Kapitel 1

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Exotisch süßer Duft dringt in deine Nase, benebelt deine Sinne. Die Luft wiegt schwer, erstickt dich beinahe mit ihrer Last. Nur ein zarter Windhauch küsst über deine nackten Schultern, kriecht unter dein offenes Haar, liebkost den Nacken, und obwohl er sein Bestes versucht, schafft er es bedauerlicherweise kaum, dir etwas Abkühlung zu verschaffen.
Die tief stehende Abendsonne tränkt das trügerische Paradies in ihr orange-warmes Licht. Ein sattes Grün umgibt dich, durchbrochen von kräftigen Farben unterschiedlicher Blütenarten, malt eine südliche Landschaft aus prachtvoller Flora und üppiger Fauna. Das laute Summen schwirrender Insekten, gepaart mit befremdlichen Schreien schillernder Papageien, wird nur in der Ferne durch das dumpfe Trommeln des Krieges gedämpft, der auch zu diesem Ort vorgedrungen ist.

Nichts ist schöner, unberührter und geheimnisvoller als die Arbor-Wildnis.

Fünf Tage kampiert ihr schon wartend inmitten des Dschungels, der in jeglicher Hinsicht so anders ist als die ferne Heimat – die Himmelsfeste.
Heimat? Ja, es ist zu deiner Heimat geworden, zu deinem Zuhause, deiner Zuflucht, die so weit entfernt liegt, dass dein Herz ihren kalten aber sicheren Rhythmus langsam zu vergessen scheint. Hier fließt eine andere Energie, die Luft schmeckt süßer, das Wasser rauscht schneller, der Himmel ist ferner. Hier ist es schwül und heiß und drückend. Dieser Ort weckt Sehnsüchte, von denen du dachtest, dass du sie kontrollieren könntest. Es ist die Hitze, die dir zu Kopf steigt, die dein Blut erwärmt, deine Haut befeuchtet und deine Gedanken entführt, nur um mit ihnen ihr verbotenes Spiel zu treiben. Es fällt dir schwer, dich auf das Bevorstehende zu konzentrieren, deine Kräfte zu sammeln, den Kopf freizubekommen für den nächsten, wichtigen und vielleicht entscheidenden Schritt in der Schlacht gegen den übermächtigen Feind.
Allzu gerne würdest du sofort aufbrechen, es endlich hinter dich bringen und selbstverständlich siegreich daraus hervorgehen, aber du scheinst wie gelähmt, zumindest träge und viel zu träumerisch, um deine Waffe zu führen.
„Verdammt!", fluchst du verzweifelt, denn dein Herz sehnt sich nach einer anderen Macht als der des Kampfes. Nach einer Macht, die dir den Verstand raubt, die dich schweben lässt, obwohl du doch gerade jetzt geerdet sein solltest.
Versteckt, etwas abseits des Lagers suchst du nach Antworten auf Fragen, die du lieber nicht stellen solltest. Hier, inmitten von Dickicht, umfangen von der Weisheit der alten Bäume, berauscht von den Düften und Farben der Umgebung, versuchst du, etwas inneren Frieden zu finden, der, so musst du seufzend feststellen, leider nicht in der Einsamkeit liegt, sondern genau im Gegenteil davon.
Resigniert setzt du dich auf den leblosen Körper eines umgestürzten Baumes, streichelst mit deinen Fingern über seine warme, raue Rinde und schließt die Augen, um dich zu konzentrieren. Zwingst dich vergebens, an deine Berufung zu denken, an den Kampf, den Sieg oder den Tod. Versuchst, deinen Geist auf die Fährte von Rache und Blut zu bringen, doch alles, was dir in den Sinn kommt, sind bronzefarbene Augen, in denen du dich zwischen all dem Leid verloren hast, die dir Hoffnung spenden, dich atmen lassen, auch wenn es manchmal einfacher wäre, sich zu ergeben. Doch genau das erlaubst du dir nicht! Dich zu ergeben kommt nicht in Frage, denn du bist der Herold Andrastes, die Auserwählte, die Hoffnung von all jenen, die es verdient haben, in Frieden zu leben und ... zu lieben.
Lieben? Du fragst dich selbst, ob es auch dir erlaubt wäre, dies zu tun. Es ist doch nur ein Gefühl, eine wunderbare Schwäche, die gerade dir in diesen Zeiten am wenigsten zusteht, denn du musst deine gesamte Kraft dem Krieg schenken! Dir ist es nicht vergönnt, dich mit so banalen Gefühlen wie der Liebe abzulenken. Aber ist es das wirklich? Ist es eine Ablenkung oder wäre es ein Kraftbrunnen, von dem du überlebenswichtige Energie tanken könntest?
