einzureden, dass es für all das eine simple Erklärung geben musste. Fast hätte sie sich dafür geschämt, was ihr Unterbewusstsein Kev da unterstellte. Ja genau, sie würde jetzt die Schlafzimmertür öffnen und dahinter nichts vorfinden und dann würde sie schuldbewusst in das Wohnzimmer gehen, wo sie Kev aus irgendeinem völlig harmlosen Grund mit einer seiner Kolleginnen vorfinden würde, wie sie sich vollkommen unverfänglich über die Arbeit unterhielten. Mit dem neuen Mut, den Lisa soeben gefasst hatte, stieß sie die Schlafzimmertür auf.

Im Bruchteil einer Sekunde stockte ihr Herz und augenblicklich schossen ihr die Tränen in die Augen. Kev stieß keuchend die Frau von sich herunter, die rittlings auf seinem muskulösen Körper saß. Er sprang auf und lief mit schnellen Schritten auf sie zu. Seine Erektion, die sich in einem Kondom verpackt befand, sprang dabei wild auf und ab, als wollte sein Penis sie verhöhnen. Kev griff nach ihr, doch sie trat zurück und wäre beinahe rücklings auf die Kommode an der Wand gestolpert. „Lisa, es...", hörte sie eine Frauenstimme stottern. Suchend blickte sie sich nach ihr um.

Jetzt ist es Zeit aufzuwachen, teilte Lisa ihrem Gehirn mit. Doch der Schmerz drang immer weiter in ihren Oberkörper vor. Ihr Herz drohte, in ihrer Brust zu implodieren und sie spürte, wie einzelne Teile davon abbröckelten. Der Kloß in ihrem Hals ließ es nicht zu, auch nur einen Ton zu sagen. Stattdessen blickte sie von ihrem Ehemann, zu ihrer Kollegin Vanessa und wieder zurück.

Erst jetzt realisierte sie, dass das alles wirklich geschehen war, bisher hatte sie sich immer noch eingeredet, dass sie nur träumte. Weit weg nahm sie die Stimmen von Kev und Vanessa wahr, die versuchten das Offensichtliche zu erklären. Doch sie war schon lange weggetreten, auch wenn sich ihr Körper bisher keinen Zentimeter bewegt hatte. Die Tränen hatten sich dagegen verselbstständigt. Heiß flossen sie über ihre Wangen. Kev wollte ihr soeben mit den Fingern über das Gesicht streicheln, als ihr klar wurde, dass sie hier raus musste. Ungeschickt stolperte sie zur Tür und lief in Lucas Zimmer. Zitternd zog sie ihn an der Hand aus der Wohnung. Beim Verlassen hatte sie sich Kevs Schlüssel geschnappt und nun setzte sie ihren Sohn in das Auto des Mannes, der ihr soeben das Herz gebrochen hatte.

Bilingual Love (Jennings Inc. Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt