Kapitel 1

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Die gleißend herabstechende Sonne erschwerte uns unsere ohnehin schon mühsame Arbeit. Mit einem Seufzen legte ich den schweren Rechen ab und richtete mich auf. Mein Rücken schmerzte schon, und die unerbittliche Hitze der Sonne machte das Ganze nicht besser.

Ich wischte mir über die Stirn, hoffentlich bekam ich keinen Sonnenbrand, doch da mein Vater, der einige Meter weiter arbeitete, bereits einen roten Rücken hatte, wusste ich, dass mein Hoffen vergebens sein würde.

Ich schaute mich weiter um, die trockene, rissige Erde unter uns reflektierte die Wärme der Sonne nur noch mehr, sodass es mir wärmer vorkam, als es wirklich war. Am Horizont, an dem sich hohe Berge mit schneebedeckten Gipfeln auftürmten, flirrte die Luft.

Für einen kurzen Moment wünschte ich mir, auf den Spitzen der Berge zu stehen, in dem stürmischen Wind der einem Schnee in die Augen trieb und sich wie rasiermesserscharfe Krallen in die Haut grub. Diese Abkühlung hätte ich jetzt gerne, doch ich war ja leider kein Vogel, der diese Freiheit besaß, dorthin zu fliegen, wo er sich zu sein wünschte.

Kinderlachen ließ mich über den Rücken zu unserer kleinen Hütte am Waldrand blicken. Meine beiden jüngeren Geschwister, Ann und Leon, spielten vergnügt Fangen. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, Mutter hatte uns zwar allen Aufgaben gegeben, doch die beiden wurden viel zu leicht abgelenkt.

„Lucius, wir sind fertig für heute" meinte mein Vater mit einem schmerzvollen Keuchen, als er sich langsam aufrichtete. Ich erfasste unser Feld mit einem Blick, wir hatten es fast komplett umgewälzt und konnten mit der Saat beginnen. Doch da das Wetter jetzt schon sehr heiß war, erwarteten wir einen noch heißeren Sommer, was die Ernte mickrig ausfallen lassen würde.

Ich klopfte mir den Dreck von den Händen und hob meinen Rechen auf. Mein Magen knurrte leise, der Hunger meldete sich mal wieder. Doch ich wusste, wir hatten heute nur eine leichte Suppe, die den Bauch kaum füllte. Wenigstens würden Ann und Leon satt werden.

Mein Vater und ich gingen langsam über die heiße Erde zurück zur Hütte. Aus dem Schornstein stieg bereits der Rauch, welcher zeigte, dass Mutter schon das Essen zubereitete.

Mutter war nicht meine leibliche Mutter. Mein Vater lernte sie vor vielen Jahren auf dem Markt kennen, damals war sie frisch verwitwet, ihr Mann starb an einer Krankheit. Ich war sehr jung, als er sie zur Frau nahm, vielleicht sieben Sommer alt. An meine echte Mutter erinnerte ich mich nicht, mein Vater redete kaum über sie, und wenn dann nur sehr ungern.

„Ann, Leon, kommt rein, es gibt Essen" rief ich den beiden spielenden Kindern zu und sie rannten lachend ins Haus. Auch wir traten in das kühle, schattige Haus und atmeten sichtbar auf.

Unsere Küche war klein. Der gesamte Essensgeruch schwebte in ihr und verbreitete eine wohlige, heimelige Atmosphäre. Mutter stelle gerade die Holzschüsseln auf den Tisch und wir alle setzten uns mit hungrigen Mägen und begannen zu essen.

Es war eine einfache Gemüsesuppe mit Kohl und einigen wenigen Hähnchenbruststreifen. Richtig satt wurden wir wie vorausgeahnt nicht, doch ich war froh, wenigstens etwas halbwegs schmackhaftes bekommen zu haben.

Die Sonne schien durch die Fenster und sank langsam tiefer, warf lange Schatten in die kleine Küche. Das Licht wandelte sich zu einem tiefen Orangerot, bald würde die Sonne komplett hinter den hohen Bergen verschwinden.

Ich stand auf und spülte meine Holzschüssel mit etwas Wasser aus dem Trog ab.

„Ich gehe noch schnell nach den Schafen schauen" teilte ich meiner Familie mit und ging dann nach draußen.

Doch anstatt nach den Schafen zu schauen, wie ich gesagt hatte, bog ich nach links ab, Richtung Windwald.

Der Wald war riesig, er wurde benannt nach dem Wind der nachts durch die Bäume wehte und sie rascheln lies, so dass es klang, als würden tausende Stimmen leise summen und säuseln. Geheimnisvolle Geschichten rankten sich um ihn, doch schon als Kind war ich fasziniert gewesen von ihm, und diese Faszination hatte mich nie losgelassen.

Iridescent (BoyxBoy)Where stories live. Discover now