Sturm & Stille

7 0 0
                                    

Regen! Endlich!

Ich schaute gen Himmel, blieb stehen und ließ die weichen Regentropfen mein Gesicht benetzen. Angenehm, dachte ich. Nach fünf Stunden ununterbrochenem Wandern bei gefühlten 40 Grad und keinem einzigen Schatten, der sich auch nur in Sichtweite befand, war Regen nun wirklich das Einzige was ich brauchte. Am Himmel sah ich ein kleines Flugzeug. So eins, wie das, mit dem wir hier her kamen. Es flog sacht und friedlich über die blauen Himmelsstücke, bis es schließlich mit den Wolken eins wurde. Der Regen schien ihn nicht zu stören.

Als ich Joana mit einem breiten Grinsen im Gesicht ansah, war es wie in einem schlechten Film. Sie stand wie festgewurzelt auf dem langsam feucht werdenden Boden und starrte mich entsetzt an. „Regen!" flüsterte sie ungläubig.

Warum freut sie sich nicht? Ist sie zu erschöpft oder etwa geschockt von der frischen Abkühlung? „Ich weiß. Ist das nicht wundervoll. Ich hätte bei der Hitze keine zehn Minuten länger wandern können. Der Regen hat uns gerettet", versuchte ich sie aufzubauen, wobei ich mich überwältigt vor Freude im Kreis drehte und klatschte. Als ich stehen blieb, bewahrte mich Joana's kühler Händedruck vor übermäßigem Schwindel und riss mich dennoch sofort aus dem festen Stand. Mich hinter ihr herziehend schrie sie „Wir müssen hier weg." Angsterfüllt und mit brechender Stimme setzte sie hinzu „Lauf! ... Schnell!" Total perplex und zutiefst verwirrt lief ich, zu irritiert um Wiederworte zu geben, still hinter ihr her.

Doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jetzt verstand ich. Der Regen war das Problem. Beziehungsweise, dass der Regen eben kein normaler Regen mehr war. Unmerklich hatte sich der weiche, kühlende Nieselregen in dicken, harten bindfädenartigen Dauerregen verwandelt. Und daneben Donnergrollen. Lautes, aggressives Grollen; wie Tiergebrüll.

Aber mir war jetzt alles so klar wie noch nie. Wir mussten hier wirklich weg. Und das so schnell wie nur eben möglich.

Ich fing also, von Angst beflügelt an, so schnell zu rennen wie ich nur konnte; immer noch gezogen von Joana's kräftiger Hand. Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, wo wir hinliefen, aber sie schien wie immer einen Plan zu haben, und dem vertraute ich. Und wir liefen und liefen und liefen. Ich hatte keine Ahnung wie lange das schon so ging, aber die Angst vor den Blitzen ließ nicht das geringste Anzeichen von Müdigkeit aufkommen.

Mittlerweile total durchgenässt erschrak ich, als Joana plötzlich stehen blieb. Doch sie zeigte nur stumm auf den Horizont im Westen. Und tatsächlich ganz klein konnte man in weiter Ferne eine schwarze Erhebung erahnen, die einem Gatter glich. Ohne irgendein weiteres Wort begriffen wir beide sofort. Wo ein Gatter ist, muss sich zudem irgendwo ein Haus oder eine Hütte oder irgendetwas befinden, was uns hoffentlich auch vor dem Gewitter schützen kann.

Frei von jeglichem Zweifel und mit purem Optimismus rannten wir beiden also auf das Gatter zu. Wir rannten so schnell wie niemals zuvor; endlich ein greifbares Ziel vor den Augen.

Je näher wir kamen, umso mehr kristallisierten sich bei mir trotzdem einige Bedenken heraus. Was, wenn das Gatter da nur so steht und uns dahinter gar kein rettendes Haus erwartet? Oder was, wenn das Gatter irgendwas einsperrt? Irgendetwas, das vielleicht sogar gefährlich war? Doch an so etwa durfte ich nicht denken. Einfach auf das Ziel konzentrieren und optimistisch bleiben, redete ich mit selber Mut zu.