Du zweifelst, haderst, bekämpfst diese Gedanken, die dich nicht loslassen wollen. Warum?! Warum nur fällt es dir immer schwerer, dich davor zu schützen? Es abzustreifen, wie lästige Dinge, die du gelernt hast, zu beherrschen und zu vergessen.
„Beim Erbauer! Was soll ich nur tun?", hörst du dich selbst leise klagen.
„Wie wäre es, wenn Ihr es zulassen würdet?" Eine tiefe, warme Stimme lässt dich aufschrecken. Wie aus dem Nichts erscheint dein liebster Begleiter - dein Freund, den du nicht hast kommen hören, dessen Magie du nicht bemerkt hast, obwohl er davon erfüllt ist. Erst jetzt spürst du seine volle Präsenz, die zauberhaft prickelnde Macht, die durch seinen Körper fließt und selbstsicher die Luft zum Knistern bringt.
„Dorian... Ihr seid es nur", stellst du mit gesenktem Blick fest, den er fehlinterpretiert. Oder auch nicht?
„Nur?" Er verschränkt die Arme vor der gewölbten Brust. „Was bedeutet: nur? Wen hättet Ihr anstatt meiner Person lieber gesehen?"
Du räusperst dich und versuchst, dich entschuldigend zu retten. „So habe ich das nicht gemeint... es hätte... es hätte auch ein Feind sein können. Ihr habt mich in einem schwachen Moment erwischt. Das hätte durchaus auch meinen Tod bedeuten können!"
„Wohl wahr, aber so weit von unserem Lager befindet ihr Euch nicht, doch das wisst Ihr sicherlich. Ich denke, Ihr habt Euch jemand anderen herbeigesehnt." Seine Augen mustern dich prüfend, suchen nach Wahrheit in deiner Antwort. „Stimmt's?"
„Nein!", fauchst du ihn ertappt an, denn sein Scharfsinn trifft dich ohne Vorwarnung.
Ein wissendes Grinsen umspielt seine Lippen. „Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass mir das entgangen ist?", bemerkt er überzeugt. „Mir?! Mir entgeht fast nichts und schon gar nicht, wenn es um Euch geht, meine liebe Freundin." Seine Schritte sind lautlos, während er sich nähert, um neben dir auf der natürlichen Bank Platz zu nehmen. „Wollt Ihr mir nicht verraten, was Euch belastet? Vielleicht sogar etwas beichten?", neckt er.
Deine Augen blicken ihn unsicher an. „Beichten? Was soll ich denn beichten? Ich wollte nur etwas Ruhe und Abstand zu den anderen, ein wenig nachdenken... allein sein", versicherst du mit trockener Stimme und hoffst, dass er dies annimmt, ohne zu hinterfragen.
Doch Dorian bohrt hartnäckig weiter: „Allein sein? Ich denke, das ist das Letzte, was Ihr wollt ... oder braucht. Ich bin immer für Euch da, würde alles mit Euch teilen, sogar den Tod – das wisst ihr, oder?" Sein Arm legt sich beschützend über deine Schultern, um dich sanft an ihn zu drücken. Die Magie seines Körpers umhüllt dich mit Geborgenheit. Beruhigend sicher fühlst du dich in diesen Armen, auch wenn es nicht die sind, nach denen du dich wirklich sehnst. „Manchmal hilft es, darüber zu sprechen, sich jemandem anzuvertrauen. Und ich könnte mir keinen besseren Zuhörer vorstellen als mich."
Du atmest tief ein. Der parfümierte Duft seiner Haut, durchzogen mit dem herben Geruch von Leder, kriecht in deine Nase. „Es sollte lieber ein unausgesprochenes Geheimnis bleiben, denn es ist mein persönlicher Kampf, den ich austragen muss", gestehst du unsicher.
„Es ist kein Geheimnis. Nicht für mich und eigentlich für niemanden, der Augen im Kopf hat. Außerdem hat John schon dafür gesorgt, dass die gesamte Himmelsfeste von Eurem Kuss auf der Wehrmauer erfahren hat. Das ist allerdings schon lange her, und falls es mehr gibt, worüber Ihr reden wollt ..."
