Die Oase


Einmal im Jahr geschieht es, dass die Wege der Clans sich kreuzen. Sie treffen sich an einem heiligen Ort,der She-Day Oase. Eine riesige mit Palmen bewachse Wasserquelle inmitten der Wüste. Unser Clan war wie immer einer der letzten, das hatte fast schon Tradition. Es war aber auch keine Schande, da die Zeremonien ohnehin erst am nächsten Tag begannen.

Als ich vom Schlitten stieg spürte ich den Sand zwischen meinen Zehen und das er mir ein noch deutlicheres Bild gab, als es der Wind vermochte. Zwar waren es keine klaren Umrisse, aber dennoch spürte ich jeden Schritt, den einer im Clan machte, als sei es mein eigener. Je nachdem wie stark ich mich konzentrierte waren es entweder nur jene in meiner Nähe oder aber,wenn ich die Augen schloss, mehrere Kilometer, aus denen der Sand mir Antwort gab. So spürte ich ein Rudel Schakale hinter den Dünen im Norden oder den fetten Häuptling von dem Clan, der sein Lager westlich von unserem aufgeschlagen hatte. "Du kannst für heute gehen, Kleiner", meinte mein Meister während er sein Zelt aufbaute. „Morgen werden wir anfangen dir richtige Kunststücke beizubringen." Der Gedanke gefiel mir. Und so ging ich mit dem Traum von wahrer Magie aus meinen Händen und She-Naya an meiner Seite davon. Jedoch nicht nachhause. Ich wollte mir mein Erfolgserlebnis nicht zu schnell von meinem Vater nehmen lassen.Außerdem musste ich nachdenken. Rala-Ac, die Häuptlingstochter. Schon vor meinem Sher-Toc kannten wir uns. Nicht unsere Namen oder unsere Familien, aber wir hatten sehr viel Zeit miteinander verbringen dürfen. Das erste Mal trafen wir uns zufällig, weil wir damals denselben Lehrmeister hatten. Den Bruder des Häuptlings. Ich muss gestehen liebe Schüler, seinen Namen habe ich vergessen, aber nichts von dem, was er uns beibrachte. Rala wurde in den Kampfkünsten trainiert, während ich lernen sollte wie man mit dem Rudel umzugehen hat. Das war damals unsere Vorstellung von der Zukunft, zwei Jahre vor meinem Sher-Toc. Ich ein Hüter des Rudels, sie eine Kriegerin zu Ehren des Clans. Wir sahen uns in diesen zwei Jahren jeden Tag,lernten uns immer besser kennen und kamen uns unweigerlich immer näher. Am letzten Abend vor meinem Sher-Toc gingen wir nach einem Tag des Trainings auf eine Düne etwas abseits des Clans. Der Wüstenhimmel leuchtete bereits blutrot im Schein der untergehenden Sonne, als sie mich auf die Wange küsste. „Versprich mir, dass du wieder kommst", hauchte ihre Stimme in mein Ohr. Nachdem ich genickt hatte lächelte sie und ging davon. Nun, da ich mein Sher-Toc schon vor über einer Woche vollendet hatte, hatten wir immer noch nicht wieder miteinander gesprochen. Ich schämte mich dafür und gerade als ich darüber nachdachte, wann ich wohl ungestört mit ihr reden könnte, kam sie mit unserem alten Lehrmeister um die Ecke. Erplauderte kurz mit mir und nahm darauf She-Naya mit zum Rudel. Nun standen wir da. Ungestört. Doch noch bevor ich reagieren konnte nahm sie meine Hand und flüsterte: „Komm mit." Wir verließen den Clan, eher rennend als gehend. Nachdem wir einen anderen Clan passiert hatten kamen wir zur Oase. Sie sprach kein Wort während sie mich durch den kleinen Dschungel zog. Als wir ans Wasser kamen ließ sie meine Hand los. Neben uns war ein Wasserfall gerade so groß wie ich. Sie drehte sich um, lächelte verstohlen, wie sie es immer tat,und sprang über ein paar Steine hinter den Wasserfall. Ich kannte diesen Ort. Wir hatten ihn das Jahr zuvor gefunden, als sich die Clans das letzte Mal versammelt hatten. Hinter dem Wasserfall war eine kleine Höhle. Ungefähr so groß wie ein Zelt. Gegenüber vom Wasserfall war ein Bild in der Höhlenwand. Es war nicht gemalt oder gemeißelt, viel eher schien es so, als würde es im Stein brennen.Immer, wenn wir dort waren leuchtete es auf magische Weise in einem blauen Ton, der dämmerndes Licht in die Höhle brachte. Ich wusste damals noch nicht, was dieses Zeichen bedeutete. Für mich war nur wichtig, dass es unser Ort war. Ich setzte mich ihr gegenüber. „Du warst früher zurück als ich gehofft hatte", sagte sie lächelnd,„Trotzdem hatte ich Angst." Ich stutzte, denn normalerweise war sie die Furchtlose von uns beiden. „Wovor", fragte ich. Sie griff nach meiner Hand und beugte sich vor: „Dich zu verlieren",flüsterte sie. Danach sah sie mir direkt in die Augen. Unsere Gesichter rückten langsam und schüchtern immer näher. Ich wusste damals schon, was ich für sie empfand und doch wurde dieses Wissen noch bestärkt, als sich unsere Lippen berührten und wir für diesen einen Moment spüren konnten, dass unsere Herzen im Einklang schlugen. Das Zeichen an der Wand fing an hell zu leuchten und wechselte von dem blauen Ton, der dem Wasser glich, in ein Rot,dessen rubinfarbene Flammen uns umschlungen. Sie verursachten keinen Schmerz und so merkten wir es gar nicht, da wir uns immer weiter küssten. Als wir nach einer viel zu kurzen Ewigkeit doch aufhörten, legten wir unsere Stirn aneinander, sahen uns an und lächelten. Erst als wir gingen merkten wir die Flammen unseres Zeichens. Vielleicht hätte ich mich als junger Schamanenlehrling fragen müssen, was es zu bedeuten hatte, aber ich wusste, es konnte nichts negatives sein. Heute kenne ich dieses Zeichen der Astralen und weiß, dass es für Schicksal steht.