Das Tor kam nun immer näher. Man erkannte das etwa einen Meter hohe, eiserne Gatter, welches den Eingang zu einem umzäunten Gelände bildete, nun ohne Probleme. Angekommen umfassten wir beide ohne zu überlegen oder uns abzusprechen die metallenen Stäbe mit unseren vier Händen und zogen. Zuerst rührte sich rein gar nichts, aber nach paar Versuchen und etlichem Herumstapfen in den langsam immer tiefer werdenden braunen Pfützen, bewegte sich der eiserne Zaun tatsächlich milimeterweise; und das mit einem ohrenbetäubenden Knartschen, das sogar den Donner übertönte. Das Quietschen ließ einen kalten Schauer über meinen ohnehin schon eiskalten Rücken laufen.

Vielleich war es doch keine so gute Idee durch das Gatter und damit in das 'Gehege' zu gehen. Doch gleich darauf fiel mir ein, dass das immerhin unsere einzige Chance war. Langsam gingen wir beiden also durch das Tor, zu nervös um weiter zu rennen.

„Sieh nur! Da!" , rief Joana, die, ohne dass ich es wahrgenommen hatte, schon einige Schritte vorausgegangen war und sich umgeschaut hatte. Und nun sah ich sie auch. Durch die Konzentration auf das Gatter hatte ich sie bisher noch nicht wahrgenommen. Doch da stand sie. Keine 100 Meter vor uns ragte eine Holzhütte hinauf. Sie war weder groß, noch sah sie besonders gemütlich aus, aber ihren Zweck würde sie wahrscheinlich erfüllen können. Glücklich über die ersehnte Rettung, aber zu kraftlos, um uns auch nur ein bisschen schneller zu bewegen, gingen wir langsam auf die Hütte zu.

Wir begaben uns hinein, setzten uns dicht nebeneinander in die Mitte des 'Raumes' und versuchten bloß nichts außer den Boden und uns gegenseitig zu berühren. Ich spürte wie Joana am ganzen Körper zitterte, bevor ich merkte, wie sehr auch ich selber zitterte. Stumm saßen wir beiden aneinander gelehnt da. Es war eine seltsame Atmosphäre. Wir waren schon so lange befreundet und hatten bis jetzt immer etwas zu reden gehabt, aber diesmal herrschte irgendwie eine seltsame Spannung zwischen uns. Keiner von uns beiden traute sich diese Stille zu unterbrechen. Vielleicht aus Angst vor den Blitzen, vielleicht aber auch, weil wir einfach zu erschöpft waren.

Nach einiger Zeit, ich hatte keine Ahnung wie lange, da mich mein Zeitgefühl scheinbar ganz verlassen hatte, spürte ich, wie der Regen langsam weniger wurde, bis er schließlich ganz aufhörte. Das Donnergrollen vernahm ich nun nur noch aus weiter Ferne.

Plötzlich fing Joana an wie wild zu lachen. Warum lacht sie? Es ist noch nicht vorbei. Wir sitzen immer noch mitten im Nirgendwo.

„Wir saßen bei einem Gewitter tatsächlich in einer Hütte...einer kleinen Holzhütte. Die wäre doch bei den Blitzen sofort angefangen zu brennen. Wie blöd sind wir eigentlich..."

Sie hat Recht. Schon irgendwie absurd. Aber mir gingen grad ganz andere Dinge durch den Kopf. Die Stille nach dem Gewitter, abgesehen von Joana's irrem Lachen, fühlte sich irgendwie falsch an. So... bedrückend. Es war wie die Stille vor dem großen Sturm. Als würde die ganze Welt wissen, was gleich passieren würde, und nur gespannt darauf warten, dass sich endlich etwas tut.

Und ich hatte Recht. Wie auf Knopfdruck hörte ich etwas. Etwas Lautes; sehr Lautes. Ich konnte nicht wirklich heraushören was genau es war oder aus welcher Richtung es kam, aber es löste ein sehr ernüchterndes Gefühl in meiner Brust aus. Und das war fürwahr kein sehr gutes Zeichen. Joana hörte auf zu lachen und war wie festgefroren. Und bei dem nächsten Knall wusste ich sofort, was es war.

Schüsse. Nahe Gewehrschüsse.

Doch mir blieben nur zwei Fragen offen, die sich in meinem Kopf immer und immer wieder zu wiederholen schienen: Wo sind wir und wie kommen wir hier lebendig wieder raus?

joana & meحيث تعيش القصص. اكتشف الآن