„Mehr?!", überrascht von der Tatsache, dass offensichtlich jeder über diesen einen Kuss, den Augenblick deiner Schwäche, Bescheid weiß, lässt dich leidvoll zusammenzucken. „Da war nicht mehr", offenbarst du mit Bedauern, denn dafür hast du gesorgt. Damals, als du dich unüberlegt hingegeben hast, für einen verbotenen Moment, einen Augenblick der Glückseligkeit, der nie hätte sein dürfen. „Das war ein Fehler, ein schwacher Moment, es war ... ach, es ist Vergangenheit." Sobald du diese Worte ausgesprochen hast, kehren die Bilder dieses Ereignisses in deinen Kopf zurück. Die Erinnerung daran lässt dein Herz schneller schlagen, deinen Atem beschleunigen, deine Hände feucht werden. „Ich habe eine Grenze überschritten, die ich nicht hätte überschreiten dürfen. Ich habe ihn verletzt... mich verletzt. Das war es nicht wert."
„War es das nicht?", fragt er mit einem Lächeln, welches du zwar nicht sehen, jedoch in seiner Stimme hören kannst.
Du schüttelst energisch den Kopf, als müsstest du dich selbst erneut davon überzeugen, das Richtige getan zu haben. „Nein! Also doch ... also der Kuss war es wert", plapperst du unüberlegt, „aber die damit verbundenen Konsequenzen würden es nicht wert sein!"
Dorian lacht. „Welche Konsequenzen, bitte?" Seine Hände greifen nach deinen Schultern und drehen dich in seine Richtung. „Mylady, seit wann ist es verboten, etwas Spaß miteinander zu haben? Wenn es so wäre, dann müsste ich der Erste sein, der am Pranger steht. Nur der gemeine Volksmund geht davon aus, dass körperliches Vergnügen die Sinne trübt. Ich jedoch, der es wahrlich besser weiß, sage: Nugmist!" Etwas in deinen Augen lässt ihn stutzen. „Moment, Ihr wollt mehr als das, nicht wahr? Es geht Euch nicht nur um den Spaß." Er schüttelt erstaunt den Kopf. „Natürlich nicht, denn er ist kein Mann für solche Spielchen, und Ihr seid es anscheinend auch nicht. Meine Liebe, ich weiß nicht, ob ich Euch dafür bewundern oder bedauern soll", die dunklen Pupillen verdrängen fast vollkommen das Sturmgrau seiner Augen, als hätte er in diesem Moment eine Erkenntnis gewonnen, „denn Ihr habt Euch wirklich verliebt."
„Das habe ich nicht!", versuchst du, euch beide zu überzeugen.
„Natürlich habt Ihr! Und jetzt ist Schluss mit dem Dementieren, denn das führt zu gar nichts. Also mich könnt Ihr davon nicht überzeugen, da könnt Ihr es auch noch so oft verneinen."
Du weißt sofort, dass er recht hat. Zudem kommt hinzu, dass du dich selbst beginnst, dafür zu hassen, was du dir damals verbaut hast.
„Dorian, das ist nun bedeutungslos, denn es ist vorbei, abgeschlossen, vertan!" Deine eigenen Worte brennen tiefe Krater in dein Herz.
„Papperlapapp! Nicht ist vertan, solange man noch am Leben ist!"
„Doch, denn er weicht mir aus, redet nur noch das Nötigste mit mir und würdigt mich keines Blickes! Was ich auch sehr gut verstehen kann, denn er wäre bereit gewesen ... aber ich? Ich war es nicht, bin es nicht! Oder? Ich weiß einfach nicht, ob es richtig wäre!", entgegnest du bestimmend.
„Ihr habt keine Ahnung!", unterbricht er lachend deine Ansprache, „Ihr seht es nur nicht oder wollt es nicht sehen, aber ich sehe es. Die sehnsuchtsvollen Blicke, wenn er glaubt, dass Ihr ihn dabei nicht erwischen könnt, das leise Seufzen, sobald Ihr den Raum verlassen habt ..."
Dorians Worte klingen unwahr in deinen Ohren, und trotzdem kannst du nicht leugnen, dass sie nicht spurlos an dir vorbeiziehen. Im Gegenteil wecken sie leise Hoffnung, dass vielleicht doch nicht alles verloren ist. „Ich weiß nicht mal, ob er noch lebt!", stellst du erschrocken fest, „Seit der Ankunft hier kam keine Nachricht aus dem anderen Lager, indem er stationiert ist. Kein Bote, kein Rabe! Nichts!" Wut vermischt mit Sorge wälzt sich durch deine Eingeweide. „Vielleicht ist er tot?! Von einem roten Templer erschlagen, von einem Pfeil durchbohrt. Beim Erbauer, bitte nicht!"