Die Berserker


Es mag seltsam erscheinen direkt nach einer so wundervollen Erinnerung vom Kriegskult zu sprechen, doch wie sie es mir Jahre später einmal gestand, war ihr Schicksal bereits zu diesem Zeitpunkt mit ihm verbunden. Dem Berserkerclan. Jenem Kriegskult, für den unser Volk hier im Reich so bekannt ist. Es istkein Clan, in den man geboren wird, sondern einer, für den man geschaffen wurde. Seine Anhänger sind blind. Jedenfalls körperlich,denn innerlich spüren sie das arkane Konstrukt mehr als es die meisten unserer Kunst je könnten. Es bleibt ihnen auch keine Wahl,da bei der Einweihung, so wurde uns es immer berichtet, die Augen ausgebrannt werden. Sie verdecken diese dann für den Rest ihres Lebens. Viele mit einem Stirnband, welches sie sich so um den Kopfbinden, dass es die Augen verdeckt. Andere tragen ein zu großes Kopftuch und ziehen es sich über die Augen. Nur wenigen reicht eine tiefe Kapuze. Und nur ein einziger versteckt sie gar nicht. Ihr Anführer, der Khan Er hatte das graue Alter meines Meisters und man sah es ihm ebenso an. Wie bei den Männern des Sandes üblich war sein Oberkörper frei und mit für sein Alter beachtlich vielen Muskeln bepackt. Als Zeichen seines Ranges trug er ein Tattoo querüber die Brust. Auf der Seite des Herzens ein Zackiges des Daemonicon, auf der der Lunge ein Geschwungenes der Astralen.Gewissermaßen war er der König der Clans, denn auch, wenn jeder Stamm seine eigenen Regeln festlegte, waren es doch die Berserker,die über alles wachten. Nicht, dass sie uns unterdrückt hätten.Viel eher war es ihre Aufgabe die Wüste vor den größten Gefahren frei zu halten. Meist ritten sie alleine über den Sand. Als einsame Wächter, die über die Wüste wachten. Auf Großzahntiger ritten sie über die Dünen. Tiere so stolz wie Schakale und so majestätisch wie Könige. Der Kult war es auch, der an der She-Day Oase die Zeremonien führte. So beteten die Clans und der Kult gemeinsam eine Woche lang zu den Ahnen. An jedem Abend dieser Woche wurden Jungen und Mädchen, die in diesem Jahr ihr Sher-Toc bestanden hatten, zum Khan gebracht. Er entschied dann, ob sie im Clan bleiben durften oder ob das Talent dieses Jünglings groß genug war, dass der Kult es brauchte. Wenn dem so war durfte er noch die Tage an der Oase in seinem Clan verbringen. Ein Abschied bevor er mit den Berserkern in die Berge im Süden zog, wo sie angeblich ausgebildet wurden. Laut meinem Meister brauchte ich mir keine Sorgen machen, denn es geschah selten, dass der Kult an einem Schamanen interessiert war. Der Letzte, der dem Kult angehörte, war seit einigen Jahren verschollen.

In den Tagen bevor ich vorgeführt wurde begann mein Meister nun endlich damit, mir das eigentliche Wirken von Magie beizubringen. Und so lernte ich, wie jeder Jüngling unserer Kunst, die fünf Grundarten der Magie. Und so wie jeder Meister, egal ob in den Stämmen der Wüste oder in den Städten des Reichs, so folgte auch meiner dem Zyklus.


Am ersten Tag die Telekinese. Wer die Welt bewegen will, muss zunächst sich selbst bewegen. So wurde mein Verstand zur dritten Hand.


Am zweiten Tag das Wasser. Um es in jedem seiner Zustände formen zu können, mussten meine eigenen Gedanken ebenso fließen, wie der Bach des Lebens, den sie antreiben.


Am dritten Tag das Feuer. Die eigene Seele lodernd, mit dem brennendem Herzen eines Kriegers und dem flammendem Zorn eines Rebellen, erschuf ich es aus der Materie des Arkanen.


Am vierten Tag die Erde. Ich verstand nun, dass die Regeln der Natur fest im ewigen Gleichgewicht verankertwaren und das nur ein ebenso fester Geist es vermochte sie zum   bringen.


Am letztem Tag die Luft. So wie im Norden die Blätter von den Bäumen fallen, wenn der Winter naht, so fühlte auch ich mich, als ich diesen letzten Schritt zur Magie tat.Denn die Sehnsucht nach Freiheit treibt mit jeder Brise durch das arkane Gerüst der Welten.



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⏰ Last updated: Feb 29, 2016 ⏰

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