Zurück im Clan führte ich sie dann dem Häuptling vor. Er akzeptierte mein Sher-Toc und so war ich ein vollwertiges Mitglied des Clans geworden. Bei der Ehrung darauf sollte ich mich entscheiden, welche Rolle im Clan ich anstrebte. Man wird vor einen Stein gestellt. Auf ihm liegen drei Gegenstände: Ein Knochenring als Nasenschmuck für die Krieger, eine Feder als Kopfschmuck für die Jäger und eine Schakalen-Klaue als Ohrring für die Hüter des Rudels. Die Schüler, die mich kennen und jene die aufmerksam gelesen haben wissen, dass meine Entscheidung auf das Rudel gefallen wäre. Doch dann geschah etwas. Ich sah durch die Menge, die sich um mich versammelt hatte und gebannt auf meine Entscheidung wartete, da sah ich sie. Ein Mädchen, ähnlich alt wie ich und somit kurz vor ihrem Sher-Toc. Ich sah ihr in die Augen. Erst sah sie schüchtern auf den Boden, aber nach einer Weile fasste sie doch wieder den Mut, in meine Richtung zu sehen. Sie lächelte. Ich hatte das Gefühl mein Herz schlüge eine Oktave höher. Was ich nicht merkte war, dass in dem Moment, in dem sich unsere Blicke trafen, der Sand um mich herum anfing langsam Korn für Korn nach oben zu schweben. Je länger wir uns ansahen desto mehr Sand wurde es. Als auch der Stein anfing zu schweben, trat unser Schamane aus der Menge. Er hob seine Hand, schloss die Augen, atmete kurz konzentriert und öffnete die Augen wieder. Ein breites Grinsen bildete sich in seinem Gesicht. Ich erschrak als er mir plötzlich seine Hand auf die Schulter legte und der Sand sowie der Stein zu Boden fielen. Er verkündete stolz, dass ich sein Schüler werden würde. Während die Menge jubelte sah ich wieder zu dem Mädchen. Doch sie war verschwunden.

