Als ich oben ankam, brauchte ich einige Sekunden um mich zu orientieren. Von Simon und seiner Gang war immer noch keine Spur. Ich weiß nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war... Jedoch deutete ich es lieber als gutes, dann musste ich mir nicht solche Sorgen um Astrid machen. Als ich es dann endlich geschafft hatte, mir alle Tränen aus dem Gesicht zu wischen und meine Gedanken wieder zu sortieren, konnte ich mich endlich auf in Ruhe auf den Weg konzentrieren. Zielsicher und doch vorsichtig öffnete ich eine exakte Kopie der Metalltür in der Empfangshalle und stand in einem großen, leeren Aufenthaltsraum, von dem mehrere Gänge abgingen. Hier standen ein paar ziemlich unbequem aussehende Plastikstühle und ein Wasserspender. Weiße, runde Tische standen im Raum verteilt. Eine Uhr tickte laut, trotzdem schien das ticken in diese beruhigende Stille hinein zu passen. Es war keine angespannte Ruhe, wie die vorher unten im Foyer, wo zwar alles still ist, man aber trotzdem das Gefühl hat, dass gleich etwas schreckliches passiert. Es war eine friedliche Ruhe, eine einschläfernde. Wie wenn man in einer Schule während dem Unterricht durch die Gänge läuft. Für meine Seele war diese Stille gerade Balsam. Entspannt schloss ich die Augen und rieb mir die Schläfen. Am liebsten würde ich mir jetzt ein Glas Wasser aus dem Wasserspender holen, mich auf einen der hässlichen Plastikstühle setzen und einfach dem ticken der Uhr lauschen. Nur leider hatte ich, wenn ich noch ein bisschen leben wollte, dafür keine Zeit. Also seufzte ich schwer und wählte bewusst einen Gang, der links abging. Je weiter ich mich vom Aufenthaltsraum entfernte, desto leiser wurde das ticken der Uhr. Dafür hörte ich ganz andere Sachen. Zum Beispiel die schnellen Schritte ein Stockwerk über mir. Oder die Schüsse vor dem Haus. Ich fühlte mich viel konzentrierter und aufmerksamer. Was natürlich gut war, falls irgendwelche CodeSystems-Angestellte auftauchen. Aber es blieb ruhig. Den ganzen Weg begegnete ich sozusagen niemandem. Und ich kam meinem Ziel immer näher. Inzwischen tat vom joggen mein Oberschenkel zwar wieder weh, aber es war erträglich. Außerdem joggte ich ja eher entspannt, da ich ja momentan vor niemandem wegrennen musste. So kam ich meinem Ziel schnell näher. Schließlich stand ich vor einer angelehnten Tür die mit "Severraum - Zugang E" beschriftet war. Es gab also auch einen Zugang A bis D. Das hörte man auch, denn drinnen schienen schon einige Leute zu sein. Jedoch deutlich weniger als draußen. Nur ab und zu fiel ein Schuss, hörte man Stimmen die sich etwas zuriefen oder schnelle Schritte. Ich atmete noch einmal durch und legte eine Hand an meine Wurfmesser. Dann stieß ich die Tür auf und betrat das Herzstück von CodeSystems, nein, von der ganzen Stadt. Den Severraum.