Dorian fixiert deinen suchenden Blick, der sich zwischenzeitlich in dieser grausamen Vorstellung verloren hat. „Er kann sehr gut auf sich selbst aufpassen, denn schließlich führt er nicht umsonst unsere Truppen an. Bitte, macht Euch keine Sorgen. Falls Ihr es wünscht, dann reite ich noch heute abend persönlich ins andere Lager", bietet er aufmunternd an, „um uns Klarheit zu verschaffen. Das sind nur knappe zwei Stunden. Wobei, bei meinen Reitfähigkeiten könnte es auch viel schneller gehen. Sagt nur ein Wort und ich werde direkt aufbrechen."
„Vielen Dank, aber das wird wohl nicht nötig sein. Und welchen Grund sollte es auch haben? Ihr habt recht, es geht ihm bestimmt gut, und morgen werden auch wir hoffentlich eine Nachricht erhalten, dass der Posten gesichert ist und wir weiter vordringen können. Ich muss mich konzentrieren! Verdammt noch mal, ich muss mich zusammenreißen! Denn ich bin hier nicht wegen der Liebe ... "
„Ach!", unterbricht er dich erneut, „Es ist also doch Liebe. Ich verstehe das, ... zumindest glaube ich es zu verstehen, denn natürlich ist er eine gute zweite Wahl, eine angemessene Alternative, nachdem ich Euch verwehrt bleibe."
Deine Faust schlägt forsch gegen seinen Oberarm, straft seine Selbstherrlichkeit, aber trotzdem müsst ihr beide darüber lachen. Ein lautes, ehrliches Lachen, welches du dir schon länger nicht mehr gegönnt hast.
Dorian schließt dich erneut in seine Arme. „Falls Ihr heute Nacht nicht allein sein wollt, dann könnte ich das Lager mit Euch teilen", schlägt er ehrlich vor. „Mein Ruf ist sowieso ruiniert und mich stört es am allerwenigsten, wenn sich die Leute das Maul über mich zerreißen. Zu lange muss ich das schon über mich ergehen lassen." Er küsst deine Stirn. „Meine Schultern sind mindestens genauso breit wie seine, falls Ihr Euch anlehnen wollt. Und ich verspreche, dass ich mich zurückhalten kann", fügt er glucksend hinzu.
Das Angebot rührt dich fast zu Tränen, denn es ist ein Beweis echter Freundschaft, die in solchen Zeiten schwer zu finden ist. Im Grunde hast du Glück, dass es Menschen gibt, die alles für dich tun würden und die dir auch zu Seite stehen, wenn es dir außerhalb des Schlachtfelds schlecht ergeht.
„Danke, das ist ... das ist wirklich ... ich weiß nicht, was ich sagen soll", stotterst du etwas verlegen.
„Ihr müsst das nicht jetzt entscheiden, ich bin flexibel. Sagt nur rechtzeitig Bescheid, damit ich mein drittes Bad für heute in dem angrenzenden und überaus erfrischenden See einnehmen kann. Ich will ja nicht stinkend neben dem Inquisitor schlafen."
„Dorian", du kannst dir das Lachen nicht verkneifen und bist dankbar, wie schnell er dich für einen wenigstens kurzen Moment von deinen trüben Gedanken befreien kann, „Ihr stinkt nie! Nichtmal auf dem Schlachtfeld. Des Öfteren habe ich mich schon gefragt, wie das überhaupt möglich ist."
Der Stolz in seiner Stimme ist nicht zu überhören. „Natürlich nicht! Das sind exquisite Seifen und Öle aus Tevinter! Vielleicht sollte ich die mal dem Bullen schenken", lacht er gehässig.
„Vielleicht solltet Ihr das wirklich tun." Deine Arme lösen sich von seinem Körper. „Ich würde hier gerne noch etwas sitzen bleiben, bis die Nacht anbricht, um mir ein paar Gedanken zu machen. Falls mich jemand braucht oder eine Nachricht ankommt, dann wisst Ihr, wo Ihr mich finden könnt."
„Selbstverständlich", er verbeugt sich höflich, bevor er geht, „Und mein Angebot steht. Nur ein Wort und ich leiste Euch heute Nacht Gesellschaft. Rein freundschaftlich, das muss ich betonen, bevor Ihr Euch falsche Hoffnungen macht. Dafür würde ich sogar auf mein Kissen aus feinsten Daunen aus Orlais verzichten", er neigt nachdenklich den Kopf, „oder ich bringe es einfach mit."

Dragon Age Inquisition : Melodie des MondesWhere stories live. Discover now