Das Mana

Noch am selben Tag wurde ich ins Schamanenzelt gebracht. Mein Vater stand dort und stritt sich mit ihm. Er fragte wieso die Entscheidung nicht bei mir liege, wo ich doch mein Sher-Toc bestanden hatte. Innerhalb nur einer Woche, was äußerst selten geschah. Die meisten blieben mindestens einen Monat in der Wüste, andere blieben für immer fort. „Weil wir ein Talent, wie das deines Sohnes, nicht vergeuden dürfen", brüllte er meinen Vater an. Dieser wollte gerade antworten als der Häuptling dazu kam und ihm die Hand auf die Schulter legte. „Lass es gut sein", sagte er. „Es ist bereits entschieden." Kopfschüttelnd stampfte mein Vater davon. Der Schamane sah mich an und öffnete sein Zelt. „Komm nur rein junger Lehrling", sagte er stolz. Vorsichtig betrat ich das Zelt. Der Häuptling folgte mir. Das Schamanenzelt ist in vielen Clans das größte. Noch größer als das des Häuptlings und gefüllt mit tausend merkwürdigen Dingen. Allesamt verborgen in Taschen, die an der Zeltwand hingen. Es waren so viele, dass man das Zelt nur noch vereinzelt sah. „Verzeiht mir Häuptling, aber ich glaube eure Anwesenheit wird anderswo dringender benötigt." Ihr könnt euch sicher sein liebe Schüler, im ganzen Clan gibt es nur zwei Personen, die es wagen den Häuptling so dreist hinaus zu bitten. Die eine ist der Schamane, die andere seine Frau. Der einen Person gehorcht er, weil sie ihn verzaubern könnte, der anderen, weil sie ihn vor langer Zeit verzaubert hat. Trotzdem schien es ihn zu überraschen, wie direkt mein neuer Meister mit ihm sprach. „Was", entfuhr es ihm. Für das freche Grinsen, das sich im Gesicht des Schamanen bildete während er antwortete, wäre jedes andere Mitglied im Clan verstoßen worden: „Das bedeutet Ihr könnt gehen!" Als er hinaus ging wünschte er mir noch alles Gute und schloss dann die Zeltöffnung hinter sich. Der Schamane lachte dreckig: „Lektion eins, sobald die Leute wissen, dass du Magie beherrscht, wirst du sie nicht mehr brauchen, um deinen Willen zu bekommen." Ich schmunzelte, denn zu meiner Schande muss ich gestehen, mir gefiel der Gedanke, so mit dem Häuptling zu sprechen. „Setz dich, Kleiner!" Erschrocken von der Gleichgültigkeit in seiner Stimme nahm ich auf einem der Felle Platz, die um die immer noch glühende Feuerstelle verteilt waren. Er ging zu einer der Wandtaschen während er mich fragte: „Weißt du, was jetzt passiert?" „N..n...nein", stotterte ich. „Jetzt wird erst einmal gegessen", sagte er und nahm eine Schale voller Kactonüsse aus der Tasche. Ja liebe Schüler, diese kulinarische Abartigkeit wächst auch auf der Nomadeninsel an den Kakteen. Er setzte sich zu mir auf den Boden und stellte die Schüssel neben die Feuerstelle zwischen uns. Während er sich die erste Handvoll Nüsse in den Mund schob fragte er mich: „Und? Was weißt du alles über Magie?" „Eigentlich nur, dass Ihr sie beherrscht." Als er lachte wusste ich nicht, ob wegen meines Stotterns oder weil er ebenso wie ich wusste, wie sinnlos seine Frage gewesen war. „Aber du weißt, zu welchen Gott wir beten", fragte er gespielt streng. „Der einsamen Wanderin natürlich", antwortete ich ruhig, wobei ich innerlich einen Salto machte, weil ich eine seiner Fragen beantworten konnte. Er hörte auf zu essen und wischte sich mit der Hand über den Mund. Seine Stimme war nun beinahe ein Flüstern: „Und was ist die einsame Wanderin?" Ich stockte kurz bevor ich antwortete: „Na, ein Nomade wie wir." Sein Kopfschütteln wurde von einem Lächeln begleitet, dem ich entnahm, dass er diese Antwort erwartet hatte. „Wäre sie eine einfache Nomadin gewesen, so würden wir sie zwar ehren ... wie wir alle Ahnen ehren, aber wir würden sie nicht anbeten ... nach ihren Bräuchen leben ..." Er ging zu einer der Wandtaschen. „... Egal was sie Großes geleistet haben mag." Heraus nahm er zwei Krüge gefüllt mit klarem Wasser. Ich zögerte als er mir einen davon rüber reichte. „Nimm", sagte er. „Wir sind sowieso bald wieder an der She-Day Oase." Trotzdem nahm ich nur einen bescheidenen Schluck im Gegensatz zu ihm. Nachdem er den Krug komplett geleert hatte sah er mich an. Es sah aus, als würde er mich ein zweites Mal mustern. „Unsere Welt ist nicht die einzige, die existiert ...", fing er nach einer kurzen Weile des Musterns an zu erklären. „Diese Welten sind völlig unterschiedlich ... wahrscheinlich ... doch eines haben sie alle gemeinsam. Jede von ihnen ist Teil eines zusammenhängenden Netzes und Magie ist das, was dieses Netz zusammenhält." Er nahm eine Pfeife aus seiner Hosentasche und zündete sie mit einer Flamme an, die kurz auf seiner Hand brannte. Als er sah, wie sehr mich dies beeindruckte, grinste er wieder. „Es gibt immer drei Welten, die zusammen hängen", fuhr er fort nachdem er den ersten Zug aus seiner Pfeife nahm. „Die sterbliche Welt, in der wir den Segen der Vergänglichkeit genießen, die Astralebene, in der die Geister leben, die über uns wachen und das Daemonicon, in der die Dämonen leben, die uns verfolgen." Er nahm noch einen Zug. Der Rauch formte sich zu Gestalten, die wie ich glaubte, für die Welten standen. Sein Schauspiel beobachtend fuhr er fort: „Diese Verbindung zwischen den drei Ebenen nennt man das Mana. Je enger die drei Welten miteinander verbunden sind desto mehr Mana und somit auch Magie schlummert in ihnen." Er lehnte sich zurück und der Rauch formte sich zu verschiedenen Bildern. Oasen, Savannen, Sterne. Ich konnte alles deutlich erkennen und fragte mich, ob er gerade meinen Geist oder wirklich nur den Rauch beeinflusste. Bevor ich ihn fragen konnte sprach er weiter. Sehr ruhig und mit den Augen immer auf die Bilder im Rauch gerichtet. „Es gibt nun zwei Arten, wie du das Gefüge unserer Welt beeinflussen kannst. Mit deinem Geist, wie ich es tue ... und wie du es draußen getan hast. Dabei verformst du die Magie, die in unserer Welt wohnt. Du musst es dir vorstellen wie den Wüstensand. Normalerweise rieselt er dir durch die Hände auf den Boden ... oder wird vom Wind davon getragen. Beim Zaubern ist es so als würdest du den Sand nässen. Sobald er nass ist kannst du kleine Burgen aus ihm bauen ... ohne dass der Wind ihm irgendetwas anhaben könnte. Dein Geist muss beim Zaubern also als erstes die Form der Magie festigen. Sie dir also fassbar machen." „Und die andere Möglichkeit?" Er seufzte und nahm noch einen Zug. Während seiner Antwort spürte ich, wie er an Konzentration verlor, denn die Bilder im Rauch wurden schwächer. „Die werde ich dich nicht lehren", sagte er kopfschüttelnd. „Dabei benutzt du nicht nur deinen Geist, sondern außerdem die Sprachen der anderen Ebenen, um dir mit ihrer Hilfe Macht über das Mana zu verschaffen." Ich schaute ihn fragend an. Als er nicht darauf reagierte musste ich fragen: „Und wieso ist das so gefährlich?" „Wenn du Magie benutzt ist hinterher alles wieder beim Alten. Der Sand trocknet und deine Burg wird vom Wind in die Wüste getragen ..." Er stockte kurz und als er sah, dass ich dies merkte, nahm er noch einen Zug: „Beeinflusst du aber das Mana, so bleibt die Veränderung bis du sie zurück zauberst." Der Rauch wurde jetzt wieder ganz normal. „Wenn du aber den Gegenfluch nicht kennst ... bleibt die Veränderung ... und du kannst nichts dagegen unternehmen ..."

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