Es war irgendwie genau so wie ich es mir vorgestellt habe und doch ganz anders. Ich stand etwas erhöht auf einem Metallsteg, der einmal um den riesigen Raum herum führte. In regelmäßigen Abständen führten Treppen hinab in den Severraum. Der Raum breitete sich unter mir aus. So hatte ich einen guten Überblick. In langen Reihen, ähnlich wie Bücherregale in einer Bibliothek, reihten sich riesige Sever aneinander. Jeder einzelne war so groß wie ein Kleiderschrank. Kleine Lämpchen blinkten in allen möglichen Farben an ihnen, es gab Anschlüsse für jede Art von Kabel und jede Menge Knöpfe und Hebel lächelten einen so verlockend an, dass man sie gerne einmal drücken würde - nur um zu sehen, was dann passiert. Der ganze Raum hatte kein einziges Fenster und wurde nur von gelblichen Neonröhren beleuchtete, die kaum Licht spendeten. So lag der ganze Raum in einem schumrigen Dämmerlicht. Auch ich wurde durch meine schwarze Kleidung eins mit dem Schatten. Immer wirder sah man gestalten durch die Gänge huschen. Dabei konnte man nicht erkennen, ob es Freund oder Feind war. Auf jeden Fall durfte ich nicht tatenlos hier rum stehen. Leise schlich ich mich zur nächsten Treppe und beeilte mich, hinab in den Raum zu kommen. Als ich unten war, merkte ich, dass die Server sich fast wie ein Labyrinth vor mir aufbauten. Sie waren tatsächlich größer, als sie von oben ausgesehen haben. Das leuchten der Lämpchen wirkte noch greller. Hier wurden also alle Codes dieser Stadt gespeichert. Hier wird jeder Touchscreen kontrolliert. Von hier geht die ganze Unterdrückung aus. Kurz versuchte ich mich zu erinnern, wo ich den Sprengstoff anbringen muss. Dann fiel es mir ein. Von hier war es nicht mehr weit. Meiner musste in die vierte Server Reihe, Astrid musste ihren eine Reihe weiter vorne anbringen, wenn ich mich recht erinnere. Na dann los. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, wagte ich mich in das Labyrinth aus Servern. Von überall schienen schnelle Schritte oder leises Flüstern zu kommen. Ich beschleunigte meine Schritte. Im Laufen zählte ich die Reihen und bog in die dritte ein. Ich lief zum zweiten Sever der Reihe und kauerte mich davor. Dann nahm ich Astrids Gürtel ab und löste den Apperat, der ungefähr so groß wie ein Taschenbuch war. Ich erinnerte mich an Nicks Einweisung und zog die zwei Plastikstreifen an der Rückseite ab. 'Wie die Sticker, früher als ich ein Kind war in meinem Stickerheft' dachte ich, vertrieb den Gedanken jedoch schnell wieder und klebte den Sprengstoff mithilfe der Klebestreifen an den Server. Dann machte ich die Bombe scharf und stellte die Zeit auf zwanzig Minuten. Wenn Nick von der Zentrale aus die Bombe aktiviert, wird der Countdown anfangen zu laufen. Natürlich musste Nick das einheitlich aktivieren, da ja jeder von und unterschiedlich schnell war und sonst die einen in den Sprengstoff der anderen rennen würden. Als ich fertig war, überprüfte ich nochmals, ob alles richtig eingestellt war. Dann richtete ich mich auf und lief wieder zum Mittelgang. Ich habe nicht mehr viel Zeit, bald wird Nick den Countdown einläuten. Doch dadurch, dass ich so in Gedanken war, wurde ich unaufmerksam. Als ich um die Ecke eilte, lief ich gegen jemanden großes und taumelte erschrocken ein paar Schritte zurück.

Ich schrie kurz auf, doch die Person presste mir eine Hand auf den Mund und brachte mich so zum schweigen. Ich sah zu dem Typen auf und atmete erleichtert auf. Er war einer von den Rebellen. Deutlich erkennbar an den schwarzen Hightech-Klamotten und dem Sprengstoffgürtel um seine Hüfte. Als er sich sicher schien, dass ich leise bin, entfernte er seine Hand wieder von meinem Mund und grinste schief. "Alles okay?" wisperte er mir zu und ich nickte knapp als Antwort. "Dann... Viel Glück" flüsterte er und lief langsam weiter. "Dir auch" murmelte ich leise und atmete erstmal durch. Das war gerade nochmal gut gegangen. Mein Herz klopfte noch immer wie verrückt. Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, konzentrierte ich mich wieder auf meine Aufgabe. Eine gute Sache hatte der Zusammenstoß mit dem Typen ja: ich war wieder aufmerksamer. So spähte ich dieses mal erst vorsichtig um die Ecke und stellte sicher, dass die Luft rein ist. Erst dann wagte ich mich auf den Mittelgang und lief eine Server Reihe weiter. Dort kauerte ich mich wieder vor den zweiten Server der Reihe und befestigte meinen Sprengstoff an ihm. Wieder stellte ich alles ein und kontrollierte zweimal, dass ich zwanzig Minuten und nicht zwei Minuten oder zwanzig Sekunden eingestellt habe. Als ich mir sicher war, dass alles so stimmte, richtete ich mich wieder auf. Erst lauschte ich auf verdächtige Geräusche, doch inzwischen war es ziemlich still. Die meisten Rebellen haben ihren Sprengstoff wahrscheinlich schon angebracht und sind jetzt auf dem Weg nach draußen. Und ich sollte jetzt schnellstmöglich zu Alex. Ohne noch groß nachzudenken rannte ich wieder in den Mittelgang und sprintete los. Wer weiß, wann Nick den Sprengstoff aktiviert. Ich war fast wieder an der Treppe, die zum Zugang E führte, als ich plötzlich einen Schrei hörte "Hilfe!". Sofort erstarrte ich. Es war eine Frau, der Schrei kam ungefähr aus der Mitte des Severraums. Genau die entgegengesetzte Richtung zu Alex. "Bitte... Hilfe!" schie sie verzweifelt. Hin und her gerissen flog mein Blick zur Treppe, dann zum Severraum und wieder zurück. Wenn ich jetzt der Frau helfe, kann es sein, dass ich zu spät zu Alex komme. Ich biss mir auf die Lippe. Ihr verzweifeltes Schluchzen erfüllte den Raum. Und da wusste ich, was ich tue. Eigentlich war es mir von Anfang an klar. "Durchhalten, Alex. Es wird ein bisschen später" nuschelte ich, bevor ich mich von der Treppe abwandte und wieder in das Serverlabyrinth rannte, immer den Schreien folgend.


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